Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner

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Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner


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Der König klang überrascht.

      „Nein, er wird fliehen“, erklärte Thanatos in seinem nüchternen Tonfall.

      „Was macht dich da so sicher?“, wunderte sich der König, obwohl er es doch hätte besser wissen müssen.

      „Verrat, mein Herr. Ein wahrlich treuer Diener. Mächtiger gar als Angst.“ Der Vertraute des Königs brachte schließlich doch noch ein schwaches Lächeln zustande.

      „Wahrlich finster diese Zeiten“, wandte sich der König dem Feuer zu, sodass der Magier seine Sorgenfalten nicht sehen konnte. „Die Feuer sind gelegt, damit der Schatten unseren Weg erhellt?“, sprach der König zu den Flammen. „Hoffnung und Liebe sind der Grundstein aller Kraft.“

      „Es ist alles vorbereitet.“

      „Er muss verletzlich werden. Wir müssen ihn wieder lehren zu hoffen. Ich fürchte er hat vergessen, wie das geht.“ Der König stocherte gedankenvertieft in den Flammen. Er muss sich der Rebellion anschließen, sonst war all die Vorbereitung umsonst.“

      „Wir wissen von zwei Windreitern unter den Rebellen. Der Schatten hält sich derzeit im Norden auf und er scheint unseren Spuren zu folgen. Masborn wird ihn schließlich in die Berge treiben.“

      „Dann wird es Zeit unsere Bündnisse zu erneuern. Ich höre schreckliche Berichte aus den anderen Königreichen. Jeder Funke könnte einen Flächenbrand entzünden. Wir müssen Zeichen setzen und ihnen Hoffnung schenken.“

      „Der neutrale Ring ist darauf vorbereitet. Ihr selbst könnt bald die frohe Kunde verkünden. Bereitet alles für eine lange Reise vor.“ Thanatos reichte ihm eine winzige Pergamentrolle und verneigte sich. „Ich entsende euch zwei meiner Meister, damit sie bei den Vorbereitungen helfen. Sie werden euch treue Dienste leisten. Es ist in letzter Zeit still geworden, es ist jetzt wichtig, dass wir in Kontakt bleiben.“ Abermals verneigte sich der Magier, ohne dass der König es sah, und verließ mit gemessenem Schritt die Halle.

      Selbst als die Tür geschlossen und der Herrscher dieser Hallen und eines großen Reiches alleine war, blieb dieser am Feuer stehen.

      Nach einer Weile öffnete er das Pergament und überflog eine lange Liste. Es waren allesamt Städtenamen, die mit einem Datum versehen waren. Plötzlich lief es dem König eiskalt den Rücken herunter, als ihm bewusst wurde, dass der Tag gekommen war. Er ließ das Pergament sinken. Es würde in der Tat eine lange Reise werden. Unterwegs würde er viel Leid sehen, und nur der Glaube an den großen Plan, schenkte ihm die Kraft, die er dafür würde aufbringen müssen. Es wurde Zeit, dass sein Volk neue Hoffnung schöpfte und in bessere Zeiten geführt wurde. Doch aus irgendeinem Grund, wollte ihn dieser Gedanke nicht trösten. In letzter Zeit ergriff ihn ständig das Gefühl zu frieren, und nun gar war es, als würde eine kalte Vorahnung nach ihm greifen. Noch nie hatte er sich so alleine gefühlt, wie in eben diesem Moment, da er dem gierigen Spiel des Feuers zusah.

      Der Zwerg

      Da lag er nun schon seit einigen Stunden. Harter Stein drückte sich gegen seinen verkrampfenden Rücken. Die lodernde Wut hatte er schon vor Ewigkeiten vergessen – so kam es ihm zumindest vor. Mehr als die Riemen, die ihn an diese Steinplatte fesselten, war es sein tiefer Groll, den er gegen sich selbst hegte, der ihn schmerzte. Diese Qual ließ ihn verhärten, sodass er der Platte in nichts nachstand.

      Doch etwas war seltsam. Noch darüber verwundert, warum er am Leben war, fragte er sich, warum sie ihm nicht mehr Aufmerk­samkeit schenkten.

      Nicht, dass es seine Art war, aber langsam wurde er unruhig. Ohne es zeigen zu wollen, ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten – soweit wie die unnachgiebigen Fesseln es ihm erlauben wollten. Doch außer nackten Wänden und ein paar Ölleuchten konnte er nichts erkennen. Was war eigentlich geschehen? Er konnte sich nur lückenhaft erinnern.

      Zu fünft waren sie losgezogen – soviel wusste er noch. Auch dass sie den Wald erkunden wollten, entsann er sich. Er konnte sich an einen heftigen Knall erinnern. Ganz so, als wäre ein hoher Tunnel eingestürzt, nur, dass dieser Lärm von oben kam. Deshalb hatten sie ihre Gänge verlassen. Doch ab dem Moment, da sie den Wald betreten hatten, erschien ihm alles wie ein Traum. Leicht dunstig, und wenn er nach einem Detail greifen wollte, war es, als würde es unter seinen Fingern zu Wasser werden, und verrann bevor er es festhalten konnte. Es war Nacht gewesen, vereinzelte Sterne quälten sich müßig durch das dichte Blätterdach. Aber was war dann passiert?

      Er versuchte sich zu beruhigen, um seinen Erinnerungen mehr Raum zu geben. Ein grelles Feuer erschien vor seinem geistigen Auge. Nur schwach drang der Lärm zu ihm durch. Er hörte Schreie. Und Schritte. Hastige, kurze Schritte. Sie liefen, wieder Schreie, dann Stille.

      Eine traurige Gewissheit sagte ihm, dass seine Freunde tot waren. Er verfluchte sich, dass er so feige weggelaufen war. Er hätte kämpfen sollen. Besser zu sterben, als nun hier zu liegen und der Ungnade seiner Peiniger ausgeliefert zu sein. Hätten sie ihn doch nur getötet! Denn auch so würde er sterben, nur viel langsamer, dessen war er sich sicher. Aber er würde ihnen nichts verraten – das schwor er sich. Seinen Körper musste er ihnen aus­liefern, aber seinen Willen würden sie nicht brechen. Den wollte er mit in sein wohl schon geöffnetes Grab nehmen. So hoffte er zumindest, denn nun, da er darüber nachdachte – und er hatte viel Zeit zum Nachdenken – sorgte ihn die Vorstellung, sie könnten ihn einfach verbrennen. Diesen Heiden traute er alles zu. Aber er wollte wieder unter die Erde. In den Schoß der geliebten Mutter seines Volkes.

      Ob er sie wohl fragen könnte, dass er es selbst ausschaufelte, wenn sie es nicht machten? Er lachte über seinen Gedanken und irgendwie schenkte ihm dieser neuen Mut. Den würde er auch brauchen. Das würde ein langer Tag werden. Der letzte Tag, so hoffte er zumindest, denn er wusste nur zu gut, wie lange ein leidender Körper am Leben gehalten werden konnte. Doch wenn seine Lippen sich öffnen würden, so sollten sie nur Flüche in diesen Steinsarg entlassen. Mit angewidertem Blick betrachtete er die stümperhafte Errichtung dieser Grotte. Mehr als ein Loch war es nicht. Es war nicht zu vergleichen mit den Hallen seines Volkes. Diese Gruft besaß keine Seele. Welch Frevel diese Menschen doch begingen. Dieser Anblick beleidigte ihn fast mehr als die Fesseln, die seinen Körper umschlangen.

      Doch immer noch waren seine Peiniger nicht zurückgekehrt. Mit einem staubigen Sack auf dem Kopf hatten sie ihn herunter­getragen. Das war seine erste Erinnerung, die er nach dem Vorfall im Wald besaß. Er versuchte seine Sinne zu schärfen und sich an jedes Detail zu erinnern. Sie legten ihn auf dieser Platte ab, ohne zu bemerken, dass er zu sich gekommen war. Er ließ die Augen geschlossen, als sie ihm den Sack vom Kopf zogen. Erst einmal musste er zu sich finden. Seine Sinne waren trüb und sein Kopf schmerzte. Verwundert spürte er, wie seine Lippen benässt wurden und er musste sich überwinden, nicht zu schlucken und nicht gierig nach mehr zu verlangen. Dabei hatte er irrsinnigen Durst und spürte eine Leere in seinem Magen, als hätte er seit Tagen nichts Festes zu sich genommen. Er überlegte sich, welche Lügen er ihnen verkaufen konnte. Auf keinen Fall durfte er sich in Widersprüche verrennen. Irgendwie musste er sie in die Irre leiten – selbst wenn er nicht hoffen konnte, hier lebend hinaus zu kommen. Aber diese Freude würde er sich nicht nehmen lassen. Er war schließlich ein großer Krieger seines Volkes. Umso mehr schmerzte die Schande, dass er weggelaufen war. Aber gegen einen Magier konnte er nichts ausrichten. Und es waren so viele gewesen. Immer mehr Bilder stiegen in ihm auf. Ganze Reihen von langen Männern, gehüllt in noch längere dunkle Mäntel, waren zwischen den Bäumen aufgetaucht. Wie von einem Donner heraufbeschworen. Gesehen hatten seine Freunde und er diese Gestalten erst, als ein explodierendes Feuer die Nacht zum Tage werden ließ. Grimmige Schatten hatten diese Kreaturen umspielt, so finster, dass nicht einmal die Sterne sie beleuchten wollten. Augenblicklich war klar gewesen, dass sie verloren waren. Die Schreie waren unnötig gewesen, denn der Tod hatte sie allesamt gepackt. Nur mit ihm spielte dieser noch sein grausames Spiel. Als Belohnung für sein schnelles Laufen.

      Jene Nacht war zu viel für ihn gewesen. Fast schon war er dankbar dafür, dass die Folterknechte ihn warten ließen. Sie wollten ihn brechen, das wusste er. Die steinigen Wände sollten sich auf ihn stürzen. Ach, diese Narren, er war ein Kind der Mutter Erde und selbst der härteste


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