Die geheimnisvolle Insel. Jules Verne

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Die geheimnisvolle Insel - Jules Verne


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von »Caladium makrorhizum« abgesotten. Letztere Pflanze zählt zu den Araceen und wächst in der Tropenzone baumartig. Ihre Wurzelknollen sind von ausgezeichnetem Geschmack, sehr nahrhaft und der Substanz sehr ähnlich, welche in England unter Namen »Portlandsago« verkauft wird. In gewisser Hinsicht kann sie wohl das Brod ersetzen, welches den Colonisten der Insel Lincoln noch abging.

      Nach Beendigung des Abendessens gingen Cyrus Smith und seine Genossen noch ein wenig am Strande spazieren. Es war um acht Uhr und die Nacht versprach schön zu werden. Noch schien der Mond nicht, der fünf Tage vorher voll gewesen, doch färbte sich der Horizont schon mit jenem sanften Silberlichte, welches man die Mondmorgenröthe nennen könnte. Am südlichen Himmel erglänzten die circumpolaren Sternbilder, vor allen das Südliche Kreuz, welches der Ingenieur einige Tage vorher vom Franklin-Berge aus begrüßt hatte.

      Eine Zeit lang beobachtete Cyrus Smith das glanzvolle Sternbild, das an seinem oberen und unteren Theile zwei Sterne erster, zur Linken einen zweiter und zur Rechten einen Stern dritter Größe hat.

      Nach einigem Besinnen begann er:

      »Haben wir heute nicht den 15. April, Harbert?

      – Ja, Mr. Cyrus, erwiderte dieser.

      – Nun, wenn ich nicht irre, ist dann morgen einer der vier Tage im Jahre, an welchem die wahre Zeit mit der mittleren bürgerlichen Zeit zusammenfällt, d.h. daß die Sonne morgen bis auf einige Secunden genau zu der Zeit durch den Meridian geht, zu welcher richtig gehende Uhren Mittag zeigen. Sollte also schönes Wetter sein, so gedenke ich morgen den Längengrad, unter dem wir uns befinden, so gut als möglich festzustellen.

      – Ohne Instrumente, ohne Sextanten? fragte Gedeon Spilett.

      – Ja, antwortete der Ingenieur. Da die Nacht klar ist, so möchte ich auch gleich heute versuchen, unsere Breitenlage durch Berechnung der Horizonthöhe des Südlichen Kreuzes, d.h. des Südpoles zu erfahren. Sie begreifen, meine Freunde, daß es, um sich auf weiter gehende Einrichtungen einlassen zu sollen, nicht genügt, zu wissen, daß dieses Land eine Insel ist; wir müssen uns auch darüber klar zu werden suchen, in welcher Entfernung entweder vom Festlande Amerikas, Australiens, oder auch von einem größeren Archipel des Pacifischen Oceans diese liegt.

      – Gewiß, meinte der Reporter, denn statt eines Hauses könnte es sich uns empfehlen, ein Schiff zu bauen, wenn wir zufällig nur etwa hundert Meilen bis zu einer bewohnten Küste hätten.

      – Eden deshalb, fuhr Cyrus Smith fort, will ich heute Abend die Breite der Insel Lincoln und morgen Mittag deren Länge zu erfahren versuchen.«

      Hätte der Ingenieur einen Sextanten besessen, ein Instrument, das die Winkeldistanz zweier Spiegelbilder mit großer Genauigkeit zu messen gestattet, so wäre dieses Vorhaben leicht genug ausführbar gewesen. An diesem Abend hätte er durch die Polhöhe, am nächsten Tage durch die Beobachtung des Meridiandurchganges der Sonne die Coordinaten der Insel erhalten. In Ermangelung eines Instrumentes mußte er sich eben zu helfen suchen.

      Cyrus Smith ging nach den Kaminen zurück. Dort schnitzte er beim Scheine des Herdfeuers zwei kleine flache Lineale, die er an ihren Enden in der Weise mit einander verband, daß sie eine Art hölzernen Zirkel darstellten, dessen Schenkel geöffnet und geschlossen werden konnten. Die Achse desselben bildete ein kräftiger Akaziendorn, den man an dem vorräthigen dürren Holze fand.

      Mit dem fertigen Instrumente kam der Ingenieur nach dem Strande zurück; da es aber nothwendig ist, die Polhöhe über einen ganz glatten Horizont hin zu visiren, das Krallen-Cap jedoch den südlichen Horizont verdeckte, so mußte er eine geeignetere Position aufsuchen. Die beste wäre freilich an der südlichen Uferspitze selbst gewesen, diese zu erreichen hätte man aber die eben ziemlich wasserreiche Mercy überschreiten müssen.

      Cyrus Smith beschloß deshalb, seine Beobachtung von der Höhe der Freien Umschau aus anzustellen und deren Lagedifferenz zu dem Niveau des Meeres später in Rechnung zu ziehen, was durch ein einfaches geometrisches Verfahren zu erreichen sein mußte.

      Die Colonisten begaben sich demnach auf dem schon bekannten Wege nach dem Plateau hinauf und nahmen an dessen von Nardwesten nach Südosten verlaufenden Rande ihre Aufstellung.

      Dieser Theil des Oberlandes überragte die Höhen des rechten Flußufers um nahezu fünfzig Fuß, jene Höhen, welche stufenweise bis nach dem Krallen-Cap am Südende der Insel abfielen. Der Ausblick, welcher den halben Horizont umfaßte, erschien demnach von diesem Cap bis zum Schlangenvorgebirge durch kein Hinderniß beschränkt. Im Süden war der Horizont in seinen unteren Theilen von dem Mondlichte so weit erhellt, um mit hinreichender Genauigkeit abvisirt werden zu können.

      Das Südliche Kreuz stellte sich dem Beobachter zu dieser Zeit in verkehrter Lage, mit dem Sterne a, dem nächsten am Südpole, nach unten dar.

      Dieses Sternbild liegt übrigens dem antarktischen Pole überhaupt nicht so nahe, wie der Polarstern dem arktischen; ja, der Stern a ist noch gegen siebenundzwanzig Grad von jenem entfernt. Cyrus Smith wußte das und hatte es bei seiner Messung in Rechnung zu ziehen. Er wartete zur Vereinfachung der Operation die Zeit ab, bis jener Stern unterhalb des Poles durch den Meridian ging.

      Nachdem das geschehen, blieb nur noch der erhaltene Winkel zu berechnen, wobei also die Depression des Horizontes zu berücksichtigen und folglich die Höhe des Plateaus festzustellen war. Der Werth dieses Winkels mußte die Höhe des Sternes a und folglich die des Poles über dem Horizonte ergeben, damit aber auch die geographische Breite der Insel, weil diese Breite für jeden Punkt der Erdkugel der Höhe des Pols über dem Horizonte desselben entspricht.

      Die nöthigen Berechnungen verschob man auf den nächsten Tag, und schon um zehn Uhr lagen Alle in tiefem Schlafe.

      --

      Vierzehntes Capitel

      Messung der Granitwand. – Eine Anwendung des Lehrsatzes von den ähnlichen Dreiecken. – Die geographische Breite der Insel. – Ein Ausflug nach Norden. – Eine Austernbank. – Zukunftsproiecte. – Der Meridiandurchgang der Sonne. – Die Coordinaten der Insel Lincoln.

      Am Morgen des 16. April, – am Ostersonntage, – gingen die Colonisten mit Tagesanbruch daran, ihre Leibwäsche und Kleidungsstücke zu reinigen. Der Ingenieur gedachte auch Seife zu kochen, sobald er die dazu nöthigen Rohmaterialien, Fett und Soda, erlangen würde. Die wichtige Frage wegen Erneuerung der Kleidungsstücke sollte ihrer Zeit erwogen werden. Auf jeden Fall versprachen jene noch sechs Monate auszuhalten, denn sie waren von festen Stoffen dauerhaft gearbeitet. Alles hing ja zuletzt von der geographischen Lage der Insel zu andern bewohnten Ländern ab, und diese sollte noch, unter Voraussetzung günstiger Witterung, an dem nämlichen Tage bestimmt werden.

      Die Sonne erhob sich am wolkenlosen Horizonte und ließ einen prächtigen Tag erwarten, einen jener schönen Herbsttage, welche man für die letzten Abschiedsgrüße der warmen Jahreszeit halten möchte.

      Jetzt galt es also die Elemente der Beobachtung vom Tage vorher zu vervollständigen und die Höhe des Plateaus der Freien Umschau über dem Niveau des Meeres zu berechnen.

      »Brauchen Sie dazu nicht ein ähnliches Instrument, wie das, welches Sie gestern benutzten? fragte Harbert den Ingenieur.

      – Nein, mein Sohn, antwortete dieser, wir werden auf andere, doch ebenso genaue Resultate ergebende Weise verfahren.«

      Harbert, immer begierig sich von Allem genau zu unterrichten, folgte dem Ingenieur, der vom Fuße der Granitwand aus bis zum Uferrande hinschritt. Inzwischen beschäftigten sich Pencroff, Nab und der Reporter mit verschiedenen Arbeiten.

      Cyrus Smith hatte eine gerade, etwa zwölf Fuß lange Stange mitgenommen, deren Länge er mit möglichster Genauigkeit nach der ihm bis auf die Linie bekannten eigenen Körpergröße gemessen hatte. Harbert trug ein Senkblei, das ihm der Ingenieur übergeben, d.h. einen einfachen Stein, der an zusammengeknüpfte geschmeidige Pflanzenfasern gebunden war.

      Etwa zwanzig Schritte vom Uferrande und gegen fünfhundert von der Granitmauer, welche lothrecht aufstieg, entfernt, befestigte


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