Die geheimnisvolle Insel. Jules Verne
Читать онлайн книгу.Ziegelei. – Der Töpferofen. – Verschiedenes Küchengeräthe. – Der erste Topf Suppe. – Wermuthkraut. – Das südliche Kreuz. – Eine wichtige astronomische Beobachtung.
»Nun, Mr. Cyrus, fragte Pencroff am nächsten Morgen den Ingenieur, womit beginnen wir nun?
– Mit dem Anfange«, antwortete lakonisch Cyrus Smith.
Wirklich mußten die Colonisten vollständig »von Adam anfangen«, wie man zu sagen pflegt. Sie besaßen nicht einmal das Nothdürftigste, um sich Werkzeuge herzustellen, und befanden sich nicht in der glücklichen Lage der Natur, welche »die Kräfte spart, weil sie Zeit hat«. Ihnen gebrach es an Zeit, sie mußten so schnell als möglich für die nothwendigsten Lebensbedürfnisse sorgen, und wenn sie in Folge früher gesammelter Erfahrungen auch nicht gezwungen waren, erst neue Erfindungen zu machen, so hatten sie sich dafür doch alles Nothwendige erst selbst zu schaffen. Ihr Eisen und Stahl befand sich noch im Zustande des Minerals, ihr Topfgeschirr in dem des Thones, ihre Kleidung und Wäsche noch in dem der Faserpflanzen.
Man muß übrigens zugeben, daß die Colonisten »Männer« waren im besten Sinne des Worts. Der Ingenieur Smith konnte begabtere, ergebenere und eifrigere Helfer gar nicht finden. Er hatte sie ja geprüft und kannte ihre Fähigkeiten.
Gedeon Spilett, ein Berichterstatter von hervorragender Begabung, wußte von Allem soviel, um darüber sprechen zu können, und sollte Kopf und Hand vielfach der Colonisation der Insel widmen. Er schreckte vor keinem Unternehmen zurück, und als leidenschaftlicher Jäger betrieb er bald als Geschäft, was ihm früher nur Vergnügen gewesen war.
Harbert, ein wackerer und in den Naturwissenschaften vorzüglich erfahrener junger Mann, half zum allgemeinen Wohle nach besten Kräften.
Nab repräsentirte die verkörperte Ergebenheit. Geschickt, einsichtig, unermüdlich, kräftig und von eiserner Gesundheit, verstand er sich ein wenig auf Schmiedearbeiten, versprach also der Ansiedelung besonders nützlich zu werden.
Pencroff, ein auf allen Meeren gereister Seemann, hatte als Zimmermann auf den Werften von Brooklyn, als Hilfsschneider auf den Kriegsschiffen, als Gärtner und Landmann gearbeitet, wenn er ohne Schiffsdienst war, und wußte, so wie die Seeleute überhaupt, eigentlich Alles richtig anzufassen.
Es wäre wohl schwierig gewesen, fünf Menschen zusammenzufinden, welche besser gegen ein widriges Geschick zu kämpfen und ein solches sicherer zu besiegen gewußt hätten.
»Beim Anfange«, lauteten die Worte Cyrus Smith's. Der Anfang, den er dabei im Sinne hatte, bezog sich auf eine geeignete Einrichtung zur Umwandlung der Naturproducte.
Die wichtige Rolle, welche die Wärme bei derartigen Processen spielt, ist ja hinlänglich bekannt. Das Brennmaterial allein, ob Holz oder Steinkohle, erschien unmittelbar verwendbar und verlangte nur die Herstellung eines passenden Ofens.
»Und wozu soll dieser Brennofen dienen? fragte Pencroff.
– Zur Beschaffung der Töpferwaare für unseren Bedarf, antwortete Cyrus Smith.
– Und woraus bauen wir den Ofen?
– Aus Ziegelsteinen.
– Und diese bereiten wir ...?
– Aus thonigem Lehm. An's Werk, Ihr Freunde. Um Transporte zu vermeiden, etabliren wir unsere Werkstatt am Productionsorte selbst. Nab wird uns Proviant nachführen, und das Feuer zur Zubereitung der Speisen wird ja nicht fehlen.
– Das wohl nicht, bemerkte der Reporter, wenn uns nur die Nahrungsmittel selbst, in Folge Mangels an Jagdgeräthen, nicht ausgehen.
– Wenn wir nur wenigstens ein Messer besäßen, rief der Seemann.
– Nun dann? fragte Cyrus Smith.
– Dann hätte ich schnellstens einen Bogen und Pfeile angefertigt und unsere Speisekammer reichlich gefüllt.
– Ja wohl ... ein Messer ... eine schneidende Klinge ...!« sagte der Ingenieur mehr zu sich selbst.
Da trafen seine Blicke Top, der am Ufer hin und her lief.
Plötzlich leuchteten Cyrus Smith's Augen auf.
»Top, hier!« rief er.
Der Hund gehorchte dem Zurufe seines Herrn. Dieser nahm Tops Kopf zwischen die Knie, löste ihm das Halsband ab und zerbrach dasselbe in zwei Stücke.
»Da sind zwei Messer, Pencroff.«
Zwei Hurrahs des Seemanns erschallten als Antwort. Tops Halsband bestand nämlich aus einem dünnen Streifen von gehärtetem Stahle. Man brauchte die Stücke nur auf einem groben Sandstein zu schleifen und den entstandenen Grath an der Schneide durch einen feinkörnigeren Stein weg zu nehmen. Sandsteinfelsen gab es nun genügend, und zwei Stunden später bestanden die Werkzeuge der Colonie aus zwei schneidenden Klingen, welche leicht in einem Hefte handgerecht befestigt waren.
Diese Errungenschaft, das erste Werkzeug, wurde als Triumph begrüßt; eine Errungenschaft, die auch wirklich sehr gelegen kam.
Man brach auf. Cyrus Smith beabsichtigte nach der Westseite des Sees an die Stelle zurückzukehren, wo sich Tags vorher das Thonerdelager, von dem er eine Probe mitgenommen, gezeigt hatte. Längs des Ufers der Mercy, nach dem Plateau der Freien Umschau hinziehend, erreichte man nach einem Wege von höchstens fünf Meilen eine zweihundert Schritte vom Grants-See entfernte Lichtung.
Unterwegs hatte Harbert einen Baum entdeckt, aus dessen Zweigen die Indianer Nordamerikas ihre Bögen herzustellen pflegen, den »Erejimba«, der zu einer Palmenfamilie ohne eßbare Früchte gehört. Man schnitt von diesem lange, gerade Zweige ab, entblätterte dieselben und schnitzte sie in der Weise zu, daß sie in der Mitte am stärksten blieben. Jetzt bedurfte man also nur noch einer Pflanze, welche passende Sehnen an die Bögen lieferte. Diese fand man in einer Malvenart, dem »Hibiscus heterophyllus«, dessen zähe, dauerhafte Fasern eine thierische Sehne im Nothfalle zu ersetzen vermögen. Nun hatte wohl Pencroff seinen kräftigen Bogen, noch fehlten ihm aber die Pfeile dazu. Ließen sich diese auch aus kleineren, dünnen und astfreien Zweigen unschwer herstellen, so veranlaßte doch die nothwendige Ausrüstung der Spitze mit einer Substanz, die das Eisen zu ersetzen im Stande war, weit mehr Kopfzerbrechen. Doch sagte sich Pencroff endlich, daß, nachdem er das Seinige gethan, der Zufall ihm schon zu Hilfe kommen werde.
Die Colonisten waren auf dem am vergangenen Tage untersuchten Terrain angekommen. Dieses bestand aus einer Thonerde, wie sie zu Backsteinen und Ziegeln verwendet wird, und welche ihren Zwecken demnach vollkommen entsprach. Besondere Schwierigkeiten stellten sich nicht entgegen. Der Thon wurde nur mittels Sand etwas entfettet, dann formte man Mauersteine daraus, um diese bei Holzfeuer zu brennen.
Gewöhnlich werden die Backsteine zwar in Formen gedrückt, der Ingenieur begnügte sich jedoch mit ihrer Herstellung aus freier Hand. Zwei volle Tag verwendete man auf diese Arbeit. Der angefeuchtete Thon wurde mit Hände und Füßen durchgeknetet, und dann in Prismen von gleicher Größe getheilt Ein geübter Arbeiter vermag ohne Maschine in Zeit von zwölf Stunden bis 10,000 Stück Backsteine herzustellen; die fünf Ziegelstreicher der Insel Lincoln hatten freilich in zwei Arbeitstagen nur etwa 3000 angefertigt, welche reihenweise aufgestellt wurden, bis sie in drei bis vier Tagen vollkommen ausgetrocknet und damit zum Brennen geeignet wurden.
Am 2. April war es, als Cyrus Smith die Orientation der Insel näher feststellte. Am Tage vorher hatte er mit Berücksichtigung der Strahlenbrechung die Zeit, um welche die Sonne unter dem Horizonte verschwand, genau aufgezeichnet. An diesem Morgen beobachtete er den Aufgang derselben mit der nämlichen Aufmerksamkeit. Zwischen diesem Unter- und Aufgange lagen elf Stunden sechzehn Minuten, so daß die Sonne sechs Stunden zweiundzwanzig Minuten nach ihrem Aufgange den Meridian des Ortes passiren und für denselben genau im Norden stehen mußte.
Zur erwähnten Zeit beobachtete Cyrus Smith jenen Punkt am Himmel, und wählte zwei in derselben Richtung liegende Bäume aus, die ihm demnach für spätere Aufnahmen eine unveränderliche Mittagslinie bildeten.
Während der beiden Tage vor dem Brennen der Mauersteine beschaffte man sich die nöthigen Holzvorräthe. In der Umgebung schnitt