Unfassbar traurig. Ute Dombrowski
Читать онлайн книгу.gab er sich zufrieden, aber er würde es weiter versuchen, die Frau aus diesem Keller zu holen.
Seufzend war er oben angekommen. Dort grinste der junge Polizist an der Anmeldung.
„Na, auf Granit gebissen?“
Ferdinand stützte sich auf dem Tresen ab und nickte.
„Wir haben einen Fall, bei dem sie uns echt helfen könnte, aber sie will hier nicht raus.“
„Eher friert die Hölle zu, Kollege, als dass diese Frau in ihr Präsidium zurückkehrt.“
„Das wollen wir doch mal sehen“, sagte der Kommissar und machte sich auf den Heimweg.
Auch Bianca räumte auf und fuhr heim. Weil ihr Kühlschrank leer war, holte sie sich eine Pizza und aß sie im Auto, während sie auf dem Parkplatz über Ferdinand Waldhöft nachdachte.
„Warum will er mich denn unbedingt ins Büro locken? Er kann das alles selbst lösen. Außerdem hat er doch eine Partnerin“, sagte sie in den Pizzakarton, aber der antwortete nicht.
Sie klappte ihn zu und legte ihn auf den Beifahrersitz, danach machte sie sich auf den Weg in ihre leere Wohnung, wo sie hinter sich zweimal den Schlüssel drehte.
Das Bild von Michael stand auf ihrem Nachtschrank und sie nahm es wie jeden Abend in die Hand. Mit Tränen in den Augen presste sie ihre Lippen auf das kühle Glas und strich mit dem Finger über sein lachendes Gesicht.
„Schatz, warum hast du mich von dem Haus weggeschickt? Ich könnte jetzt bei dir sein. Wie gerne wäre ich mit dir gestorben, dann müsste ich jetzt nicht ohne dich leben.“
Michael antwortete ebenso wenig wie der Pizzakarton, aber Bianca wusste, was er antworten würde: „Du sollst leben, mein Engel. Ich bin bei dir und wache über dich.“
Sie wollte Ferdinand Waldhöft gerne helfen, aber sie konnte nicht aus ihrer Haut. Morgen, dachte sie, morgen schaue ich mir nochmal alle Vermisstenfälle an, bei denen Mädchen mit blonden Zöpfen abgebildet sind, egal, wie alt sie jetzt sein würden.
7
Ella saß weinend auf dem breiten Fensterbrett und schaute von oben zu, wie ihre verlorene Liebe die letzte Tasche im Kofferraum verstaute. Sie hatte es tatsächlich wahrgemacht und war gleich weg. Sollte sie hinterherlaufen und sie zurückholen?
„Nein, ich habe auch meinen Stolz“, flüsterte Ella tränenerstickt.
Sie riss sich von dem Anblick los, der ihr nur Schmerzen bereitete und ging unter die Dusche. Ihr Blick war auf den kleinen Schlüsselbund gefallen, den die Freundin dorthin gelegt hatte, ehe sie die Tür hinter sich zugezogen hatte. Sie hatte wahrhaftig gelächelt. Es schien ihr wie eine Befreiung zu sein.
Ella ging unter die Dusche, schrubbte ihren Körper, bis er rot war und irgendwie fühlte sie sich, als hätte sie ein wenig von den Verletzungen ihrer Seele mit weggeschrubbt. Sie zeigte sich nach außen immer als harte und durchsetzungsfähige Frau, aber in ihrem Inneren war sie weich und sehnte sich nach Liebe.
Als sie ins Handtuch gewickelt aus dem Bad kam und den Schlüssel erneut ansah, griff sie danach und schleuderte ihn wütend gegen die Tür.
„Dann bleib doch, wo der Pfeffer wächst! Ich komme auch ohne dich klar. Ferdinand hat recht: In unserem Job sind Beziehungen scheiße.“
Sie zog sich an, wuschelte die roten Haare zurecht und setzte sich vor den Fernseher, um kurze Zeit danach wieder aufzuspringen. Sie hatte plötzlich Hunger und machte sich auf den Weg in die nächste Pizzeria. Sie aß die heiße Pizza direkt aus dem Karton, nachdem ihr am Tresen der Duft in die Nase gestiegen war.
„Sie könne auch einen Teller bekommen“, sagte die Bedienung.
„Kein Ding“, erwiderte Ella mit vollem Mund und sah über den Stehtisch hinweg zu dem Pärchen an der Theke.
„Was möchtest du, Schatz?“
Sie himmelte ihn an und sagte: „Es ist mir egal, Hauptsache, du bist bei mir.“
Pah, dachte Ella, noch ist die Liebe frisch, aber wartet mal, wenn euch der Alltag eingeholt hat. Am liebsten wäre sie zu den jungen Leuten hinübergegangen, um sie über das Leben aufzuklären, doch die bezahlten und gingen mit ihren zwei Kartons hinaus.
„Schlechte Laune?“
Ella sah auf und der Bedienung direkt in die blauen Augen. Sie schüttelte den Kopf und schluckte das letzte Stück Pizza hinunter.
„Nein, es geht mir super.“
„Ich bin Romi. Wenn du reden willst …“
„Ich will nicht reden. Und schon gar nicht mit einer Frau.“
Sie ließ den Karton liegen und lief eilig zur Tür. Dort begriff sie, wie blöd sie sich gerade verhalten hatte und kam zurück.
„Sorry, mir geht es mies. Meine langjährige Freundin, wegen der ich von Berlin hergekommen bin, hat mich eben verlassen. Ich wollte nicht so unhöflich sein.“
„Kein Problem. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.“
Nun machte sich Ella auf den Heimweg, lehnte sich an die geschlossene Wohnungstür und rutschte weinend an ihr herunter.
Am nächsten Morgen fuhr sie sehr früh ins Büro, nachdem sie um fünf Uhr aus einem Alptraum hochgeschreckt war und nicht wieder einschlafen konnte. Sie hatte geträumt, dass man ihr bei der Bewerbung zur Polizistin gesagt hatte, sie solle sich von ihrer Familie verabschieden und sich von ihrer Frau trennen, denn es würde keinen Sinn machen. Dabei standen hundert Frauen mit dem Gesicht ihrer Freundin um sie herum und nickten mitleidig.
Ella schüttelte sich kurz, als sie an ihrem Schreibtisch an den Traum dachte. Sie würde sich nie wieder verlieben. Das hatte sie sich ganz fest vorgenommen. Mit einem bösen Grinsen fuhr sie den Computer hoch.
Sieben E-Mails waren heute Morgen schon angekommen. Eine enthielt mehrere Ergänzungen zum Obduktionsbericht. Dort stand, dass das Opfer in den Weinbergen sich regelmäßig gesund ernährt und ausreichend Wasser getrunken hatte. Ella fragte sich, woher die das wissen konnten.
Außerdem hieß es, dass sie gepflegt war, keinerlei Schäden an den Zähnen und sich niemals etwas gebrochen hatte. Ihr waren vor drei Wochen die Haarspitzen geschnitten worden. Das einzig Auffällige war die blasse Haut.
Hinter ihr ging die Tür auf und Ferdinand betrat das Büro. Er stutzte. Seine Kollegin war sonst nie vor ihm da.
„Nanu?“
Ella winkte ab.
„Ich konnte nicht schlafen, also bin ich aufgestanden und zur Arbeit gegangen.“
„Wie geht es dir?“
„Was denkst du denn? Soll ich jetzt sagen, es geht mir super? Gestern ist meine Freundin endgültig aus meinem Leben verschwunden, aber das macht ja nichts. Ich habe jetzt endlich wieder richtig Zeit zum Arbeiten. Toll, oder?“
Ferdinand ging zu seinem Schreibtisch, setzte sich, stand wieder auf, brachte die Kaffeemaschine in Gang und lehnte sich ans Fensterbrett.
„Ella, es tut mir leid. Ich wollte nur höflich sein. Es ist mir schon klar, dass du traurig bist, aber lass es bitte nicht an mir aus. Wir haben einen Fall, der gelöst werden muss und darauf sollten wir uns konzentrieren. Das lenkt dich vielleicht auch ein bisschen ab.“
Die Kommissarin hätte jetzt einlenken können, aber sie wollte sich nicht entschuldigen. Stattdessen provozierte sie weiter.
„Wir haben keinen Fall, mein Lieber. Er ist abgeschlossen.“
Ferdinand schwieg jetzt, goss sich eine Tasse Kaffee ein und verließ das Büro. Er ging die Treppe hinauf und klopfte bei Falk Pern von der Spurensicherung an.
„Hallo, Kollege“, sagte er entspannt, nachdem Falk ihn hereingebeten hatte.
„Hallo,