Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper

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Jochen Kleppers Roman


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heute in Preußen wieder Geltung haben. Ich hatte die feinen Manieren verlernt, mit denen man neuerdings in Preußens britischer Ära allein noch reüssieren kann! Ich will zum alten Adel! Ich will einen Titel! Ich will einen Tanzmeister, die alten Komplimente noch einmal zu lernen!“

       Der Betrunkene weinte wirklich wie ein ungezogenes Kind. Der König, der schon im Aufbruch gewesen war, stand bereits eine ganze Weile an den Türpfosten gelehnt. Das waren Wahrheiten, die er da zu hören bekam! – Er hatte etwas übersehen. Er hatte sich etwas nicht eingestanden: Es hatte seine alten Widersacher berauscht, dass der König von England nach Preußen kam und dass die Königin von Preußen so in den Mittelpunkt rückte. Er, der Herr, schien plötzlich nicht mehr gar so wichtig. Alle kamen sie wieder hervor, die Unzufriedenen aus alten, anspruchsvollen Geschlechtern; sie kamen mit Versailler Prunk in seine Residenz, hielten in seinem Hause Hof im Stil des alten Königs, trieben Kult mit sich und der Königin, mit Wilhelmine und Friedrich, Er, der Herr, stand außerhalb. Die Gattin hatte es besser begriffen als er, was geschah. Sie führte die Zeiten des ersten Königs herauf, lud alle vom Gemahl Verschmähten an den Hof, holte die beiseite gestellten dünkelhaften Gelehrten hervor, nur damit Athen und Rom, die heiligen sieben Hügel, die Akropolis und der Olymp, zwischen der Spree und den rauen Bergen erstünden! Hätte ich nur, dachte der König, die Augen offengehalten die ganzen festlichen Tage hindurch, statt dass ich in den Stunden, die ich nicht dem Gaste widmen musste, weiter über meiner Arbeit saß! Solches erwog nun der Herr. Gundling ließ er weiter um Adel und Rang, Perücke und Pariser Roben winseln. Noch immer lehnte er in der Tür und blickte auf den Professor.

      Mit einem Male versprach er ihm alles: den Adel, das erhabene Amt, die französischen Friseure und Schneider; denn der Herr gedachte sie alle zu treffen, die sich einer trägen, alten, lügnerischen Zeit verschrieben.

      Als der König sich das nächste Mal wieder in Potsdam zur Tabaksgesellschaft einfand, hatte der Kreis der Tabaksrunde viel zu staunen. Teppiche waren an den weißgetünchten Wänden aufgehängt, die Zahl der Leuchter war verdoppelt, Pagen umdrängten die Flügeltür. Der König bat die Generale, Räte und Minister, sich zu erheben. Gundling trat ein. Die Pagen, einer nach dem andern sich verneigend, riefen meldend seine neuen Würden aus, dass keiner von den Gästen des Königs sich in Titel und Anrede irre oder vergesse. Jakob Paul Freiherr von Gundling erschien, Hof-, Kammer-, Kriegs-, Geheim-, Oberappellations- und Kammergerichtsrat! Mitglied des Landeskollegiums! Oberzeremonienmeister! Präsident der Akademie der Wissenschaften! Kammerherr Seiner Majestät! Kanzler der Halberstädtischen Regierung! Erbe und Eigentümer aller neuen Maulbeerplantagen für die künftigen königlich preußischen Seidenspinnereien!

      Hoch erhobenen Hauptes schritt der Gewaltige in den Saal, klein und aufgedunsen, die Augen verglast, Antlitz und Hände gepudert und duftend. Der König selber hatte sein Amtskleid entworfen: einen roten, mit schwarzem Samt ausgeschlagenen, mit goldenen Knopflöchern gezierten und nach der neuesten Mode mit großen Aufschlägen besetzten Samtrock zu einer überreich gestickten Weste. Auf dem Kopf prangte eine auf beiden Seiten lang herabhängende Staatsperücke von weißem Ziegenhaar; ein großer Hut mit einem roten Federbusch bedeckte ihren Scheitel. Der Kammerherrenschlüssel hing ihm zur Seite. Die roten, seidenen Strümpfe waren mit goldenen Zwickeln, die Schuhe mit roten Absätzen geschmückt.

       So rauschte er daher, der Freiherr, Oberzeremonienmeister, Präsident und vielfache Rat. Aber es war ersichtlich, dass er kein Wohlgefallen an der Staatstracht empfand. Er meinte wohl, dass sie ihm wieder Schleifchen in die Locken binden, ihm den Rücken mit allegorischen abscheulichen Tieren aus Papierschnitzeln bestecken würden. Er misstraute den Verneigungen der Herren; er wagte nicht, die Bestallungsurkunde entgegenzunehmen, die der König ihm hinhielt. Aber er musste auf Geheiß des Herrn einen Blick darauf werfen. Sie war in vollster Ordnung. Alles war wahr; auch dies, dass ihm der König die für Rang und Geltung vorgeschriebenen sechzehn Ahnen aus eigener Vollmacht verlieh! Der Pompöse mit den Ziegenhaarlocken schluchzte auf. Die erträumten Ziele des verkommenen, armen Pastorensohns waren erreicht. Einmal nur hatte er aufgeschluchzt; niemand konnte es wohl hören. Nur der König, der ihm gegenüberstand, nahm es wahr.

      „Es ist gut, dass Sie kommen, mein Lustiger Rat“, sagte der König, und dieses war das wahre Amt und der wirkliche Titel, denn all die anderen Titulaturen und Auszeichnungen gab es ja im Lande Preußen ernstlich nicht mehr. „Ich muss einen vernünftigen Menschen sprechen. Heuer gibt es zu viel Narren.“

      Der Freiherr nahm dem König gegenüber Platz. „Ich werde die Narren aus allen Ämtern, die mir unterstehen, entfernen“, sprach der Mächtige gelassen zu dem König.

      „Dann wären wir aller Wahrscheinlichkeit nach allein, Euer Gnaden“, bemerkte der König. Gundling hob die Locken mit gespreizten Fingern von den Ohren weg.

      „Ein Weiser und ein König, Majestät“, gab er zur Antwort. Es war ein hübscher Dialog, nur dass die Herren rings ihm nicht zu folgen wussten. Zwischendurch versank der König einmal ganz in die Betrachtung des Gefeierten und schwieg. Dieser Mensch war wahrhaftig vollkommenes Gleichnis und Bild. Alle waren sie in ihm getroffen. Dieser Mensch war Bild von seiner Hand. Der König handelte und dachte in Bildern. Niemand um ihn wusste davon. Als sei er unter die Müßiggänger gegangen, sah der König Gundling zu; es waren Augenblicke tiefsten Sinnens, Augenblicke seltsamsten Grübelns über vertane Gaben, verlorene Zeit, vernichtete Würde; über alle Narrheit der Erde.

      Rätselhafterweise hatte der König gerade an diesem Tage von Gundlings Apotheose den Narrenprofessor gemalt, wie er ein überaus hohes Vorlesepult erkletterte, emsig und leidenschaftlich drei Stufen für eine nehmend. Drunten sah die Menge der Großen ihm höhnisch und sogar mit derber Drohung nach. Er aber „blickte“, eine Brille auf dem Hosenboden, nur mit seinem Hinterteil auf sie herab.

      Und dieses Bild war die wahre große Ehrung, die König Friedrich Wilhelm einem Jakob von Gundling widerfahren ließ. Aber sie blieb vor ihm selbst und vor der Welt des Hofes ein Geheimnis.

      Die Tabaksrunde war ratlos; man wusste nicht, wie sich verhalten. Wozu war dieser ganze Auftritt ersonnen? Der König sprach so ernst und leise mit Gundling. Neckereien mit dem frischgebackenen Freiherrn schienen nicht geduldet; Ruß und Kreide lagen vergeblich bereit. Das Gerücht kam auf, Gundling habe wirklich Einfluss auf den Herrn erlangt. Es überdauerte die Stunde und sprengte nur zu rasch den engen Kreis der Tabagie. Hohe Herren sollten ihm nur zu bald ihre Visite machen, um durch ihn etwas Schwieriges zu erreichen.

       Zu der ungewöhnlichen Zurückhaltung, die man sich heute hier auferlegte, trug allerdings noch ein besonderer Umstand bei. Ein fremder Gast tauchte auf. Der König ließ ihn vom Paradeplatz hereinrufen, genau wie Grumbkow es berechnet hatte; denn der wusste, dass der König immer möglichst nahe am Fenster saß, wenn er seine Pfeife rauchte.

      Draußen brannten die neuen Laternen. Meist lag der Platz zu der Stunde, in der sie angesteckt wurden, schon sehr still. Jetzt aber promenierte ein nobel gekleideter Fremder äußerst interessiert zwischen den Laternen umher und suchte von Schloss und Exerzierfeld zu erspähen, was um den Anbruch der Dunkelheit noch sichtbar war. Der König, wie es seine Art war, erkundigte sich, ob einer am Biertisch wohl wisse, wer der Fremde sei. Herr von Grumbkow bekannte sich eiligst zu seinem Gast Graf Seckendorff.

      Warum er ihn nicht mitgebracht habe, fragte der König, warum es versäumt worden sei, ihn bei Hofe einzuführen. Und er erhielt zur Antwort, Graf Seckendorff halte sich gar zu kurz in Berlin auf; er sei nur während des englischen Königsbesuches von Wien nach Berlin herübergekommen, um endlich einmal einer der berühmten neuen preußischen Paraden beizuwohnen, von denen er am kaiserlichen Hofe gar so viel hörte; nun wolle er morgen noch rasch das Potsdamer Exerzitium besichtigen, um dann schleunigst wieder zu dringenden Geschäften nach Wien zurückzugehen. Er bedauere es ganz außerordentlich, dass sein Aufenthalt so kurz sein müsse; denn als erfahrener Militär und Taktiker habe er in den wenigen Tagen das neue Preußen als Fundgrube für einen alten Soldaten schätzen gelernt.

      Graf Seckendorff wurde schleunigst geholt. Der König begegnete ihm ganz außerordentlich freundlich und achtungsvoll. Der Graf solle unbedingt noch bei ihm bleiben, als sein Gast; Grumbkow dürfe es nicht übelnehmen. Dass aus Wien einmal einer nur als Offizier kam! Und wollte sich mit dem Potsdamer Obristen nicht einmal bekannt machen! Der König hatte allerlei Grund,


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