Geschichte meines Lebens. George Sand
Читать онлайн книгу.General war bei seiner Geliebten und hatte ihn drei Stunden lang im Hofe warten lassen. Es fehlte nicht viel daran, so wäre Decouchy fortgelaufen und hätte die ganze Geschichte zum Teufel gehen lassen. Morin ist sehr sorglos und antwortet immer nur: „Was thut's!“ man mag ihm sagen, was man will. Aber ich sage zu mir selbst: „Es liegt so viel daran, daß ich von all' Euern Gastmälern nicht das Geringste begehre — ich würde um diesen Preis selbst einen Schatz verschmähen.“
„Und zwar so sehr, daß ich die größte Lust habe zu meinem Regimente zurückzukehren, und daß ich deswegen an Lacuée schreiben will, welcher ein einflußreicher Mann und großer Reformator ist ...
„Auf Grund meiner ausgezeichneten Tapferkeit und meines guten Benehmens in allen Waffenproben, bin ich in diesen Tagen zum Gesellen ernannt und werde binnen Kurzem auch Meister werden.“
Siebzehntes Kapitel.
Fortsetzung der Liebesgeschichte. — Schmerzliche Trennung. — Rückkehr nach Paris. — Die "Damen". — Die schöne Welt. — Gunstbezeugungen. — Herr von Vitrolles. — Herr Heckel. — Eugen Beauharnais und Lady Georgina.
Erster Brief.
Von Moritz Dupin an seine Mutter.
Charleville, den 1. Vendémiaire, Jahr XI. (22. Sept. 1802.)
„Der Brief von Dir, den ich soeben erhielt, meine liebe Mutter, giebt mir das Glück vollständig wieder. Du predigst mir Moral und zankst mich ordentlich aus, aber Du thust es mit Deiner mütterlichen Liebe, die ich noch immer besitze, die mir nichts ersetzen könnte und über deren Verlust ich mich niemals zu trösten vermöchte — hörst Du wohl! weil nichts mich dafür entschädigen könnte. Aber trotz Deiner Unzufriedenheit hegst Du für mich immer dieselbe Zärtlichkeit; erhalte sie mir, meine gute Mutter, ich habe nie aufgehört ihrer werth zu sein. Ich will Dir gestehen, daß ich fürchtete, irgend ein neuer lügenhafter Rapport, irgend ein falscher Schein könnte sie für einen Augenblick in Deinem Herzen erkältet haben. Dieser Gedanke verfolgte mich überall; meine Seele war davon bedrückt, mein Schlaf war gestört — nun hast Du mich endlich dem Leben wiedergegeben!
„Und dieser wunderliche Deschartres schreibt mir vor zwei Tagen, daß Du mir vielleicht in langer Zeit nicht schreiben würdest, wegen des Kummers, den ich Dir verursache. Ich habe ihm bewiesen, daß er Unrecht hat und nun rächt er sich, indem er mir Schmerz verursacht, indem er mich an der empfindlichsten Stelle angreift. Trotz seiner vielen guten Eigenschaften ist er doch ein Bär, der uns mit den Krallen zerfleischt, wenn er uns nicht erdrücken kann. Im vergangenen Monate hat er mir ganze Bände geschrieben, um mir mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit zu beweisen, daß ich ein ehrloser Mensch und mit Schmutz bedeckt bin — weiter nichts! ein schöner Schlußsatz, würdig der Reden, mit denen er mich regalirte; aber ich vergebe ihm das von Herzen, wegen des Grundes, der seinen Zorn und seinen Eifer erregt. Ich habe auf seinen letzten Brief noch nicht geantwortet, aber ich behalte mir diese kleine Genugthuung vor und sende ihm ein schönes und gutes Gewehr mit zwei Läufen, damit er Dir Rebhühner zu essen geben kann — wenn er nicht zu ungeschickt dazu ist.
„Nein, meine gute Mutter, ich habe niemals meine Existenz von der Deinigen trennen wollen — und wenn ich, wie Du es mir vorwirfst, in den Lagern und Bivouaks ein Säufer und ein Liebhaber schlechter Gesellschaft geworden bin, was ich indessen nicht glaube, so sei wenigstens versichert, daß ich in diesem bewegten Leben meine Liebe für Dich nicht verloren habe. Wenn ich mich ohne Dich zu fragen an Lacuée gewendet habe, um die Rückkehr zu meinem Regimente zu erwirken, so habe ich das gethan, weil die Zeit drängte; ich hätte auf Deine Antwort warten und so die wenigen Tage verlieren müssen, die mir Aussicht auf ein günstiges Resultat gewährten. Jetzt ist Alles vorüber, Lacuée hat mir nicht die geringste Hoffnung gelassen. Nach den neuesten Bestimmungen muß ich bei Dupont bleiben; ich ergebe mich darein und die Freude, die Du darüber empfinden wirst, mildert in etwas meine eigene Unzufriedenheit. ...
„Lebewohl, meine liebe Mutter; sei überzeugt, daß Dein Glück allein das meinige ausmachen kann, und daß es immer vor allen andern Dingen meine Gedanken erfüllt und meine Handlungen leitet. Ich umarme Dich aus voller Seele.
„Mein Gott, wie betrübt mich der Einfall von Minmié ich kann mir das gar nicht vorstellen. Sprich mit ihr über mich, ich bitte Dich darum. [Minmié, das heißt Demoiselle Roumier, die alte Bonne, die er so innig liebte. Kaum hatte sie ihren rückständigen Lohn erhalten, als sie beschloß zu ihren Verwandten zurückzukehren und trotz der gegenseitigen Trennungsschmerzen fühlte sie diesen Vorsatz aus.]
„Und August ist zum Einnehmer der Stadt Paris ernannt! ich gratulire ihm dazu.“
Dritter Brief.
Von Sillery, bei Herrn von Volence (ohne Datum).
„Du hast es gewollt, Du hast es erzwungen, indem Du mich zwischen Deiner Verzweiflung und meiner eigenen wählen ließest. Ich habe Dir gehorcht, V... ist in Paris; ich habe das Unmögliche gewollt und vollbracht. Aber indem ich sie in dieser Weise entfernte, mußte ich wohl für ihren Unterhalt Sorge tragen. Ich habe mir also von dem Zahlmeister der Division sechszig Louisd'or von meinem Gehalt vorschießen lassen und dann habe ich verlangt, daß sie nach Paris zurückgehe, um zu arbeiten. Im Augenblick der Abreise hat sie mir das Geld zurückgeschickt; ich bin ihr nachgeeilt, habe sie zurückgebracht und dann haben wir drei Tage in Thränen miteinander verlebt. Ich habe ihr von Dir erzählt, habe ihr die Hoffnung gegeben, daß Du vielleicht aufhören würdest sie zu fürchten, wenn Du sie einst besser kennen lerntest — und sie hat sich darein ergeben und ist abgereist. Aber ich glaube, daß man nicht von einer Leidenschaft geheilt wird, indem sie solchen Prüfungen ausgesetzt ist. Uebrigens will ich für Dich thun, was menschliche Kräfte vermögen — aber rede nicht so viel von ihr, denn ich kann Dir noch nicht kaltblütig darauf antworten.“
Als meine Großmutter aus den folgenden Briefen sah, daß ihr geliebter Moritz bis zum Tode betrübt war, rief sie ihn zu sich und erwirkte ihm beim General Dupont die Erlaubniß nach Paris zu gehen, um Schritte für sein Avancement zu thun. Dies war indessen nur ein Vorwand, um ihn nach Nohant zu ziehen; aber er ging erst später dorthin, denn er wurde durch seine Liebe in Paris festgehalten und machte seiner Mutter gegenüber dieselben Geschäfte geltend, die ihm den Urlaub erwirkt hatten. Er wünschte damals lebhaft in die Garde des ersten Consuls einzutreten. Er machte einige vergebliche Anstrengungen, wie das vorauszusehen war, denn er war in anderer Weise zu sehr beschäftigt, um ein thätiger Bittsteller zu sein, und sein natürlicher Stolz erlaubte ihm nicht als Höfling sein Glück zu machen. Ich habe seine Freunde oft ihre Verwunderung darüber aussprechen hören, daß er mit soviel Tapferkeit, Intelligenz und Liebenswürdigkeit des Benehmens kein schnelleres Avancement gehabt hat, aber ich begreife das vollständig. Er war verliebt und mehrere Jahre lang war sein größtes Verlangen, geliebt zu werden; dann war er auch kein Hofmann und man erreichte bereits nichts mehr, ohne sich viele Mühe zu geben. Dann kamen für Bonaparte die ernsthaftesten Sorgen: der Proceß Pichegru's, Moreau's, Georges', der des Herzogs von Enghien, und diese Ereignisse erklären den Wechsel in seinem Geiste, indem sie ihm die Namen der Vergangenheit erst nahe brachten, sie dann von ihm entfernten und ihn endlich wieder darauf zurückführten, um ihn damit zu versöhnen.
Fortsetzung der Brieffragmente.
Paris, den 18. Frimaire. Jahr XI. (Decbr. 1802.)
„... Ich habe endlich Caulaincourt gesehen und zwar nicht ohne Mühe; aber ich habe, meiner Treu, den besten Einfall gehabt, als ich auf das Vergessen unserer kleinen Mißstimmungen zählte. Er hatte mich kaum erkannt, als er die ehemalige Ordonnanz des Vater Harville vertraulich umarmte und sich mit lebhaftem Interesse nach Dir erkundigte; und kaum hatte ich ihm gesagt, daß ich in die Garde einzutreten wünsche, als er sich erbot mir dabei behülflich zu sein, ohne zu erwarten, daß ich ihn darum ansprach. Mit