Geschichte meines Lebens. George Sand

Читать онлайн книгу.

Geschichte meines Lebens - George Sand


Скачать книгу
Wagen und der Räuber [Es war zu der Zeit, als die Wege in Frankreich durch alle Arten von Raubgesindel unsicher gemacht wurden; durch Chauffeurs und Chouans, die aus allen möglichen Parteien desertirt waren, aber größtentheils aus Royalisten bestand.] sind wir gestern Morgen frisch und gesund in Paris angelangt. Ich habe schon meine Neffen, meinen Onkel und meinen General gesehen und Alle haben mich mit dem lebhaftesten Entzücken begrüßt. Aber meine Freude war nicht rein, denn Du fehltest zu meinem Glücke. Als ich durch die Straße Ville-L'évèque ging, habe ich traurig das Haus betrachtet, in welchem Du nicht mehr bist und mein Herz wurde recht schwer. Es ist mir noch wie ein Traum, daß ich meinem Vaterlande, meiner Mutter und meinen Freunden wiedergegeben bin — ich bin traurig, trotz meines Glücks! Warum ich traurig bin? ich weiß es nicht! Es giebt Empfindungen, die nicht zu erklären sind — aber wahrscheinlich ist es das Verlangen Dich zu sehen.

      „Am Morgen meiner Ankunft begab ich mich zum General Dupont; er war nicht zu Hause. Um fünf Uhr ging ich abermals zu ihm und fand ihn mit mehreren andern Generälen bei Tische. Als er mich eintreten sah, stand er auf, um mich zu umarmen, und wir haben uns mit der lebhaftesten Zärtlichkeit und mit Freudenthränen in den Augen an's Herz gedrückt; Morin war außer sich vor Freude. Während des Essens hat sich der General ein Vergnügen daraus gemacht, einige für mich ehrenvolle Begebenheiten mitzutheilen und mein Lob zu verkündigen. Als wir in den Salon zurückkehrten, haben wir uns abermals umarmt — nach soviel Anstrengungen und Gefahren war dieser freundschaftliche Empfang sehr wohlthuend; ich war sprachlos vor Rührung. Zwischen den Waffengefährten besteht doch eine innige Verbindung; man hat tausendmal miteinander dem Tode getrotzt; man hat ihr Blut fließen sehen; man ist ihres Muthes eben so gewiß, als ihrer Freundschaft. Sie sind in Wahrheit unsere Brüder und der Ruhm ist unsere Mutter. Aber es giebt noch eine zärtlichere, gefühlvollere Mutter, die ich noch inniger liebe. Zu ihr wenden sich alle meine Wünsche und ich denke an sie, wenn mein General und meine Freunde sagen, daß sie zufrieden mit mir sind.

      „Ich wollte gleich zu Dir eilen, um Dich zu umarmen, aber Beaumont sagte, Du würdest hierher kommen; Pernon hat für Dich eine andere Wohnung, Rue Ville-L'évèque, gefunden, und Pons sagt, daß der Zustand Deiner Finanzen Dir die Reise erlaubt. Aber komm nun schnell, meine liebe Mutter, sonst muß ich Dich holen. Der General will mich übrigens zurückhalten, um mich allen unsern Größen vorzustellen — und nun weiß ich nicht, auf wen ich hören soll. Wenn Du gleich kommen könntest, gingen Glück und Geschäfte Hand in Hand. Antworte mir also gleich, sonst reise ich ab. Wie köstlich ist der Augenblick, in dem wir Alles wiederfinden, was uns theuer ist — Vaterland, Mutter und Freunde! Man glaubt es nicht, man kann es nicht begreifen, wie ich mein Vaterland liebe! So wie man den Werth der Freiheit erst erkennt, wenn man sie verloren hat, so fühlt man die Liebe zum Vaterlande erst, nachdem man fern von ihm gewesen ist. Alle diese Leute in Paris begreifen solche Rede nicht — sie kennen nur die Liebe zum Leben und die Liebe zum Gelde. Ich erkenne den Werth des Lebens, aber nur um Deinetwillen — ich habe so viele Männer an meiner Seite fallen sehen, fast ohne es zu beachten, daß ich den Uebergang vom Leben zum Tode an und für sich als etwas sehr Geringfügiges betrachte. Aber trotz der geringen Sorgfalt, die ich darauf verwendete, habe ich dies Leben erhalten, und wenn ich noch einige Jahre dasselbe dem Dienste Frankreichs gewidmet habe, will ich es Dir vollständig weihen.

      „Ich will jetzt die Wohnung besehen, die Pernon für Dich aufgefunden hat, und will sie zu Deiner Ankunft einrichten lassen; ich denke nur an dies! und ich umarme Dich auf das Herzlichste.“

      An Madame …

      (Ohne Datum oder Ortsbezeichnung.)

      „Ach! wie bin ich zugleich so glücklich und so unglücklich! ich weiß nichts zu thun und weiß Dir nichts zu sagen, meine theuere Victoria! ich weiß nur, daß ich Dich leidenschaftlich liebe — und das ist Alles! Aber ich sehe, daß Du in einer glänzenden Stellung bist, und daß mich armen Offizier eine Kugel fortreißen kann, ehe ich mein Glück im Kriege gemacht habe. Meine Mutter ist durch die Revolution zu Grunde gerichtet und es wird ihr sehr schwer, für meinen Unterhalt zu sorgen; und jetzt, wo ich aus den Händen des Feindes komme und kaum die nöthigsten Kleidungsstücke besitze, sehe ich mehr einem Menschen ähnlich, der vor Hunger stirbt, als dem Sohn eines angesehenen Hauses. Und doch hast Du mich so geliebt, meine theure, liebenswürdige Freundin, und mit einer seltenen Aufopferung hast Du Deine Börse zu meiner Verfügung gestellt. Was hast Du gethan? was habe ich selbst gethan, indem ich diese Hülfe annahm.

      „Und Du liebst mich! und Du willst mir folgen! Du willst eine gesicherte, glückliche Stellung aufgeben, um alle Zufälle meines geringen Glückes zu theilen. O, ich weiß, daß Du das stolzeste, unabhängigste, anbetungswürdigste Wesen bist, und daß ich Dich anbete! aber ich kann mich noch zu nichts entschließen. Ich kann ein so großes Opfer nicht annehmen — ich kann Dich vielleicht niemals dafür entschädigen. Und meine Mutter! meine Mutter ruft mich und ich brenne vor Verlangen sie zu sehen, während der Gedanke Dich zu verlieren, mir den Sinn verwirrt. Und doch muß ich mich jetzt zu irgend etwas entschließen! So höre denn, was ich bitte: übereile nichts, ergreife keine Gewaltmaßregeln, die nicht wieder rückgängig zu machen wären. Ich werde einige Zeit bei meiner Mutter zubringen und Dir umgehend wiederschicken, was Du mir geliehen hast. Sei nicht böse — dies ist die erste Schuld, die ich bezahlen will. Wenn Du auf Deinem Vorhaben bestehst, werden wir uns in Paris wiederfinden. Aber bis dahin prüfe Dich wohl und vor allen Dingen ziehe mich nicht zu Rathe. Lebe wohl, ich liebe Dich bis zum Wahnsinn und ich bin so traurig, daß ich mich fast nach den Zeiten zurücksehne, als ich in den Wüsten von Kroatien hoffnungslos an Dich dachte.“

      An Madame Dupin zu Nohant.

      Paris, den 3. Floréal, Jahr IX. (April 1801.)

      „Montag reise ich ab — ich werde Dich also endlich wiedersehen, meine geliebte Mutter, werde Dich endlich in meine Arme drücken! Ich bin außer mir vor Freude. Alle diese Briefe, diese Antworten gehen unerträglich langsam und ich bereue sehr, daß ich darauf gewartet und den schönsten Augenblick meines Lebens hinausgeschoben habe. Paris langweilt mich schon — überhaupt fühle ich mich seit einiger Zeit sonderbarer Weise nirgends wohl, aber bei Dir in Nohant werde ich die Ruhe finden, deren ich bedarf. Meine Kameraden, Morlin, Morin und Deconchy, sind schon unterwegs, wir lassen den General allein. Man weiß noch nichts Bestimmtes über die nächsten Expeditionen, aber ich hoffe, daß man die Lorbeeren des Mincio nicht vergessen wird, wenn etwas entschieden ist. Auf diesen blutigen Lorbeeren haben wir unsere Waffen niedergelegt — wird es nöthig sein, daß alle die tapfern Offiziere, alle die edelmüthigen Soldaten, die dort geopfert sind, um den Frieden zu erobern, aus ihren Gräbern aufsteigen, um Rache und Schande über feige Verleumder auszurufen? Du hast keinen Begriff davon, was in der Umgebung des Obergenerals [Der General Brune.] gesagt wird, um die fürchterliche Gleichgültigkeit zu bemänteln, mit welcher er diese Tapfern niederhauen ließ. Irgend Jemand in seiner Umgebung hat unter anderm mit seiner Erlaubniß oder auf seinen Befehl zu sagen gewagt, ich hätte mich gefangen nehmen lassen, um den Feinden den Schlachtplan und die Marschroute unserer Heere zu verrathen. Glücklicherweise waren der General Dupont und meine Kameraden dabei und sie haben diese Gemeinheiten auf das Entschiedenste zurückgewiesen.

      „Lebewohl, meine gute Mutter; ich packe nun meine Sachen und komme zu Dir ... für mein ungeduldiges Verlangen noch immer zu spät! Ich umarme Dich auf das Herzlichste. Wie werde ich mich freuen Vater Deschartres und meine Bonne wiederzusehen.“

       Fünfzehntes Kapitel.

       Romanhafte Begebenheiten. — Unglückliche Expedition Deschartres. — Das Wirthshaus zum „schwarzen Kopfe“. — Familien-Kummer. — Ausflüge nach Blanc, Argenton, Courcelles und Paris. — Der Onkel Beaumont. — Fortsetzung des Romans. — Kurze Uebersicht des Jahres IX.

      Während ich einige romanhafte Begebenheiten aus dem Leben meiner Eltern


Скачать книгу