Geschichte meines Lebens. George Sand

Читать онлайн книгу.

Geschichte meines Lebens - George Sand


Скачать книгу
Der General Dupont hat kluger Weise seinen ganzen Generalstab verabschiedet und hat nur seine zwei Adjutanten und mich bei sich behalten, und so bin ich nun der einzige Adjunct des Gesandten. Da ich nun nicht viel von den Geschäften verstehe, gebe ich meine Audienzen nur im Eßsaale, weil ich grundsätzlich nie besser spreche, als wenn ich mich behaglich fühle. [„Quand je suis dans mon assiette“ nicht zu übersetzendes Wortspiel.] Mit solchen Grundsätzen wird ein Reich auf's Weiseste regiert. Unglücklicherweise ist nun aber der Krieg zu Ende ... desto schlimmer! denn noch drei oder vier Purzelbäume auf dem Schlachtfelde und ich war General. Indessen will ich den Muth nicht verlieren. Eines schönen Morgens werden sich die Angelegenheiten wohl einmal wieder verwirren und dann wollen wir die verlorene Zeit wieder einbringen, indem wir über neue Feinde herfallen.

      „Zürnen Sie nicht, lieber Onkel, daß ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Aber unsere Wünsche, unsere Eroberungen, unsere Siege haben alle meine Augenblicke in Anspruch genommen. Fortan will ich pünktlicher sein und das wird mir keine Anstrengung kosten, denn ich brauche nur den Regungen meines Herzens zu folgen; es führt mich immer zu meinem guten Onkel zurück, den ich mit voller Seele umarme. Ich bitte Herrn von Bouillon meine Ehrfurcht zu bezeugen.

      Moritz.“

      Ein dritter Brief über die Schlacht von Marengo ist an die beiden Villeneuve's gerichtet und beginnt: „So hört denn, meine theueren Neffen!“ In diesem Schreiben erwähnt mein Vater einige Umstände, die er in den anderen Briefen absichtlich weggelassen hatte.

      „Euer ehrwürdiger Onkel wurde von einer Kugel gestreift, von einer anderen mit seinem Pferde umgeworfen und erhielt einen Kolbenschlag auf die Brust, der ihm ein kleines Blutspeien verursachte, das wohl eine Stunde anhielt. Aber er befreite sich davon, indem er den ganzen Tag im Trott und Galopp unterwegs blieb u.sw.c... Uebrigens, meine lieben Freunde, ist's nicht meine Schuld, daß ich nicht getödtet bin. ...

      „Die Beschreibung aller unserer Entbehrungen würde zu lange dauern, aber bedenkt, was es heißt, ohne Nahrung drei Tage lang in einer glühenden Ebene zu sein. In Torre di Garofolo hatten wir zur Erquickung für 1400 Mann nur einen Brunnen.“

      Er schließt mit den Worten:

      „Jeder von Euch, meine lieben Freunde, empfange hiermit dreiundzwanzig Küsse! Sagt Eueren Damen meine achtungsvollen Grüße.“

      Mailand im Fructidor, Jahr VIII. (Sept. 1800.)

      „Ich habe Dir sehr lange nicht geschrieben, meine gute Mutter; aber die letzte Zeit unseres Aufenthaltes in Turin war so sehr in Anspruch genommen; wir hatten so viel zu thun, um die letzten Geschäfte unseres Ministeriums zu ordnen — und als wir nach Mailand gekommen waren, mußten wir so zahlreiche Besuche mit dem General Dupont machen, daß ich bis jetzt nicht dazu gekommen bin, Dir Nachrichten über mich zu geben. Der General fährt fort mir viel Theilnahme zu beweisen, wozu sicherlich Deine Briefe nicht wenig beigetragen haben. Ich begleite ihn auf seinen Reisen und nehme Theil an seinen Erholungen. Decouchy und Merlin hat er in Turin zurückgelassen.

      „Unsere Zeit bringen wir hier mit Ausfahren und bei Gastmählern zu. Die besten giebt Petiet, der französische Gesandte. Abends gehen wir nach dem Corso oder ins Theater, welches vorzüglich ist. Die erste Sängerin und der Tenor sind bewunderungswürdig. Das Ballet wird schecht getanzt, aber die Decorationen sind prächtig. Mit einem Worte: da ich mich jetzt auf Befehl amüsiren muß, ziehe ich's vor, mich im vollen Ernst zu amüsiren. Mailand ist sehr angenehm, aber doch bin ich froh, daß wir fortgehen; denn wenn dies Alles auch recht gut und schön ist, so bringen uns doch zwei Monate, die wir in Lustbarkeiten verleben, ebensowenig vorwärts, als wenn wir sie verschlafen hätten — aber zwei Monate im Felde können mich zum Hauptmann machen Und überdies muß man reisen und sich bewegen, wenn man jung ist — das ist so der Brauch seit Telemach's Zeiten. Leb' wohl, meine liebe Mutter, ich muß nun meinen Mantelsack packen; ich umarme Dich mit herzlicher Liebe.“

      Bologna, den 27. Fructidor.

      „Ach! mein Mütterchen, wie klug Du bist! ohne daß ich Dir ein Wort gesagt habe, hast Du's errathen, daß ich in jenem verdammten Capua unter der Herrschaft einer heftigen Neigung stand. Frage mich nicht weiter, ich bitte Dich! es giebt Dinge, die man lieber erzählt, als schreibt. Bedenke, daß ich im Alter der lebhaften Empfindungen stehe — ich bin nicht dafür verantwortlich zu machen, wenn ich leidenschaftlich empfinde. Ich war berauscht, aber ich habe auch gelitten — also verzeihe mir und erinnere Dich, daß ich Mailand mit Freuden verlassen habe, mit dem festen Willen, mich den Pflichten meines Berufs zu widmen. Später werde ich Dir Alles kaltblütig erzählen; schon jetzt habe ich in den Aufregungen meines Berufes die Ruhe des Geistes wiedergefunden. Den Auftrag des Generals habe ich nach besten Kräften ausgerichtet. Die ganze Operationslinie habe ich in drei Tagen durcheilt. Gestern bin ich angekommen und denselben Abend habe ich die Genugthuung gehabt, meinen Rapport, mit welchem der General sehr zufrieden war, dem Oberbefehlshaber zusenden zu sehen. Auf solche Art dient man doch nicht als Maschine und ich liebe den Krieg, sobald ich seine Thätigkeit und seinen Grundgedanken begreife. Er ist für mich wie eine schöne Schachpartie, für den armen Soldaten dagegen ist es nur ein gemeines Hasardspiel. Es ist wahr, daß viele Männer, die mir in mancher Beziehung überlegen sind, ihr Leben in untergeordneten Anstrengungen zubringen müssen, welche niemals durch die Freude zu wissen und zu begreifen verschönert werden. Ich bedaure sie und ich würde ihre Leiden theilen, wenn ich sie dadurch zu mildern im Stande wäre. Aber das ist unmöglich — und da mir die Erziehung einiges Licht gegeben hat, muß ich doch meinem Vaterlande, dessen Vetheidigung ich mich mit Eifer gewidmet habe, ebensogut mit den geringen Fähigkeiten meines Verstandes, als mit der Thätigkeit meiner Glieder dienen! Herr von Latour d'Auvergne, dieser Held, den ich beweine, war meiner Ansicht, als ich ihm dies sagte und er fand, daß ich trotz meines keimenden Ehrgeizes und trotz Deiner mütterlichen Sorge, ein ebenso guter Patriot wäre, als er selbst. Seine Bescheidenheit hat mir vor allem Andern einen unauslöschlichen Eindruck gemacht — ich werde ihn nie vergessen und mein Leben lang wird er mein Vorbild sein. Eitelkeit befleckt das Verdienst der schönsten Thaten, aber ein einfaches Wesen, ein bescheidenes Stillschweigen über sich selbst erhöht deren Werth und sichert denen, die wir bewundern, unsere Liebe. Ach! Er ist nicht mehr. Er hat einen ruhmvollen Tod gefunden, der seiner würdig war. Du verdammst ihn jetzt nicht mehr — und Du wirst ihn mit mir beweinen!

      „Uebrigens beharrst Du in Deiner Abneigung gegen alle Helden. Da ich nun noch keiner bin, habe ich für den Augenblick nichts zu fürchten — aber verbietest Du mir vielleicht auch nach dem Heldenruhme zu streben? ich wäre im Stande darauf zu verzichten, wenn Du mich mit dem Aufhören Deiner Liebe bedrohtest; und statt der Lorbeeren würde ich auf Deinen Gartenbeeten Kohl pflanzen. Uebrigens hoffe ich noch immer, daß Du Dich an meinen Ehrgeiz gewöhnst und daß es mir gelingen wird, Verzeihung dafür zu erlangen.

      „Ich habe die Staaten des Herzogs von Parma durchreist und glaubte mich in das Jahr 1788 zurückversetzt. Lilien, Wappen, Livreen, Claque-Hüte und rothe Absätze, das ist doch, meiner Treu, für unsere Zeit sehr lächerlich! In den Straßen betrachteten sie uns wie Wunderthiere, und in den Blicken der Leute war ein Gemisch von Schrecken, Abscheu und Hohn, das sich ganz komisch ausnahm; sie haben die Dummheit, die Feigheit und alle Vorurtheile unserer pariser Royalisten. Unser Kriegscommissair, ein sehr liebenswürdiger junger Mann, verlebte den Abend in einem der vornehmen Häuser des Ortes. Er erzählte uns, daß sich alle Gespräche um den Stammbaum jeder Familie in des Herzogs Staaten gedreht hätten. Um sich zu amüsiren, erzählte er ihnen, daß sich in der Stadt ein Enkel des Marschalls von Sachsen befände, und daß derselbe im Dienst der Republik stehe. Dies verursachte in der Gesellschaft einen lauten Schrei der Entrüstung und des Erstaunens; man konnte sich gar nicht darüber beruhigen und doch wagte man nicht, in Gegenwart dieses jungen Mannes Alles zu sagen, was man über diese Schändlichkeit dachte. Ich habe sehr darüber gelacht.

      „In dieser guten Stadt Parma habe ich die Malerakademie und das ungeheure Theater besucht, das Farnese nach dem Muster eines allen Cirkus gebaut


Скачать книгу