Rudolf Cronau: Drei Jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika Teil 3. Rudolf Cronau

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Rudolf Cronau: Drei Jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika Teil 3 - Rudolf Cronau


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Zensur unterworfen. Um Personen ausfindig zu machen, die durch ihre Ansichten und Lehren dem Absolutismus der Herrscher gefährlich werden könnten, setzte man eine „Zentral-Untersuchungskommission“ ein, die sich in ihrer Demagogenriecherei der unglaublichsten Überschreitungen schuldig machte, Hunderte von Studenten verhaften und von Festung zu Festung schleppen ließ, bloß weil sie vaterländische Lieder gesungen oder die verpönten schwarz-rot-goldenen Farben getragen hatten. Es ist bezeichnend für den Fanatismus jenes Ausschusses, dass derselbe sogar Männer wie Blücher, Gneisenau, York, von Stein, Fichte und Schleiermacher als revolutionärer Bestrebungen verdächtig erklären durfte.

       In dieser hoffnungslosen Zeit, die jeden patriotisch fühlenden und fortschrittlich veranlagten Mann mit Ekel erfüllen musste, erschien in Deutschland ein Buch, das ungeheures Aufsehen erregte. Sein Verfasser war der Arzt Gottfried Duden, welcher im Jahre 1824 eine Reise nach Nordamerika unternommen hatte und durch Maryland, Virginien und die am Ohio entstandenen Staaten nach Missouri gekommen war. Sechzig Meilen westlich von St. Louis erwarb er ein Gut, das er, da er ausreichende Mittel besaß, klären und bestellen ließ. Die Mußestunden verbrachte Duden mit der Schilderung seiner Reisen, der amerikanischen Verhältnisse und der Jagdromantik der westlichen Wildnis, in der es von Hirschen, Büffeln, Hasen, Präriehühnern usw. wimmle. Er beschrieb den neapolitanisch blauen Himmel, die reizvolle Färbung der herbstlichen Wälder und tausend andere Dinge, die jeden Freund der Länderkunde aufs höchste interessieren mussten. In der Hauptsache getreu, zeichneten Dudens Darstellungen sich vor allen früher erschienenen Berichten über Amerika durch glänzende Frische und romantische Färbung aus. Insbesondere ließen sie die in Missouri herrschenden Zustände und Aussichten im Gegensatz zu den trostlosen Deutschlands geradezu verlockend erscheinen.

      Dieser, zuerst im Jahre 1829 in Bonn veröffentlichte „Bericht über eine Reise nach den westlichen Staaten Nordamerikas“ erfreute sich bei allen Gebildeten einer überraschend günstigen Aufnahme. Ihnen, die in dumpfer Resignation unter der Willkür der Fürsten und der rückschrittlich gesinnten Beamtenheere dahinlebten, eröffnete sich urplötzlich der Ausblick auf ein Land, dessen jungfräuliche Erde nicht bloß tausendfältigen Lohn für die auf ihn verwendete Mühe verhieß, sondern wo man sich schrankenloser Freiheit erfreuen und die eigenen Ideen über Regierung und Staatsform verwirklichen konnte.

Grafik 137

      Einwandrer auf ihrem Zug gen Westen. Nach einer Zeichnung von F. O. Darley.

      Vielen Familien wurde Dudens Buch zur täglichen Lektüre. Um auch wenig Bemittelten die Anschaffung zu erleichtern, ließen Freunde und Begünstiger der Auswanderung zahlreiche billige Ausgaben herstellen und verbreiten. Infolgedessen kam ein förmliches Auswanderungsfieber zum Ausbruch. Tausende von Leuten, denen „der Duden den Kopf verrückt hatte“, schickten sich zur weiten Reise nach Missouri an.

       Es waren nicht bloß Bauern, sondern Männer, die gebildeten, ja gelehrten Ständen angehörten, nun aber den Schulstaub von sich abwuschen, um im frischen Tau der Urwälder neues Leben zu trinken. Mit ihnen zogen Jünglinge, welche die Feder, nie aber die Holzaxt geführt, Frauen, welche daheim den Teetisch serviert, aber nie harte Handarbeiten kennen gelernt hatten.

      Viele dieser Auswandrer blieben, müde der langen Reise, in den Oststaaten oder am Ohio. Manche, bitter enttäuscht, verdarben in Elend. Viele aber gelangten wirklich ans Ziel und ließen sich im Tal des Mississippi nieder. Hier schufen sie, umgeben von anderen Ansiedlern, die berühmten „lateinischen Settlements“, die ihren Namen daher erhielten, weil ihre Besitzer hochgebildete Leute waren, die Universitätsbildung genossen hatten, Latein verstanden und das Studium der alten Klassiker dem müßigen Disputieren in den Wirtshäusern vorzogen.

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      Ansiedler beim Errichten ihrer Heimstätte.

       Zu diesen „lateinischen Farmern“, (Da unter den „lateinischen Farmern“ natürlich auch viele Personen waren, die von der Landwirtschaft nichts verstanden und nur aus Liebe zur Unabhängigkeit diesen mühseligen Beruf gewählt hatten, so erhielt die Bezeichnung später einen etwas spöttischen Beigeschmack. Man fand solche „lateinischen Settlements“ sowohl in Illinois, Missouri und Wisconsin.) von denen viele tüchtige Landwirte wurden, zählten der bayrische Appellationsrat Theodor Hilgard, der Forstmeister Friedrich Engelmann, die Rechtsgelehrten Wilhelm Weber und Gustav Körner, die Ärzte Gustav Bunsen, Adolf Reuß und Adolf Berchelmann, der Geschichtsprofessor Anton Schott, der Prediger Michael Ruppelius, der Schuldirektor Georg Bunsen und viele andere Gleichgesinnte. Die hier Genannten ließen sich sämtlich in dem südöstlich von St. Louis gelegenen Örtchen Belleville nieder, das sie zu einer überaus fruchtbaren deutsch-amerikanischen Bildungsstätte umwandelten, von wo viele berühmte Männer ausgingen.

      Die Einwandrung ins Mississippital nahm von Jahr zu Jahr zu. Aus Europa, vom Osten und Süden zogen Menschen herbei. Welche Massen sich in Bewegung setzten, erhellt am klarsten aus der Tatsache, dass innerhalb der Monate Januar, Februar und März 1842 in St. Louis 529 Dampfboote anlegten, die insgesamt 30.384 Personen brachten.

      Allerorten wuchsen die Ansiedlungen wie Pilze aus der Erde. St. Louis entwickelte sich zu einem Haupthandelsplatz und Zentralpunkt für die Dampfschifffahrt des gewaltigen Mississippisystems. Bereits in der Mitte der vierziger Jahre zählte die Stadt 40.000 Bewohner. Dass daselbst zwei tägliche deutsche Zeitungen bestehen konnten, zeugt für die Stärke der damaligen deutschen Bevölkerung.

      Im unteren Stromgebiet ließen sich die Deutschen hauptsächlich in Memphis, Vicksburg, Natchez und New Orleans nieder. In der letztgenannten Stadt lebten im Jahre 1841 bereits 10.000 Deutsche.

      Am oberen Stromlauf wurden die Städte Altona, Quincy, Keokuk, Burlington, Davenport, Dubuque, Winona, St. Paul und Minneapolis, an den großen Binnenseen Chicago, Milwaukee und Detroit Sitze regen deutschen Lebens. Und zugleich Ausgangspunkte neuer Niederlassungen, die an den Nebenflüssen des Mississippi und den zahllosen Seen entstanden, die gleich tausend blauen Augen aus den Wäldern und Grassteppen von Wisconsin, Minnesota, Dakota, Nebraska und Iowa emporglänzen. Manche jener Niederlassungen kennzeichnen sich durch ihre Namen – Solche Orte sind im Staate Missouri: Westphalia, Germantown, Hermann, Neu-Hamburg, Dammüller, Diehlstadt, Altenburg, Biehla, Frohne, Wittenberg, Carola u. a. In Iowa finden wir Neu-Wien (New Vienna), Guttenberg, Minden usw. In Illinois Arenzville; in Wisconsin Germantown, New Köln, New Holstein, Town Schleswig u. a. – und die Mundart ihrer Bewohner noch heute als schwäbische, fränkische, thüringische, niederdeutsche oder schweizerische Gründungen.

      Fast allen war eine ruhige, stete Entwicklung beschieden; denn mit dem einzigen Bevölkerungselement, welches Störungen hätte verursachen können, den Indianern, wussten die Deutschen im allgemeinen stets in Frieden auszukommen.

       In der Tat ereignete sich nur ein größerer Indianerüberfall auf eine deutsche Ansiedlung: derjenige der Sioux auf Neu-Ulm in Minnesota. Dieser Ort ist eine Gründung unternehmungslustiger Turner aus Chicago, die im Jahre 1856 das schöne Tal des Minnesotaflusses als neue Heimat auserkoren.

      Das hier erbaute Städtchen zählte im Sommer 1862 bereits 1.500 Bewohner, die friedfertig ihren Beschäftigungen nachgingen, ohne zu ahnen, dass sie von schwerem Unheil bedroht seien.

      Die mächtigen Sioux oder Dakotas beschritten nämlich, erbittert über die von betrügerischen Regierungsagenten an ihnen verübten Gaunereien, den Kriegspfad und fielen plötzlich über die im Tal des Minnesota liegenden Ansiedlungen her. Sie schlachteten zunächst eine Anzahl vereinzelt wohnender Ansiedler ab und wandten sich dann in dichten Scharen gegen das Städtchen Neu-Ulm.

Grafik 135

      Sioux-Indianer

      Am 19. August unternahmen sie einen wütenden Angriff auf den Ort, dessen verstreut liegende Häuser für Verteidigungszwecke wenig geeignet waren. Zahlreiche Wohnungen gingen in Flammen auf. Ihre Bewohner zogen sich, beständig fechtend, in die Mitte des Ortes zurück, wo sie sich hinter eiligst errichteten Barrikaden aus Fässern, Betten, Kisten und Ackergeräten verschanzten. Der Kampf dauerte ohne Unterbrechung


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