Teufel Alkohol. Carl Betze

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Teufel Alkohol - Carl Betze


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Tag der Deutschen Einheit anno 2018 stehe ich frühmorgens in der Küche und bin dabei, das Frühstück für meine Frau Ewa und mich zuzubereiten, als das Telefon klingelt. Wer kann das sein, so früh am Morgen? Bestimmt jemand aus Ewas großer Familie oder eine ihrer besten Freundinnen – meine Frau telefoniert gerne, viel und zu allen Tageszeiten. Ewa hebt den Hörer ab, legt kurze Zeit später wieder auf, gesprochen hat sie mit dem Anrufer offenbar nicht. Sie kommt zu mir in die Küche, Tränen laufen ihr über die Wangen.

      „Dein Papa ist gestorben“. Der Anruf kam aus dem Pflegeheim, in dem meine Eltern seit knapp anderthalb Jahren leben.

      Mein Vater ist in den Morgenstunden, zwar im stolzen Alter von fast 97 Jahren, trotzdem aber plötzlich und völlig unerwartet, verstorben.

      Unmittelbar lege ich das Brotmesser zur Seite, öffne den Kühlschrank, greife mir wortlos eine Flasche Bier und gehe die Kellertreppe hinab, dann in den Garten. Dort stehe ich, vor Schock am ganzen Leib zitternd und keines klaren Gedankens fähig, und trinke mein Bier – um 08:00 morgens.

      Auf dem Weg zurück in den Wohnbereich unseres Hauses nehme ich mir aus dem Zweitkühlschrank, der im Keller steht, eine zweite Flasche mit nach oben.

      „Wir müssen ins Heim, auch wegen Deiner Mutter“, sagt Ewa.

      „Ich kann nicht“ antworte ich. Die zweite Flasche Bier ist beinahe schon geleert.

      „Aber wir müssen dahin. Sie weiß noch nichts, ich denke, DU solltest es ihr sagen“.

      Ewa hat Recht. Die Autofahrt zum Pflegeheim dauert keine fünf Minuten, das muss reichen für die dritte Flasche Bier. Im Heim angekommen, zeigt der Alkohol erste Wirkung: Ich bin in der Lage meiner Mutter die Todesnachricht zu überbringen. Ewa wartet vor ihrer Zimmertür.

      „Gehen wir zu ihm rein?“ fragt sie.

      „Das kann ich nicht“ entgegne ich auch jetzt.

      Ewa geht allein ins Sterbezimmer meines Vaters. Auch er hat dem Alkohol zeitlebens regelmäßig zugesprochen und so befindet sich in seinem Zimmer ein kleiner Kühlschrank, der lediglich dazu dient, Bier zu kühlen. Dessen bewusst, betrete ich das Zimmer, gehe schnurstracks zum Kühlschrank, entnehme diesem eine Flasche Bier, nehme einen kräftigen Schluck und wende mich meinem toten Vater zu.

      „Ein letztes Prost, Papa“.

      Anderer Anlass – gleiche Reaktion.

      In meiner Zeit als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens holt mich die Vergangenheit der Firma ein.

      Mein Vorgänger hatte sich bei einem Prüfverfahren nicht an die Recht gebende Verordnung gehalten, ich bin persönlich haftender Geschäftsführer, habe mit den Verfehlungen aus der Vergangenheit zwar nichts zu tun, bin aber trotzdem kurz davor, wegen eben diesen verklagt zu werden.

      In diesen Wochen wird es zur Gewohnheit, abends die Unterstützung von drei oder vier Flaschen Bier zu suchen, um ein wenig abzuschalten, um Entspannung zu finden und die Gedanken in meinem Kopf zur Ruhe zu bringen.

      Auf der Arbeit wird der Stress zunehmend größer, die Stimmung unter den Kollegen immer angespannter, steht und fällt doch die Existenz der Firma mit einer drohenden Anklage und dem damit einhergehendem vorübergehenden Berufsverbot.

      Wie wünsche ich mir das wohlige Gefühl vom Vorabend zurück, als mir die beruflichen Probleme weitaus belangloser erschienen.

      Ich schaffe es kaum mehr, mich morgens ins Auto zu setzen, um ins Büro zu fahren und mein Tageswerk zu verrichten. Und so kommt es, wie es kommen muss: ich beginne, bereits auf der circa fünfundvierzig Minuten dauernden Fahrt zum Arbeitsplatz die ersten zwei Flaschen Bier zu trinken.

      Zwei weitere (diese habe ich Zuhause zuvor ins Eisfach gelegt, warmes Bier trinkt sich schlecht und im Firmenkühlschrank kann ich den geliebten Gerstensaft kaum deponieren...) trinke ich bis zur Mittagspause heimlich und vor allem hektisch – ich habe zwar ein Büro für mich alleine, aber es kann ja jederzeit jemand hereinkommen- an meinem Schreibtisch.

      In der Mittagspause gehe ich in Kneipen, in denen ich mir ziemlich sicher bin, dass dort niemals ein Kollege auftauchen wird, um neben dem Mittagsessen auch das ein' oder andere Bier zu trinken. Auf dem Rückweg ins Büro eile ich noch schnell in den Supermarkt, um mir weitere zwei Dosen Bier zu kaufen, die dann bis zum Feierabend reichen müssen. Dass diese lauwarm sind, ist mir mittlerweile egal.

      So überstehe ich einige Wochen den Arbeitstag, um dann am Feierabend, schließlich muss ich ja die Gedanken an den nächsten Arbeitstag verdrängen, weiter zu trinken.

      Der Tod eines nahestehenden Menschen sowie Leistungsdruck und Stress auf der Arbeit sind nur zwei von vielen möglichen Anlässen, zu Glas oder Flasche zu greifen.

      Beziehungsprobleme, schlimmstenfalls das Scheitern einer Ehe, eine schwere Krankheit – es gibt genug Probleme, denen sich der Mensch im Laufe seines Lebens ausgesetzt sieht und Probleme kann man – kurzfristig - „weg-trinken“.

      In all' diesen Situationen kann der Alkohol Linderung verschaffen, kann er entspannen, beruhigen – und gerade das macht die Droge so gefährlich.

      Der amerikanische Physiologe und Erforscher der Alkoholkrankheit Elvin Morton Jellinek hat eine Alkoholikertypologie entwickelt, in der er Trinker in fünf sogenannte „Trinkertypen“ einteilt.

      Alpha – Trinker, auch Konflikt – oder Problemtrinker genannt, trinken Alkohol, um sich zu entspannen, um Angst und Verstimmungen zu beseitigen oder um Ärger herunterzuspülen.

      Mit der eintretenden Beruhigung kommt auch die Kreativität für Problemlösungen zurück: man schreibt einen ergreifenden Liebesbrief, man hat eine berufliche Inspiration, man entscheidet sich für ein alternatives Behandlungsverfahren.

      Die steigende Kreativität durch Alkoholkonsum bezieht sich übrigens nicht nur auf Problemlösungen, auch in alltäglichen Situationen tut der Alkohol seinen inspirierenden Dienst: Sitze ich im Sommer abends absichtslos im Garten („ich möchte einfach nur hier sitzen“, Loriot-Zitat aus dem Sketch „Szenen einer Ehe“), stehe ich spätestens nach der zweiten Flasche Bier auf, um dieses und jenes Gartenwerk zu verrichten. Ich gieße, schneide, pflanze um und zupfe Unkraut und merke dabei gar nicht, wie die Zeit vergeht, während ich mir noch ein Bier genehmige. Am nächsten Morgen wundere ich mich dann manchmal über das Werk vom Vorabend...

      Im Winter muss das Haus dran glauben: die Deko wird gewechselt, der Kleiderschrank aufgeräumt, im ganzen Haus nach etwaigem Sperrmüll gesucht oder der Kellerbereich gesaugt.

      Zurück zu den Problemtrinkern: Diese haben durchaus eine seelische Abhängigkeit zum Alkohol, aber sie haben auch noch die Freiheit, mit dem Trinken aufzuhören.

      Das Problemtrinken ist einer der häufigsten Gründe, warum Menschen in Deutschland zur Flasche greifen. Und warum sie an der Flasche bleiben. Häufig verhält es sich nämlich so, dass die positive Erfahrung „mir geht es besser“, die mit dem Genuss alkoholischer Getränke verbunden ist, dazu führt, dass die Anlässe, warum man trinkt, immer nichtiger und damit immer häufiger werden. War es anfangs noch der Tod eines Angehörigen oder der Verlust des Jobs, reicht später bereits eine kleine Meinungsverschiedenheit mit dem Partner aus – Hauptsache, es gibt einen angenommenen Grund zu Trinken. Auch, wenn objektiv kaum ein Grund existiert. Das Problem Alkohol hat sich verselbstständigt. Man trinkt um des Trinkens willen und sollte sich dessen schleunigst bewusstwerden, solange man noch in der Lage, gegenzusteuern, um einer drohenden Abhängigkeit zu entgehen.

      Die Freiheit, mit dem Trinken aufzuhören, hat ein weiterer Trinkertyp, der Beta – Trinker, auch Gelegenheitstrinker genannt, auch. Sein Trinkverhalten wird oft vom sozialen Umfeld mitbestimmt und auch Geselligkeitstrinken genannt.

      In der heutigen Konsum- und Überflussgesellschaft geht beinahe jedwede Feier zwingend einher mit dem Genuss von Alkohol.

      Sogar am Arbeitsplatz ist es zur Gewohnheit geworden, bereits am frühen Morgen mit Sekt auf Geburtstage anzustoßen.

      Auch das „Abfeiern“ oder das gediegene „Essen-gehen“ am Wochenende ist meist gleichbedeutend damit,


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