Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner

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Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner


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intakten Städten Arbeit zu finden. Doch selbst hart zu arbeiten, reichte meist nicht, um davon auch leben zu können. Meist bot das Militär ihnen den einzigen Ausweg. Ein großer Teil der Männer verließ in den Wintermonaten die Dörfer um sich als Söldner ausbilden zu lassen. Geld gegen Gefolgschaft, das war das Geheimrezept für viele der Stadthalter. Im Sommer bot es den Dörfern zudem scheinbaren Schutz vor kleinen Überfällen. Aber von Frieden war fast nirgends mehr zu sprechen.

      Bald schon ließ der Reiter den Wald hinter sich und hielt auf eine Rauchsäule zu. Als er sich näherte, musste er feststellen, dass er erneut zu spät war. In den vergangenen Wochen war es schlimmer geworden und er wusste nicht, was dies zu bedeuten hatte. Aber das hier war nicht das Werk von ein paar herum­streunenden Soldaten, die sich mit Raubzügen bereichern wollten. Seit einigen Tagen folgte er einer Gruppe von etwa fünfzehn Mann.

      Legarus blieb stehen und horchte. Er kam an einem Ausläufer des Waldes vorbei. Der nun scharfe Wind trug Stimmen des Grauen zu ihm heran. Es erhob sich bereits eine Rauchwolke in weiter Ferne. Er war soweit entfernt, dass er die einzelnen Hütten nicht einmal erkannte. Einige Menschen liefen schreiend davon, doch wurden sie schnell eingeholt. Seine Miene verfinstere sich und er trieb sein Pferd zur Eile an. Doch er war zu weit entfernt. Als die letzten Kehlen verstummten, saß er noch im Sattel und alles was der Wind verbreitete war Kälte. Angelangt lähmte ihn das Grauen. Er hatte schon viel gesehen, doch dies überstieg alle Vorstellungs­kraft. Wer auch immer die waren, sie hatten alles Leben ausgelöscht. Die Flammen nahmen sich den Hütten an und begannen die Spuren zu vertilgen. Die spärlich ausgestatteten Häuser brachen nacheinander in sich zusammen und beißender Gestank legte sich wie ein undurchdringlicher Schleier über das Dorf. Der Geruch von blutdurchtränkter Erde und verbrennenden Leichen hing an jeder Brise, die sich durch die ausgestorbene Siedlung zwang, und drückte schwer gegen die Brust. Allein der Anblick dieser Schandtat reichte, um ihm zuzusetzen, doch mit dem Tod, der bei jedem Atemzug tiefer in die Lungen drang, verkrampfte sich sein Magen. Eigentlich wollte er nur noch weg, an einen Ort, wo er wegsehen konnte und er nicht mit jeder schwindenden Sekunde leiden musste.

      Hier gab es nichts mehr, was Legarus tun konnte. Doch als er weiterziehen wollte, fühlte er, dass er nicht allein war. Zögerlich folgte er seinem Gespür. Er wagte kaum zu hoffen einen Über­lebenden zu finden. Erstaunt fand er ein kleines Mädchen, kaum älter als vierzehn, über seine Mutter gebeugt. Zögernd näherte er sich dem Kind. Lange bemerkte es ihn nicht. Doch urplötzlich sprang es auf und riss ein Schwert von der Wand, um den Leichnam seiner Mutter zu verteidigen. Verkrampft hielt es sich am Schwert fest, das zu schwer für seine Hände war. Die Miene des Mädchens war genauso starr wie ausdruckslos. Nur seine Augen strahlten vor Hass und Wut. Doch dann regte es sich nicht mehr. Es stand nur da. Die Platzwunde am Kopf war bereits am trocknen, aber ansonsten war es kaum verletzt. Dennoch wirkte es wie tot. Von innen tot. Dies alles war zu viel Grauen, zu viel sinnlose Gewalt. Der Tod war allgegenwärtig. Legarus hielt in seiner Bewegung inne. Trauer überwältigte das Mädchen und ertränkte die Wut.

      Das Schwert nicht achtend, nahm Legarus das Mädchen behutsam in den Arm. Ohne Vorwarnung ergoss sich ein Strom warmer Tränen auf den Mantel des Mannes. Die Berührung war sanft, die Umarmung tröstend. Doch es war nicht der Fremde, den es in den Armen hielt. Es vergaß seine Anwesenheit. Es war für das Mädchen wie eine letzte Umarmung mit seinen Eltern. Lange stand es schweigend so da, bevor es erschöpft zusammen­brach. Vorsichtig trug Legarus es aus dem Dorf, hüllte es in eine seiner Decken, und säuberte und verband die Wunde am Kopf.

      Er suchte in den Taschen seines Pferdes nach einer kleinen Flasche und träufelte dem Mädchen einige Tropfen davon auf die Lippen, damit es ruhiger schlief. Sein Atmen beruhigte sich und Legarus musste sich weniger sorgen, dass es sich im Schlaf verletzen würde. Es war besser wenn sein Kopf nun ruhig lag, auch wenn es nicht lebensbedrohlich war, war es besser wenn er sich darum kümmerte.

      Er trat aus dem Gebüsch in das er es gelegt hatte und sah sich in alle Richtungen um. Niemand war zu sehen, doch er wusste in etwa wohin sich die Schergen verzogen hatten. Diesmal durfte er sie nicht davon kommen lassen. Der Bogen war mehr als über­spannt und er war ihnen nah genug.

      Mit einem nachdenklichen Blick auf das Mädchen stieg er auf sein Pferd, gab diesem die Sporen und ritt in die Nacht hinein.

      Gegen Morgen bemächtigten sich dunkle Träume des Mädchens. Die Wirkung des Trankes war verflogen und sein Unterbewusstsein ließ es die letzten wachen Minuten wieder und wieder durchleben. Es sah die sterbende Mutter blutüberströmt zu Boden sinken, während ihr Mörder dunkel auflachte.

      Es hatte dies alles aus nächster Nähe gesehen. Es hätte sich verstecken sollen, doch es konnte es nicht. Als der Mörder abermals auf ihre Mutter einstechen wollte, war sie aus der Hütte hervorgesprungen und auf ihn zugestürmt. Dieser lachte aber nur dunkel auf und trat es mit einem kräftigen Hieb zur Seite. Es stürzte gegen die Wand und verlor sein Bewusstsein.

      Im Osten war der Morgen längst noch nicht zu sehen, als das Mädchen aus einem Albtraum erwachte. Es richtete seinen Ober­körper auf und lehnte sich gegen den Stamm. Es wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Es war noch erschöpft, aber es fürchtete sich zu sehr einzuschlafen. Der alte Mann war seit zwei Stunden zurück und ruhte sich aus. Schlaf fand er aber keinen. Er versuchte sich einen Reim daraus zu machen, doch die vergangenen Wochen ergaben keinen Sinn. Auch nicht das Gelächter der Männer, als er sie schließlich eingeholt hatte. Sie waren wie von Sinnen und selbst die Letzten hatten bis zum Tod gekämpft obwohl ihnen da bewusst sein musste, dass sie nichts gegen ihn ausrichten konnten. Er gab dem Mädchen ein Stück Brot zum Kauen, damit es etwas zu tun hatte. Davon, dass er weggewesen war, sprach er kein Wort.

      Der Alte musterte das Mädchen mit durchdringenden Blicken und so trafen sich ihre Blicke gedankenschwer. Der einsame Pilger und das Mädchen waren sich fremd, doch gab es etwas, das sie verband. Legarus konnte es nicht zurücklassen.

      Am Morgen brachen sie sehr früh auf. Das Mädchen war unruhig und konnte nicht sitzen bleiben. Ständig stand es auf und ging hin und her. Ihr Kopf musste immer noch schmerzen, doch es war zu traurig und zu wütend, um es zu merken. Legarus hätte es besser gefunden, wenn das Mädchen noch liegen geblieben wäre, doch da es dies wohl nicht konnte, fand er es besser sie würden hier weggehen. Mit dem anbrechenden Morgen würde das Mädchen sicher zurück ins Dorf wollen. Aber dort gab es nichts, das es sehen sollte. Sie ließen den Ort des Grauens schweigend hinter sich. Nur einmal, als das noch immer glimmende Dorf am Horizont unterzugehen drohte, drehte sich das Mädchen um, und blickte mit gemischten Gefühlen auf die einstige Heimat. Es wusste, dass es nicht blieben konnte und es wollte es auch nicht.

      Der einst einsame Pilger hatte nun Gesellschaft. Darüber wunderte er sich wohl selbst am meisten. Es war schon lange her, dass er unter Menschen weilte. Dennoch hatte er viel Trauer und Leid gesehen und oft auch Mitleid gefühlt, aber er hatte sich nie einer verlassenen Seele angenommen. Er half, wenn er sah, dass seine Hilfe notwendig war, aber dann verschwand er so wie er gekommen war. Er wusste zu welchen Forderungen es führte, wenn er irgendwo länger blieb. Aber das Mädchen würde diese Wünsche nicht äußern und vielleicht fand er auch einen sicheren Ort für es.

      Lange durchstreiften sie das Land, ohne dass ein überflüssiges Wort fiel. Unruhig hielt der alte Mann den Horizont im Blick. Er suchte nach Zeichen, die er eigentlich nicht sehen wollte. Nach einem weiteren Tagesmarsch gegen Osten, entzündete Legarus ein kleines Lagerfeuer an das sie sich setzten.

      „Wer bist du?“ Das vom Schicksal getroffene Mädchen gab erstmals ein Wort von sich. Legarus hatte sich an das Schweigen des Mädchens gewöhnt, und war sichtlich überrascht von der unvermittelten Frage. Er dachte eine Weile nach und wog seine Worte genau ab.

       „Ich bin Legarus, Feind aller Verräter, Freund, dem der einen braucht.“ Ein Glitzern in seinen Augen verriet, dass er nicht viel von sich preisgeben wollte. Seine zerschlissenen und von der Sonne geblichenen Kleider standen in groteskem Gegenteil zum restlichen Erscheinungsbild. Ihn umgab eine kraftvolle Aura, die Willenskraft und Weisheit ausstrahlte. Sein bis jetzt nachdenkliches Gesicht nahm weichere Züge an, als er die Frage erwiderte. Durch ein weiteres Lächeln des alten Mannes wurde das Mädchen redseliger und begann zaghaft von sich zu erzählen.

      „Mein Name ist Asylma und


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