Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner

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Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner


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verfallen ist. Selbst die Befestigungsanlagen sind ausbesserungswürdig“, erwähnte Brontes wie beiläufig.

      Der Schmied hielt die Zügel. Als Legarus auffiel, dass dieser im Halbkreis geritten war, erlangte er neuen Mut. Wenige Hufschläge später tauchte vor ihnen ein gigantisches Trümmerfeld auf, das einst wohl eine beeindruckende Mauer gewesen war. Jetzt aber legten die Trümmer eine gut zwanzig Meter breite Öffnung in der Verteidigungsanlage frei, durch die eine Armee hindurch­marschieren könnte, ohne dabei aus dem Takt zu geraten. Diese Öffnung war von etwa zehn Mann bewacht gewesen, nun aber kündeten nur noch ihre zurückgelassenen Pferde von ihrer einstigen Tätigkeit. Mit dem Beginn des Tumultes, hatten auch sie ihre Posten verlassen. Dank des Schlenkers, den Brontes eingeschlagen hatte, waren nun alle Soldaten des Stadthalters hinter ihnen.

      Ungestört passierten sie die Ruine. Brontes stieg von Naskur und übergab Legarus die Zügel. Mit sich selbst zufrieden ging er auf die herrenlosen Pferde zu, bestieg eines und nahm ein weiteres bei den Zügeln.

      Mit einem breiten Grinsen überholte er Legarus und führte ihn westwärts der Mauer entlang zu Asylma.

      Asylma versteckte sich hinter einem kleinen Busch nicht unweit vom Spalt und lehnte sich erschöpft gegen die Stadtmauer. Beide waren erfreut sie unversehrt wieder zu sehen. Mit seinem neu gewonnenen Elan ritt Brontes voraus, doch dann zog er erschrocken die Zügel. Das Pferd reagierte nervös, weil es sich noch nicht an seinen neuen Reiter gewöhnt hatte. Legarus schloss auf und verengte besorgt seine Augen. Asylma war nicht allein. Im Spalt lag ein Soldat. Seine Kehle war durchgeschnitten. Der Schrecken stand ihm noch im Gesicht. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, war diesem armen Kerl nicht einmal die Zeit geblieben, irgendeinen vernehmlichen Ton von sich zu geben. Asylma hatte ihn soweit nach vorne gezogen, dass er den Spalt vollständig verstopfte und seine ausgestreckten Arme verhinderten, dass er zurückgezogen werden konnte.

      Mit diesem Bild vor Augen verging Brontes das Grinsen. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Sein Mund öffnete und schloss sich mehrmals, bevor er anerkennend nickte.

      „Du scheinst einiges auf dem Kerbholz zu haben, junges Fräulein“, meinte Brontes und zwinkerte ihr freundlich zu. Asylma quittierte diese Bemerkung mit einem etwas frechen Grinsen. Legarus musste erst einen Kloß herunterschlucken und versuchte sie zu tadeln. Er stellte sich dabei aber so wenig überzeugend an, dass sie es mit einem Achselzucken überspielte.

      Der Aufbruch

      „Wir können hier nicht verweilen“, meldete sich der Schmied wieder zu Wort. „Sie werden unseren Spuren folgen!“ Er überlegte kurz. „Du hast gesagt du möchtest nach Osten in die Berge?“ Auch wenn seine Stimme fest und überzeugend klang, so war doch ein leiser Hauch von Zweifel zu vernehmen. Ihm fiel seine Unsicherheit auf und so fuhr er entschlossener fort. „Dann sollten wir nach Norden in den Wald. Kommt, lasst uns reiten!“ Er zog an seinen Zügeln und lenkte sein Pferd nach Norden.

      Legarus hatte nichts dagegen einzuwenden. Ohnehin wollte er diesen Weg einschlagen. Er blickte zurück. Etwas stimmte hier nicht, doch auch darauf fehlte ihm eine Antwort.

      Für Asylma war das Pferd zwar zu groß, doch sie schlug sich gut. Ohne Hilfe schaffte sie es in den Sattel und ihrer Haltung war anzusehen, dass sie schon oft geritten war. Sie war auch die erste die Brontes im zügigen Galopp folgte. Sie waren zwar entkommen, aber konnten sicher sein, dass Brandolf sie nicht so einfach davonkommen lassen würde. Was immer seine Absicht gewesen war, er würde versuchen sie einzuholen. Und sei es nur, um seine Macht zu untermauern. Aber was war sein Plan? So sehr sich Legarus einreden wollte, dass es bloß Zufall war, es ergab einfach keinen Sinn. Warum wollte Brandolf sie festnehmen und woher wusste er, wer er war? Und wer hatte Brontes gewarnt? Alles war so schnell gegangen und bei dieser Flucht wirkte nicht allein ihr Glück und auch nicht Brontes' Geschick. Warum brauchten die Verfolger so lange um sich zu formieren? Warum hatten die Soldaten an der Ruine ihre Stellung verlassen?

      Der Boden raste unter ihnen hinweg. Nur die harten Hufschläge durchbrachen die trügerische Stille, während die ersten noch zarten Wiesenblumen unter ihrem Gewicht knickten. Doch diese Idylle schmeckte Legarus gar nicht. Weit hinter ihnen sah er eine mächtige Staubwolke aufsteigen. Ein beunruhigendes Gefühl bemächtigte sich seiner. Dinge gerieten ins Rollen, die nicht mehr aufzuhalten waren. Fragen quälten ihn, Fragen, deren Antworten nur noch mehr Fragen aufwarfen. Seine tiefsitzenden Sorgen, drängte er zurück, da er sich nun dringenderen Problemen widmen musste.

      „Brontes siehst du die Anhöhe dort?“

      „Ja“, rief der Schmied in Legarus' Richtung, da der Wind und die harten Hufschläge die Verständigung fast unmöglich machten. Hinzu kam, dass ihre neu erlangten Rösser sich nur widerwillig zu diesem mörderischen Tempo hinreißen lassen wollten. Nur instinktiv wollten sie mit Naskur Schritt halten.

      Legarus drehte seinen Körper nach hinten und vertraute darauf, dass Naskur die Richtung beibehielt und auf den Weg achtete.

      „Reitet dorthin, und wenn das Gelände leicht abschüssig wird siehst du nordwestlich einen Pfad der in den Wald führt. Folge ihm bis du einen befestigten Graben durchqueren musst, dann dringe an einer lichten Stelle in den Wald und gehe quer zum Pfad etwa tauschend Schritt. Dort findest du eine Hütte. Übernachtet dort. Ich werde in der Nacht zu euch stoßen.“

      „Was hast du vor?“ Brontes gefiel es nicht, dass sie sich trennen sollten.

      „Der Boden ist trocken. Sie brauchen nur unserer Staubwolke zu folgen. Bis zum Abend werden sie diese nicht verlieren, selbst wenn sie nicht mit uns Schritt halten würden. Ich werde eine andere Spur legen, der sie folgen können.“

      „Das schmeckt mir nicht“, hielt Brontes widerwillig dagegen.

      „Ich folge euch bis zur Anhöhe, aber lasse mich zurückfallen.“

      Brontes reagierte nicht darauf.

      „Vertrau mir. Sie werden mir folgen.“

      „Das macht mir ja Sorgen.“

      „Sollten sie mich einholen werden sie es bereuen.“

      Brontes wollte Legarus nicht allein der Gefahr aussetzen.

      „Tue es für Asylma“, redete Legarus ihm ins Gewissen.

      Brontes wandte seinen Blick zur Seite. Sein Brummen war wegen der harten Hufschläge nicht zu hören und auch sein darauf folgendes Nicken, war wegen dem Galopp nicht zu erkennen. Er spornte sein Pferd an und dieses zog widerwillig an Naskur vorbei. Legarus sprach Asylma Mut zu und versprach ihr, bald wieder bei ihr zu sein. Ihre Augen waren feucht, aber das mochte auch dem Wind geschuldet sein. Nur ihr Blick mit dem sie Legarus folgte, als dieser sich langsam zurückfallen ließ, zeigte wie wenig es ihr gefiel. Legarus gab ihrem Pferd einen kräftigen Klapps auf das Hinterteil und so überwand dieses schnell die Lücke die zu Brontes entstanden war.

      Brontes rief Asylma zu sich, da er sie nun lieber neben sich wusste. Auch er sprach ihr Mut zu und feuerte sie beide zu mehr Eile an. Je schneller sie ritten, umso schneller konnte Legarus ihnen folgen. Für den Moment war das alles, vorauf sich Brontes konzentrierte.

      Immer zu drehte er sich nach hinten. Nachdem sie die Anhöhe hinter sich gelassen hatte, konnte er die Staubwolke ihrer Verfolger nicht mehr sehen. Legarus war etwa hundert Schritt hinter ihnen und drehte leicht von ihrem Weg ab. Brontes wusste nicht recht, ob seine Augen ihm einen Streich spielten, aber er wurde den Eindruck nicht los, dass Legarus für einen Reiter mächtig viel Staub aufwirbelte.

      „Komm, bald haben wir es geschafft“, spornte Brontes sie ein letztes Mal an. Mit neuer Zuversicht hielt er auf den Wald zu. Je eher sie vom Horizont verschwanden, umso besser. Er drehte sich kein weiteres Mal um. Erst als er den Wald betrat, überzeugte er sich, dass von ihren Verfolgern noch nichts zu sehen war. Noch hatte keiner von ihnen die Anhöhe erreicht. Aber lange würde es nicht mehr dauern, denn die Wolke, die sie verriet war nicht mehr weit entfernt.

      Brontes ließ die Pferde in einen zügigen Trab auslaufen. Die Erde war hier feuchter und sie würden so keine weit sichtbare Fahne hinterlassen. Er konnte jetzt nur


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