Geschichte meines Lebens. George Sand
Читать онлайн книгу.und Leben — aber wenn wir uns im gewöhnlichen Verlauf des Daseins so leidenschaftlich bemühen, die Verleumdung zurückzuweisen, die Jeden, auch den Besten erreicht, und die Vortrefflichkeit unseres Ich zu beweisen, müssen wir entweder in uns selbst verliebt sein, oder ein wichtiges Unternehmen zu vollführen haben. Mag eine Rechtfertigung im öffentlichen Leben zuweilen nothwendig sein — im Privatleben wird Niemand durch Reden seine Rechtschaffenheit beweisen, noch uns von seiner Vollkommenheit überzeugen. Wir müssen denen, die uns kennen, die Sorge überlassen, uns von unsern Mängeln freizusprechen und unsre Eigenschaften zu schätzen.
Endlich, da wir für einander verantwortlich sind, giebt es kein für sich allein stehendes Vergehen. Es giebt keine Verirrung, von der nicht irgend Jemand Ursache oder Mitschuldiger wäre, und es ist unmöglich, sich selbst anzuklagen, ohne den Nächsten zu beschuldigen — nicht allein den Feind, der uns angreift, sondern häufig auch den Freund, der uns vertheidigt. Das hat Rousseau gethan und das ist schlecht. Wer kann ihm verzeihen, mit seinen eigenen Bekenntnissen auch die der Frau von Warrens abgelegt zu haben?
Verzeih' mir Jean Jacques, daß ich Dich tadle, indem ich das herrliche Buch Deiner Bekenntnisse schließe! Ich tadle Dich, aber auch das ist eine Huldigung, denn dieser Tadel zerstört weder meine Achtung noch meine Begeisterung für den Kern Deines Werkes.
Ich meinestheils will hier kein Kunstwerk schaffen; ich verwahre mich sogar dagegen; Mittheilungen wie diese haben nur Werth durch Natürlichkeit und Unbefangenheit — auch möchte ich mein Leben nicht wie einen Roman erzählen, denn der Inhalt würde in der Form verschwinden.
Ich werde also ohne Ordnung und Zusammenhang reden und selbst in viele Widersprüche verfallen dürfen. Die menschliche Natur ist nur ein Gewebe von Inconsequenzen und ich glaube gar nicht — aber auch gar nicht — an diejenigen, die behaupten, daß sie sich mit dem Ich von gestern immer im Einklang befunden haben.
Meine Arbeit wird demnach auch in der Form Spuren des Sichgehenlassens meines Geistes tragen; und um damit den Anfang zu machen, werde ich die Darlegung meiner Ansicht von der Nützlichkeit dieser Memoiren hier beschließen, und sie in der fortschreitenden Entwicklung der Geschichte, die ich jetzt beginne, durch Beispiele zu vervollständigen suchen.
Möge keiner von denen, die mir Böses gethan haben, erschrecken, ich erinnere mich ihrer nicht; und möge kein Freund des Skandales sich freuen — ich schreibe nicht für ihn.
Ich bin geboren im Jahre der Krönung Napoleon's, dem XII. Jahre der französischen Republik (1804). Mein Name ist nicht Maria Aurora von Sachsen, Marquise von Dudevant, wie einige meiner Biographen entdeckt haben, sondern Amantine Lucile Aurore Dupin und mein Mann, Franz Dudevant, legt sich keine Würden bei. Er ist nie mehr gewesen, als Secondelieutenant der Infanterie und war siebenundzwanzig Jahr alt, als ich ihn heirathete. Wer ihn zu einem alten Obersten des Kaiserreichs macht, verwechselt ihn mit Herrn Delmare, einer meiner Romanfiguren. Es ist wirklich nur zu leicht und erfordert keinen Aufwand von Erfindungskraft, die Lebensgeschichte eines Schriftstellers zu entwerfen, indem man die Fictionen seiner Erzählungen in die Wirklichkeit seines Daseins überträgt.
Vielleicht hat man auch ihn und mich mit unsern Vorfahren verwechselt. Maria Aurora von Sachsen war meine Großmutter; und der Vater meines Mannes war Cavalerie-Oberst zur Kaiserzeit. Aber er war weder roh noch mürrisch, sondern der beste und sanfteste der Männer.
Bei dieser Gelegenheit muß ich bemerken — auf die Gefahr hin mich mit meinen Biographen zu veruneinigen und ihr Wohlwollen durch Undank zu vergelten — daß ich es weder zart, noch schicklich, noch redlich finde, wenn sie, um mich zu entschuldigen, weil ich in meinen ehelichen Verhältnissen nicht ausdauern konnte und auf Scheidung geklagt habe, meinem Gatten ein Unrecht aufbürden, über das ich, seit Wiedererlangung meiner Unabhängigkeit, vollständig geschwiegen habe. Es ist nicht zu verhindern, daß sich das Publikum in müßigen Stunden mit der Erinnerung solcher Processe beschäftigt, und daß es bald für die eine, bald für die andere Partei ein günstiges Urtheil festhält. Wer die Oeffentlichkeit solcher Verhandlungen nicht gescheut und überwunden hat, wird auch dies ertragen. Aber Schriftsteller, die das Leben eines Andern erzählen; die besonders, welche zu seinen Gunsten gestimmt sind und ihn vor der öffentlichen Meinung erhöhen oder rechtfertigen wollen, sollten nicht gegen sein Gefühl und seinen Willen handeln, indem sie ihn mit Stoß und Hieb zu vertheidigen suchen. Die Aufgabe eines Schriftstellers ist in solchem Falle gleich der eines Freundes und unsre Freunde dürfen es nie an Rücksichten fehlen lassen, auf denen, streng genommen, die öffentliche Moral beruht. Mein Gatte lebt; er liest weder meine Schriften noch das, was über mich geschrieben wird — das ist eine Ursache mehr für mich, die Angriffe zurückzuweisen, deren Gegenstand er meinetwegen ist. Ich habe nicht mit ihm leben können, weil unsere Charaktere und Meinungen wesentlich verschieden waren. Thörichte Nachschläge haben ihn veranlaßt, sich in öffentliche Verhandlungen einzulassen, die uns gegenseitig nöthigten, uns zu beschuldigen — traurige Folgen einer unvollkommenen Gesetzgebung, welche die Zukunft verbessern wird. Seit meine Scheidung ausgesprochen und anerkannt ist, habe ich bereits meine Beschwerden vergessen, und darum muß mir jeder öffentliche Vorwurf gegen ihn unpassend erscheinen, da er an die Fortdauer eines Grolles glauben läßt, an dem ich keinen Theil mehr habe.
Nachdem dies festgestellt ist, wird man errathen, daß ich die Akten meines Processes nicht in diese Memoiren übertragen werde. Ich würde meine Aufgabe zu sehr erschweren, wenn ich kindischer Rachsucht und bitteren Erinnerungen Platz gewährte. Ich habe viel gelitten durch diese Verhältnisse, aber ich schreibe nicht, um zu klagen und um mich trösten zu lassen. Die Schmerzen, von denen ich auf Anlaß rein persönlicher Erlebnisse erzählen könnte, würden nicht von allgemeinem Nutzen sein, also werde ich nur die mittheilen, denen alle Menschen ausgesetzt sind. Darum noch einmal, Freunde des Skandals, schließt mein Buch bei der ersten Seite, es ist nicht für Euch geschrieben.
Dies ist wahrscheinlich Alles, was ich über meine Ehe zu sagen haben werde, und ich habe es gleich gesagt, um einem Gebote meines Gewissens zu gehorchen. Ich weiß, daß es nicht vorsichtig ist, Biographen zu widerlegen, die zu unsern Gunsten gestimmt sind, und die uns mit einer Durchsicht und Ergänzung unserer Mittheilungen bedrohen können; aber ich bin nie in irgend welcher Art vorsichtig gewesen und ich habe auch nicht gesehen, daß Andere, die sich Mühe gaben, es zu sein, mehr geschont wären, als ich — mit der Aussicht auf gleichen Erfolg wird es aber wohl gestattet sein, den Impulsen unseres Wesens zu folgen.
Und nun verlasse ich bis auf Weiteres das Kapitel meiner Heirath und kehre zu dem meiner Geburt zurück.
Diese Geburt, die in Bezug auf beide Zweige meiner Familie so oft und in so eigenthümlicher Weise besprochen wurde, hat in der That etwas Sonderbares und hat mich zu häufigem Nachdenken über die Frage der Abstammungen veranlaßt.
Ich habe besonders meine ausländischen Biographen im Verdacht, sehr aristokratisch zu sein, denn sie Alle haben mich mit einer vornehmen Herkunft beschenkt, ohne, wie sie als wohlunterrichtete Leute gethan haben müßten, auf einen sehr sichtbaren Fleck in meinem Wappen Rücksicht zu nehmen.
Man ist nicht allein das Kind seines Vaters, man ist, wie ich glaube, auch ein wenig das seiner Mutter — es scheint mir sogar, als wären wir dies am meisten; als wären wir auf das Unmittelbarste, Mächtigste, Heiligste mit dem Wesen verbunden, das uns unter seinem Herzen getragen hat. Wenn also mein Vater der Ur-Enkel Augusts II., Königs von Polen ist, so daß ich mich von dieser Seite, zwar auf illegitime, aber unzweifelhafte Weise mit Karl X. und Ludwig XVIII. nahe verwandt fühle, ist es nicht weniger wahr, daß ich durch mein Blut dem Volke ebenso nahe stehe — und auf dieser Seite ist noch dazu kein Bastardthum.
Meine Mutter war ein armes Kind der alten Stadt Paris; ihr Vater Anton Delaborde war Ballspielhaus-Aufseher und Meister Vogler, das heißt, er verkaufte Kanarienvögel und Stieglitze auf dem Quai aux oiseaux, nachdem er in irgend einem Winkel von Paris ein kleines Estaminet mit Billard besessen hatte, wobei er jedoch schlechte Geschäfte machte. Der Pathe meiner Mutter hatte überdies einen berühmten Namen im Vogelgeschäft; er hieß Barra und sein Name steht noch jetzt auf dem Boulevard du temple über einem Bauwerk aus Käfigen von allen Größen, in welchen immer eine Menge gefiederter Wesen fröhlich singen, die ich wie ebenso viele Pathen und Pathinnen zu betrachten pflege; wie geheimnißvolle Beschützer, mit denen mich immer eine besondere