Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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setzen müßte, wäre sie in der Geschichte jener Zeit als etwas Besonderes anzusehen. Anfangs erzählt er ziemlich ausführlich von einer Camée, die er für René gekauft hatte und die von einem ungeschickten Arbeiter, der sie fassen sollte, zerbrochen wurde. Dann kündigt er ihm die Ankunft anderer Kunstgegenstände derselben Art an, welche der Kardinal Gonsalvi zu befördern versprochen hatte: „Denn Du mußt wissen — sagt er — daß ich mich mit Sr. Eminenz vortrefflich stehe und noch besser mit dem Papste.“ Endlich schildert er ihm seine Lage und die des Heeres: Es ist zwei Uhr Morgens; in zwei Stunden steigen wir zu Pferde. Den ganzen Tag haben wir damit zugebracht, die Truppen aufzustellen, alle unsere Artillerie hat vorrücken müssen und mit Anbruch des Tages werden wir uns klopfen. Wahrscheinlich wirst Du vom 29. d. M. reden hören, denn es wird ein allgemeiner Angriff der ganzen Armee stattfinden.“

      „Die Pferde des Generals werden schon gesattelt, ich höre sie im Hofe, und wenn ich noch ein Paar Worte an meine Mutter geschrieben habe, lasse ich auch die meinigen satteln. Ich verlasse Dich also, mein lieber Freund, um mich mit den Herren Croaten, Walachen, Dalmatiern, Ungarn und Andern, die uns erwarten, herumzuschlagen. Es wird ein wahrer Hexensabbath werden! wir haben acht Zwölfpfünder aufgestellt — wie leid thut es mir, daß Du nicht hier bist, um den Lärm zu hören, den wir machen werden! ich bin überzeugt, daß Dich das amüsiren würde.“

      Am folgenden Tage war er in den Händen des Feindes. — Der Schauplatz des Krieges, die siegreiche Armee, seine Freunde, die im Begriff waren nach Frankreich zurückzukehren, um ihre Mütter, ihre Verwandten zu umarmen, blieben hinter ihm zurück — und er ging zu Fuß in eine lange und schwere Verbannung. Dies Ereigniß, das ihn von dem geliebten Weibe trennte und meine arme Großmutter in eine furchtbare Verzweiflung stürzte, erstreckte seinen Einfluß auf das ganze Leben dieses jungen Mannes, der seit 1794 vergessen hatte, was Leiden, Einsamkeit, Zwang und Reflexionen sind. Vielleicht ging eine gänzliche Umwandlung in ihm vor, denn von dieser Zeit an war er, wenn auch nicht weniger heiter in äußerem Benehmen, doch vorsichtiger und ernster im Grunde der Seele. In dem Geräusch, in der Trunkenheit des Krieges hätte er Victorie vielleicht vergessen, aber in der traurigen Geistesöde der Verbannung und der Gefangenschaft war ihr Bild auf verhängnißvolle Weise in seine Gedanken verwebt. Nichts macht uns für eine große Leidenschaft so empfänglich, als ein großes Leid.

      Padua, den 15. Nivose Jahr IX. (Januar 1801)

      „Sei nicht in Sorgen um mich, meine gute Mutter! ich habe Morin gebeten Dir zu schreiben, also weißt Du sicherlich schon, daß ich gefangen bin; ich bin jetzt in Padua und auf dem Wege nach Gratz, hoffe aber bald ausgewechselt zu werden, da mich der General Dupont am Tage meiner Gefangennehmung von Herrn von Bellegarde zurück verlangt hat. Ich kann Dir jetzt nichts weiter sagen, aber ich hoffe Dir bald meine Rückkehr anzeigen zu können. Lebe wohl! ich umarme Dich aus voller Seele; ich umarme auch Vater Deschartres und meine Bonne.“

      Diese wenigen Worte sollten die arme Mutter beruhigen — aber die Gefangenschaft war härter und langwieriger, als dieser Brief vermuthen ließ. Zwei Monate lang erhielt meine Großmutter gar keine Nachrichten von ihrem Sohne und war in jene dumpfe Verzweiflung versunken, welche die Männer nicht kennen und welche sie nicht zu überleben vermöchten. Die Organisation des Weibes ist ein Wunder in dieser Beziehung, denn begreifen läßt sich diese Gewalt des Schmerzes und diese Kraft des Widerstandes nicht. Die arme Mutter hatte keinen Augenblick des Schlafes und lebte nur von kaltem Wasser. Beim Anblick der Speisen, die man ihr reichte, schluchzte sie laut: „Mein Sohn stirbt vor Hunger!“ rief sie in Verzweiflung: „vielleicht verschmachtet er in diesem Augenblicke und ihr wollt, daß ich esse!“ Sie wollte sich auch nicht niederlegen: „Mein Sohn schläft auf der Erde“, sagte sie, „man giebt ihm vielleicht keine Hand voll Stroh, um sich darauf zu legen; vielleicht war er verwundet, als sie ihn gefangen nahmen [Sie irrte sich nicht, aber sie erfuhr dies niemals.] und er hat kein Stückchen Leinwand, um seine Wunden zu bedecken.“ Der Anblick ihres Zimmers, ihres Sessels, ihres Feuers, aller Bequemlichkeiten ihres Lebens, trieb sie zu den bittersten Vergleichen. Ihre Einbildungskraft vergrößerte die Entbehrungen und Leiden, die ihr theueres Kind zu tragen hatte: sie sah ihn gebunden in einem Kerker liegen; sie sah ihn von unwürdigen Händen geschlagen, vor Ermüdung und Hunger am Wege nieder sinken, aber durch den Stock des östreichischen Feldwebels gezwungen wieder aufzustehen, um sich weiter zu schleppen.

      Der arme Deschartres bemühte sich umsonst sie zu zerstreuen; er verstand sich einmal nicht darauf, war selbst von sehr ängstlicher Gemüthsart und wurde durch meines Vaters Schicksal so ergriffen, daß es ein wahrer Jammer war zu sehen, wie die Beiden jeden Abend ihre Karten mischten und vertauschten, ohne recht zu wissen, was sie thaten, und ohne zu beachten, wer das Spiel gewonnen oder verloren hatte.

      Endlich zu Ende des Ventose kam Saint-Jean im Galopp von la Châtre zurück; es war vielleicht das einzige Mal im Leben, daß er vergaß auf seinem Postwege im Wirthshaus einzukehren und vielleicht war es auch das einzige Mal, daß es ihm gelang mit seinem silbernen Sporn das friedfertige weiße Roß in Galopp zu bringen, das fast eben so lange gelebt hat, als er selbst. Bei dem ungewöhnlichen Geräusch seines Triumphmarsches erbebte meine Großmutter, lief ihm entgegen und erhielt folgenden Brief.

      Conegliano, den 6. Ventose, Jahr IX. (Februar 1801.)

      „Endlich bin ich ihren Händen entgangen! ich athme wieder auf — dieser Tag ist für mich ein Tag des Glückes und der Freiheit! ich darf hoffen Dich binnen kurzer Zeit zu sehen, zu umarmen, und nun ist Alles vergessen, was ich gelitten habe. Von diesem Augenblick an sollen alle meine Schritte, alle meine Bemühungen darauf gerichtet sein, meine Rückkehr zu Dir möglich zu machen. Ein weitläufiger Bericht über mein Unglück würde zu lange dauern, ich will Dir nur sagen, daß ich, nachdem ich zwei Monate lang in Feindeshänden gewesen war, nachdem ich die Wüsten von Kärnthen und Krain durchwandert, die Grenzen von Bosnien und Kroatien erreicht hatte und im Begriff war in Nieder-Ungarn, einzumarschiren, durch den glücklichsten Zufall der Welt wieder Kehrt machen mußte, und daß ich, obwohl einer der zuletzt Gefangenen, doch einer der zuerst Ausgelieferten bin. Ich bin jetzt auf dem zweiten französischen Posten, wo ich ein Bett gefunden habe, ein Meubel, dessen ich mich seit etwa drei Monaten nicht mehr bediente, denn schon einen Monat vor meiner Gefangennehmung pflegte ich in voller Kleidung zu schlafen und seitdem habe ich kein anderes Lager gehabt, als Stroh. Ich hoffte nun bei meiner Rückkehr zur Armee den General Dupont und meine Kameraden zu finden; aber ich höre, daß er zurückberufen ist, weil er durch sein kühnes Ueberschreiten des Mincio die Eifersucht eines Mannes erregt hat, dessen Unfähigkeit man gewiß bald erkennen wird.

      „Ich setze voraus, daß der General Dupont meine Pferde und mein Gepäck mitgenommen hat und so bleibt mir nichts übrig, als mich an den General Mounier zu wenden, der auch zu seiner Division gehört. Ich bezweifle nicht, daß er mich mit den nöthigen Mitteln zur Rückkehr zu Dir versehen wird und werde mich gleich nach Bologna wenden, wo er sich jetzt aufhält. Da ich auf Ehrenwort entlassen bin, kann ich bis zu meiner Auswechselung nicht mehr dienen.

      „Ich empfinde eine große Freude frei zu sein und zu Dir zurückkehren zu dürfen, ohne daß mich ein Vorwurf treffen kann! Ich bin voller Jubel und doch habe ich gleichsam die Gewohnheit der Trauer, und diese hindert mich noch mein Glück vollständig zu fassen. Ich gehe morgen nach Treviso, wo die Erkundigungen, die ich einziehe, über meinen Weg entscheiden sollen. Lebe wohl, meine liebe Mutter, keine Sorgen mehr, keinen Kummer! Ich umarme Dich und strebe nur nach dem Augenblick des Wiedersehens. Ich umarme Freund Deschartres und meine Bonne — diesen guten Deschartres! wie lange habe ich ihn nicht gesehen!“

      Paris, 25. Germinal, Jahr IX. (April 1801.)

      „Mancherlei Quälereien und Geschäfte haben mich in Ferrara und in Mailand zurückgehalten, wo ich den General Watrin, einen meiner besten Freunde, vom rechten Flügel, getroffen habe. Dieser hat mir endlich, nicht ohne Mühe, meinen


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