Unfassbar traurig. Ute Dombrowski
Читать онлайн книгу.hat das Mädchen gesehen. Der Obduktionsbericht ist noch nicht da.“
„Zum Teufel aber auch! Dann holen Sie ihn. Frau Grassoux, ab in die Gerichtsmedizin! Und Sie, Herr Waldhöft? Haben Sie eine Idee, womit Sie sich sinnvoll beschäftigen können?“
Ella hatte eine böse Erwiderung auf der Zunge, aber sie schluckte sie tapfer hinunter. Schon oft war sie mit Dr. Rosenschuh aneinandergeraten. Ihm passte ihre schnippische Art nicht und sie hatte nicht die Ruhe und den inneren Abstand, um nicht jedes Mal heftig zu reagieren.
„Ich bin dabei, die Vermisstenfälle durchzugehen und das dauert nun mal eine Weile“, erklärte Ferdinand sachlich. „Es kann ja sein, dass sie schon länger als vermisst gilt. Da wir nicht genau wissen, wie alt sie ist, können wir die Suche noch nicht genügend eingrenzen.“
Der Staatsanwalt hatte nur verächtlich geschnauft und war aus dem Büro gerannt. Ferdinand rief das nächste Bild auf, aber es war wieder kein Treffer. Das Mädchen, das hier verschwunden war, war zwar blond wie das Opfer, aber viel jünger. Sie war mit sechs Jahren im Schwimmbad verschwunden, als ihre Eltern die Sachen zusammengeräumt hatten. Sie hieß Nicola und müsste jetzt elf Jahre alt sein.
„Wie schrecklich für die Eltern, wenn sie nicht wissen, ob ihr Kind lebt oder bereits tot ist“, murmelte er beim Anblick des kleinen Mädchens mit den blonden Zöpfen, das auf einer Wiese saß.
Ferdinand sah einen Baum und neben dem Mädchen, das mit ihren blauen Augen strahlte, lag ein Strohhut. Nach einer halben Stunde ging die Tür wieder auf und Ella kam mit einer Akte hinein. Sie warf sie Ferdinand zu und ging an den Kühlschrank, um sich eine kalte Cola herauszunehmen. Sie leerte die kleine Flasche in einem Zug und rülpste ungeniert.
„Prost Mahlzeit!“, sagte sie und setzte sich.
„Wie war es?“
„Wie war was?“
„Wie war es in der Gerichtsmedizin? Gibt es Neuigkeiten?“
„Es war wunderbar kühl, der Doc hat geredet wie ein Wasserfall und der Gestank nervt mich immer noch. Zufrieden?“
„Kannst du mal bitte deine miese Laune an jemand anderem auslassen? Rede nicht mit mir, als wäre ich der letzte Arsch.“
Ferdinand war sauer, denn auch heute hatte seine Kollegin schlechte Laune.
„Oh, nun sei doch nicht so empfindlich. Also, Neuigkeiten: erstens eine Menge DNA, die schon überprüft wird. Zweitens: Es gibt sie nicht.“
„Es gibt wen nicht?“, fragte Ferdinand verständnislos.
„Die Identifizierung ist ein Problem. Sie hat keinen Ausweis, es gibt keine Merkmale wie einen Zahnstatus, den man einem Zahnarzt zuordnen kann. Drittens kann man ihr Alter auf sechzehn bis achtzehn Jahre bestimmen, aber irgendwie gibt es sie nicht wirklich. Wir müssen schauen, ob und wann sie vermisst wurde und es ist nicht einmal klar, ob sie aus Deutschland stammt.“
Ferdinand hatte gebannt zugehört und in seinem Kopf ratterten die Gedanken hin und her. Er widmete sich wieder dem Computer und gab die Daten ein, die er kannte. Die Datei war noch nicht vollständig, es gab nur Vermisstenfälle, die fünfzehn Jahre zurückreichten. Alles, was vorher geschehen war, lag im Archiv in endlosen Regalen.
„Wir müssen ins Archiv. Hier passt keine der Vermissten ins Bild.“
„Dann geh mal schön alleine, ich habe jetzt einen Termin.“
„Was denn für einen Termin?“
„Meine Süße will mit mir essen gehen. Sie meinte heute früh, sie hätte mir etwas zu sagen.“
„Ist das jetzt gut oder schlecht?“
„Keine Ahnung“, knurrte Ella und fuhr ihren Computer herunter. „Vielleicht will sie ja jetzt doch heiraten.“
„Dann viel Glück. Es ist noch früh, also mache ich mich sofort auf den Weg. Wir sehen uns morgen.“
Ella hatte nichts mehr gesagt und war schon verschwunden. Ferdinand beschloss, vorher im Archiv anzurufen und zu fragen, ob er jetzt noch kommen dürfe.
Er läutete dreimal, dann meldete sich eine erotische Stimme, die so gar nicht in die trockene Atmosphäre zwischen den staubigen Akten passte.
„Minettoz. Was kann ich für Sie tun?“
Er war versucht zu sagen, dass er gerne eine Massage hätte, aber dann fand er die Idee sehr unpassend.
„Ferdinand Waldhöft, Polizeipräsidium Eltville. Wir haben eine unbekannte Tote. Ich brauche Ihre Hilfe, denn es macht den Eindruck, als würde es diese junge Frau gar nicht geben.“
„Aha, das klingt ja merkwürdig. Aber eigentlich geht das gar nicht, denn wenn sie tot ist, muss sie ja auch gelebt haben.“
„Darf ich jetzt noch kommen?“
„Ich frage meine Kollegin, die ist bestimmt nicht sauer, wenn sie später Feierabend hat.“
Es dauerte einen Moment, dann war Riva wieder am Telefon und sagte, dass der Kommissar willkommen wäre. Ferdinand wollte gerade gehen, da klingelte sein Telefon.
„Waldhöft“, meldete er sich.
Es war die Gerichtsmedizin. Man hatte jemanden gefunden, der zur DNA des Mannes passte, der seine Spuren am Opfer hinterlassen hatte. Der Kommissar rang mit sich, ob er zuerst in die Gerichtsmedizin fahren sollte, entschied sich aber dagegen. Er erklärte, warum er erst morgen kommen würde und gab eine Fahndung nach dem vermeintlichen Täter heraus.
Endlich machte er sich auf den Weg nach Wiesbaden. Als er auf dem Parkplatz angekommen war, fiel ihm ein, dass hier auch die berühmte Bianca Verskoff arbeitete. Vielleicht würde er sie endlich einmal persönlich kennenlernen. Die Kollegen hatten gesagt, seit ihr Mann und sein Kollege tot waren, hatte sie sich vollkommen zurückgezogen und war unnahbar geworden. Mit Spannung betrat er das Gebäude, wo er sich am Empfang anmeldete.
„Ich bin Ferdinand Waldhöft und habe einen Termin im Archiv.“
„Fahren Sie mit dem Aufzug hinunter. Frau Verskoff erwartet Sie.“
Oh, dachte er, ich werde sie tatsächlich treffen. Mit schnellen Schritten war er am Fahrstuhl angekommen und fuhr abwärts. Im Keller war es kühl. Ein Summen, das Ferdinand nicht zuordnen konnte, durchbrach die Stille. Es schien aus einem der hinteren Räume zu kommen.
„Guten Tag, Herr Waldhöft“, sagte eine Stimme hinter ihm.
Der Kommissar drehte sich um und sah eine schlanke Frau mit schulterlangen dunklen Haaren in der hinteren Tür stehen, aus der jetzt ein helles Licht floss. Die Traurigkeit ihres Herzens schwappte wie eine Welle über ihn, obwohl sie lächelte. Es waren ihre Augen, die wie hinter einem Schleier aus Schmerz zu liegen schienen.
„Frau Verskoff?“
Die Kommissarin nickte und ging Ferdinand entgegen.
„Wir können uns ins Besprechungszimmer setzen, dort ist es freundlicher als hier unten.“
„Das macht mir nichts aus, Frau Verskoff, wir können gerne hierbleiben. Nur kein Aufwand.“
„Gut“, sagte Bianca und ging zurück in ihr Büro.
Sie setzten sich an den Schreibtisch, nachdem Bianca den zweiten Stuhl an die gegenüberliegende Seite gerollt hatte. Im Vorbeigehen war Ferdinands Blick auf den Bildschirm gefallen. Das kleine Mädchen saß auf einer Wiese und ein Strohhut lag neben ihr. Die blauen Augen leuchteten fröhlich und die Sonne schien.
„Nicola“, sagte Ferdinand und sah Biancas verblüfften Blick. „Wenn ich ihr Lachen sehe, muss ich immer an die Mutter denken, die ihr kleines Mädchen vermisst. Ob sie noch lebt?“
Bianca hatte schnell den Bildschirm ausgeschaltet, denn irgendwie erschien es ihr sonderbar, dass ein Fremder Nicola kannte. Ferdinand ahnte, dass dieses Bild etwas Besonderes war, darum wechselte er rasch das Thema.
„Wir