Die geheimnisvolle Insel. Jules Verne
Читать онлайн книгу.Worte noch nicht beendet, als schon der Seemann, Nab und Harbert den Kängurus nacheilten. Cyrus Smith rief sie zurück, – vergeblich. Ebenso vergeblich mußte aber auch die Verfolgung dieses flüchtigen Wildes, das die Elasticität eines Gummiballs zu haben schien, ausfallen. Nach einer Hetzjagd von fünf Minuten ging den Jägern der Athem aus, während die Thiere im Gehölz verschwanden. Top's Erfolg übertraf den seiner Herren ebenso wenig.
»Mr. Cyrus, sagte Pencroff, als der Ingenieur und der Reporter sie eingeholt hatten, Sie sehen, Mr. Cyrus, daß wir uns unbedingt Gewehre verschaffen müssen. Wird das wohl möglich sein?
– Vielleicht, erwiderte der Ingenieur, zunächst werden wir uns aber Bogen und Pfeile herstellen, und ich zweifle gar nicht, daß Sie mit diesen ebenso geschickt umzugehen lernen werden, wie die Jäger Australiens.
– Pfeil und Bogen! sagte Pencroff mit einem verächtlichen Zuge um die Lippen, das ist etwas für Kinder!
– Spielen Sie nicht den Stolzen, Freund Pencroff, entgegnete der Reporter. Bogen und Pfeile haben Jahrhunderte lang hingereicht, die Erde mit Blut zu düngen. Das Pulver stammt erst von gestern; der Krieg aber ist, leider! ebenso alt, als das Geschlecht der Menschen.
– Meiner Treu, das ist wohl wahr, Mr. Spilett, antwortete der Seemann, meine Zunge ist häufig etwas zu schnell ... müssen mich entschuldigen!«
Inzwischen verbreitete sich Harbert, als Liebhaber der Naturwissenschaften, noch einmal über die Kängurus und sagte:
»Wir hatten es hierbei auch mit der am schwierigsten zu fangenden Gattung zu thun. Das waren Riesenexemplare mit langen, grauen Haaren; wenn ich mich aber nicht täusche, so giebt es auch schwarze und rothe, Felsenkängurus und Kängururatten, deren man sich mit Leichtigkeit bemächtigen kann. Man zählt wohl ein Dutzend Arten ...
– Für mich, lieber Harbert, unterbrach ihn ganz ernsthaft der Seemann, giebt es nur eine einzige Art, das ›Bratspieß-Känguru‹, und diese wird uns heute Abend fehlen.«
Alle belachten die neue Classification des Meister Pencroff. Der brave Seemann verhehlte schon sein Bedauern nicht, beim Nachtmahl nur auf die Bergfasane angewiesen zu sein, noch einmal aber sollte Fortuna sich ihm gefällig zeigen.
Top nämlich, der sich bei dieser Angelegenheit interessirt fühlen mochte, suchte mit einem durch den Hunger verdoppelten Spürsinn umher. Es stand sogar zu befürchten, daß er, im Fall ihm ein Stück Wild unter die Zähne kam, den Anderen nichts davon übrig lassen, also mehr auf eigene Rechnung jagen würde. Nab behielt ihn aber im Auge und that wirklich sehr wohl daran.
Gegen drei Uhr verschwand der Hund einmal im Gebüsch, aus welchem eigenthümliche Laute es verriethen, daß er irgend ein Thier gepackt haben möchte.
Nab lief ihm schnell nach und fand Top, wie dieser begierig ein erlegtes Thier verzehrte, das man zehn Secunden später in seinem Magen schwerlich wieder erkannt hätte. Glücklicher Weise hatte der Hund aber ein ganzes Nest überfallen und einen dreifachen Fang gethan, zwei weitere Nager – zu dieser Familie gehörten die Thiere nämlich – lagen erwürgt auf dem Boden.
Triumphirend kehrte Nab zurück, in jeder Hand ein Stück Wild empor haltend, dessen Größe die eines Hafen ein wenig übertraf. Das gelbliche Fell erschien grünlich gefleckt und der Schwanz nur als Rudiment entwickelt.
Bürger der Vereinigten Staaten konnten über den Namen der fraglichen Nagethiere nicht in Zweifel sein. Es waren »Maras«, eine Art Agutis (patagonische Hafen), etwas größer als ihre Verwandten in der Tropenzone, mit langen Ohren und fünf Backzähnen auf jeder Seite der Kiefern, wodurch sie sich von den eigentlichen Agutis bestimmt unterscheiden.
»Hurrah! rief Pencroff, der Braten ist da, nun können wir nach Hause zurückkehren!«
Der einen Augenblick unterbrochene Weg wurde wieder aufgenommen.
Der Rothe Fluß rollte seine klaren Gewässer unter der Decke von Kasuarbäumen, Banksias und enormen Gummibäumen dahin. Prächtige Liliaceen ragten bis auf zwanzig Fuß hoch auf. Daneben neigten sich noch weitere dem jungen Naturkundigen unbekannte Baumarten über das Wasser, das man unter jenem Laubgange murmeln hörte.
Inzwischen verbreiterte sich der Fluß bemerkbar, woraus Cyrus Smith schloß, daß seine Mündung bald erreicht sein müsse. Wirklich zeigte sie sich auch ganz plötzlich, als man aus einem grünen Baumdickicht heraustrat.
Die Wanderer hatten das westliche Ufer des Grants-Sees erreicht. Seine Umgebung verdiente wohl betrachtet zu werden. Die Wasserfläche mit einem Umfange von etwa sieben Meilen und einer Oberfläche von wenigstens 250 Ackern3 ruhte gleichsam in einem Kranze verschiedener Bäume.
Nach Osten zu glänzte da und dort das Meer durch einzelne Lichtungen in dem grünen Vorhange hindurch. Im Norden beschrieb das Seeufer eine weite concave Linie, welche mit dem scharfen Winkel am anderen Ende auffallend contrastirte. Zahlreiche Wasservögel bevölkerten diesen kleinen Ontario-See, in dem freilich nur ein einzelner Felsen, der einige hundert Fuß vom südlichen Ufer über das Wasser emporragte, die »Tausend Inseln« seines amerikanischen Namensvetters darstellte. Dort lebten mehrere Paare Taucherkönige, welche, ernst und unbeweglich auf einem Steine sitzend, den vorüber ziehenden Fischen auflauerten, sich dann plötzlich erhoben, mit einem gellenden Pfiff untertauchten und, ihre Beute im Schnabel, wieder an der Oberfläche erschienen. An dem Ufer und auf jenem Eilande wackelten wilde Enten umher, stolzirten Pelikane, Wasserhühner, Rothschnäbel, Philedons mit einer pinselartigen Zunge, und einige jener wundervollen Lyravögel, deren Schwanz in Form der Bögen einer Leier aufsteigt.
Die Gewässer des Sees selbst erschienen süß, klar, aber von dunkler Färbung, und gewisse kreisförmige Wellenbewegungen, die sich vielfach kreuzten, verriethen, daß jene sehr fischreich sein würden.
»Wahrlich, dieser See ist schön, sagte Gedeon Spilett. An seinem Ufer sollten wir wohnen!
– Das wollen wir auch!« antwortete Cyrus Smith.
Da es den Colonisten nun darauf ankam, so schnell als möglich nach den Kaminen zurückzukehren, so gingen sie bis zu dem von den Ufern des Sees gebildeten scharfen Winkel. Nicht ohne Mühe brachen sie sich dann einen Weg durch das Dickicht und die Gebüsche, welche wohl noch keines Menschen Hand auseinander gebogen hatte, und wandten sich dabei nach der Küste zu, um im Norden der Freien Umschau auf dem Oberlande anzulangen. Zwei Meilen wurden in dieser Richtung zurückgelegt, dann zeigte sich die mit dichtem Grase bewachsene Hochebene und über ihr hinaus das unendliche Meer.
Um nach den Kaminen zurückzukommen, brauchten sie nun blos das Plateau etwa eine Meile weit schräghin zu überschreiten und an der Biegung der Mercy herabzusteigen. Der Ingenieur äußerte aber den Wunsch, noch den Ausfluß des Grants-Sees kennen zu lernen. Gewiß bildete der See nur ein großes Becken, welches sich durch die Zuströmung des Rothen Flusses nur nach und nach angefüllt hatte. Offenbar mußte dasselbe dem überschüssigen Wasser auch irgendwo einen Ausweg bieten, den der Ingenieur in irgend einer Spalte des Granites vermuthete. Es kam ihm sogar schon der Gedanke, die Wasserkraft dieses Ausflusses, welche jetzt doch vollkommen verloren ging, einst nutzbar zu machen.
Eine Meile weit zog man noch in nördlicher Richtung weiter; als sich die erwartete Flußmündung aber auch bis dahin nicht auffinden ließ, kehrte die Gesellschaft um, und erreichte längs des linken Ufers der Mercy gegen halb fünf Uhr die Kamine wieder.
Das Feuer ward wieder entzündet, und die beiden Köche, – Nab als Neger, und Pencroff als Seemann von Natur dazu bestimmt – bereiteten hurtig einen duftenden Aguti-Rostbraten, dem man willig alle Ehre anthat.
Als sich nach eingenommener Mahlzeit Alle zum Schlafe niederlegen wollten, zog Cyrus Smith noch mehrere kleine Pröbchen verschiedener Mineralien aus seiner Tasche.
»Liebe Freunde, sagte er nur, hier ist ein Magnet-Eisenstein, hier Pyrit, ferner Thonerde, Kalk und hier ein Stückchen Kohle – das ist, was die Natur uns liefert, und repräsentirt ihren Antheil an der gemeinsamen Arbeit!
Morgen gehen wir an die unserige!«
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Dreizehntes