Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner

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Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner


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Doch da mischten sich fremdartige, leise, aber doch störende Töne in die Musik der Arbeit des Mannes. Erneut waren es verhallende Schritte, die baldiges Eintreffen ankündigten. Der Mann bemerkte es zunächst nicht und ließ nichts von seinem neu erlangten Elan missen. Selbst als sich ein neues Lichtspiel an der Wand breitmachte, sah der Mann nicht von seiner Arbeit auf.

      „Wie ich sehe, hast du Gesellschaft gefunden, verehrter Zwerg“, höhnte eine hohe, verächtliche Stimme von der Treppe her und die felsigen Wände waren begierig sie verzerrend zurück­zuwerfen. In einiger Entfernung folgten zwei Soldaten lärmend herab.

      Wenigsten waren seine pochenden Kopfschmerzen abge­klung­en, denn diese Stimme war so schon schwer genug zu ertragen.

      Der alte Mann hielt erschrocken inne. Der Zwerg aber ließ kein Zucken über sein Gesicht fahren.

      Für den Handwerker interessierte sich der Ankömmling jedoch nur geringfügig. Ohne eine Begrüßung ließ er diesen vor dessen Büste unbeholfen und mehr als nur wenig verunsichert verharren.

      Der Zwerg spannte seine Muskeln, während er die sich nähern­den Schritte des Störenfrieds vernahm.

       „Du wirst sicher nicht mit mir reden wollen?“, fragte der bleiche Ankömmling mit einem beinahe liebevollen Ton, der dem Zwerg das Gefühl gab, er müsse sich übergeben.

       „Schade, und dabei bin ich doch froh solch hohen Besuch in dieser schlichten Halle empfangen zu dürfen“, fuhr die hagere Gestalt ihren Monolog fort. „Nicht wahr? Das bist du doch. Herr Almar, Wächter über die Hallen der Herrin der Welt der Regenwürmer.“ Der Mann lachte. Nicht nur dem verängstigten Steinmetz lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Dieses Lachen hatte nichts Menschliches an sich. Nicht, dass einen Zwerg so etwas stören sollte, und dennoch tat es dies. Es drang tiefer als jedes Messer und griff mit kalten Fingern nach dem Herzen. Es ließ ihn erahnen auf welch finsteren Pfaden er seinen Weg ins Totenreich beschreiten würde. Fast schon betete der Zwerg zur Mutter Erde, dass der Handwerker ihn foltern sollte. Denn so wenig er über diesen Neuankömmling wusste, eines war er sich sicher – dieser verstand sein grausames Handwerk.

      So leicht, wie er es sich in den letzten Stunden vorgestellt hatte, würde er diesen Mann nicht hinters Licht führen können. Woher wusste dieser das alles? Keiner hatte seinen Namen erwähnt, dessen war er sich sicher. Nur an wortlose Schreie der Wut konnte er sich erinnern. Angst beschlich Almar, nicht wegen der Messer, sondern wegen des Wissens dieses Mannes.

       „Du wunderst dich sicher, warum du hier bist“, fuhr der Mann mit einer Gleichgültigkeit fort, die allein schon furchterregend war. „Nun, nenn es Zufall. Einer meiner Schüler wollte meine Gunst gewinnen. Dachte du wärest nützlich – doch da hat er sich geirrt.“

      Die dürre Gestalt in ihrem dunkelblauen langen Umhang schritt gemächlich um die steinerne Platte, auf der der Zwerg wie auf einer Totenbarre lag. Mit vorgetäuschtem Interesse fuhr er mit seiner leichenblassen Hand über den muskulösen Körper des Gefesselten. Dieser jedoch gab keine Regung von sich. Er würdigte seinen Peiniger mit keinem Blick. Ein solches Gesicht musste man nicht gesehen haben, soviel stand fest. Jemand, der eine solch unnatürliche Stimme, die seine nannte, konnte nicht von Schönheit gesegnet sein.

       „Wie du dir nun sicher einredest, mir nichts zu verraten.“ Der Wortführende zwang sich zu einem mitleidigen Lachen. „Aber alles unnötig. Selbst dein Tod. Nicht einmal einen ehrenhaften Tod wirst du erleiden. Denn ich weiß bereits mehr als selbst du. Aber ...“, er hielt kurz inne, wobei er seine kalten Finger auf der Schulter des Zwerges ruhen ließ. „... ich will kein Unmensch sein.“ Ein markerschütterndes dünnes Lachen ertönte aus seiner Kehle. „Wenn du mich um einen schnellen Tod bittest, so werde ich ihn dir gewähren.“ Er beugte seinen Kopf über jenen des Zwerges um sein Gesicht zu so etwas Ähnlichem wie einem Lächeln zu verzerren. „Nur ein Wort und du kannst deinem Volk in die Welt der Toten vorausschreiten.“ Er fuhr über die Stirn des Zwerges. „Du wirst nicht lange auf sie warten müssen – dafür werde ich sorgen.“

      Kein Zucken verriet, dass der Zwerg überhaupt am Leben war.

      Der blasse Mann ließ einige Male seine Hand auf der Brust des Zwerges hüpfen, bevor er sich mit enttäuschtem Kopfschütteln abwandte.

      „Schade, ich hätte mich dir gerne gnädig gezeigt“, meinte er mit einem kalten Lachen.

      Der Mann ging mit leichten Schritten zur Treppe hin, bevor er abermals innehielt.

       „Tibur würde es dir etwas ausmachen mir eine Statur von ihm in Lebensgröße anzufertigen? Ich werde beim Stadthalter auch ein gutes Wort für dich einlegen.“ Er wartete auf keine Antwort und betrat die Treppe. Der Handwerker nickte stumm, verängstigt nun doch vom Magiermeister des Zirkels der Acht wahrgenommen worden zu sein. Es war das dritte Mal, dass er ihm persönlich begegnet und mit keinem dieser Tag verband er angenehme Erinnerungen.

      „Bringt beide in das Verlies und besorgt ihm einen ausreichend großen Stein“, meinte er zu den beiden Wachen, die ihn herunter begleitet hatten.

      Als diese auf den Zwerg zugingen, hallte eine sich entfernende Stimme die Treppe hinunter.

      „Nur weil die Zwerge bald alle Geschichte sind, heißt es ja nicht, dass sich keiner erinnern soll, dass es sie einst gab.“ Während die Schritte leiser wurden, drang ein letztes finsteres Lachen bis zu den übrig Gebliebenen herunter.

      Der Schatten

      Die Sonne spendete ihre letzten Trost bringenden Strahlen, bevor sich ein dunkler Mantel über Land und Leute legen würde. Ein einsamer Reiter ritt zügig am schützenden Wald entlang. Gedankenvertieft pfiff er ein melancholisches Lied in die rasch kühler werdende Abendluft. Kaum einer kannte es noch, es stammte aus einer längst vergangenen Zeit und erzählte von den altvorderen Königen, die alle Völker und Rassen Calvaldurs unter einem Banner vereinten. Obwohl er sehr alt war, stammte es doch aus einer Zeit lange bevor er geboren war. Seine Sorgen waren in letzter Zeit schlimmer geworden und nicht einmal die Menschen waren mehr in einem Bündnis. Fast überall waren geordnete Strukturen verfallen und es bildeten sich immerzu Gruppen, die glaubten ihre Macht ausleben zu müssen. Bis auf wenige Ausnahmen überließen die Könige es den unter ihnen herrschenden Strukturen sich selbst zu festigen, solange die Steuern ausreichend flossen.

      Große Kriege hatte es lange nicht mehr gegeben, aber es wimmelte überall von Soldaten und Söldnern, da jeder Stadtherr seine Truppen brauchte um halbwegs für Ordnung zu sorgen. Doch längst boten sie nicht nur Schutz. Sie waren Fluch und Segen zugleich.

      Unermüdlich trug der kastanienbraune Hengst den vom Alter gezeichneten Wanderer. Ohne ein reales Ziel seiner Reise zu kennen, setzte er Tag um Tag seinen Weg fort. Überall wo er auftauchte erzählte man sich wundersame Geschichten über einen Schatten. Eine konturlose Erscheinung, die wie aus dem Nebel auftauchte und die Schergen der zahllosen gierigen Stadthalter niederstreckte. Viel Hoffnung war dem einfachen Volk nicht mehr geblieben. Einen ernsten Widerstand, der der Gewalt und der Ausbeutung Einhalt gebot, gab es nicht mehr. Andächtig wurde erzählt, wenn der Schatten den üblichen Plünderungen und der Willkür gegen das eigene Volk entgegentrat, um dann gleichsam wieder im Schleier des Waldes zu verschwinden. Diese seltsame Gestalt war die Hoffnung, die die letzten Widersacher am Leben hielt.

      Jahre waren so verstrichen, Tyrannen wechselten sich ab, um dann selbst in Vergessenheit zu geraten. Magier, die einst zum Schutz aller gedient hatten, zeigten sich selten und die meisten lebten zurückgezogen. Sie waren des fortwährenden Wechsels von Krieg und Frieden überdrüssig geworden. Bis auf Splitter­gruppen hatten sie sich zu dem Bündnis der Acht Türme zusammen­geschlossen und widmeten sich der Lehre und der Heilkunst und solange keiner zu mächtig und finster wurde, überließen sie die Reiche der Menschen sich selbst. Es gab nur noch wenige Narren, die zu hoffen wagten. In den Dörfern zeigte sich stets das gleiche Bild. In den Gesichtern der Kinder spiegelte sich die Aussicht auf eine trostlose, mit jedem Tag unsicherer werdende Zukunft. Die Strukturen zerfielen vielerorts und das organisierte Verbrechen nahm sich, was es wünschte. Übrig bleib das Nötigste, um zu überleben. Die Bauern mussten geheime Verstecke anlegen, wollten sie die Winter überleben.


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