Weihnachtsmärchen. Charles Dickens

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Weihnachtsmärchen - Charles Dickens


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Klaue sein«, gab der Geist traurig zur Antwort, und fuhr fort:

      »Sieh hier!«

      Aus den weiten Falten seines Gewandes hervor erschienen jetzt

      zwei Kinder, elend, abgemagert, häßlich und mitleiderregend. Sie

      knieten vor dem Geiste nieder und hielten sich festgeklammert an

      dem Saum seines Gewandes.

      »O Mensch, sieh hier«, rief der Geist. »Sieh hier, sieh hier!«

      Es war ein Knabe und ein Mädchen. Fahlen Gesichtes, elend,

      zerlumpt und mit wildem, tückischem Blicke; aber doch auch

      ängstlich und gedrückt in ihrer Demut. Wo die Schönheit der

      Jugend ihre Züge hätte durchleuchten und mit ihren frischesten

      Farben kleiden sol en, hatte s ie eine runzlige, abgelebte Hand,

      gleich der des Alters, berührt und versehrt. Wo Engel hätten

      thronen können, lauerten Teufel mit grimmigem, drohendem

      Blick. Keine Veränderung, keine Entwürdigung der Menschheit

      in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche und

      grauenerregende Ungeheuer aufzuweisen.

      Entsetzt fuhr Scrooge zurück. Da sie ihm der Geist auf solche

      Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne

      Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne

      Kinder, aber die Worte erstickten ihm von selber, um nicht

      teilzuhaben an einer so ungeheuren Lüge.

      »Geist, sind das deine Kinder?« Weiter konnte Scrooge nichts

      sagen.

      »Es sind des Menschen Kinder«, erwiderte der Geist, auf sie

      herabschauend.

      »Und sie hängen sich an mich, vor mir ihre Väter anklagend.

      Dieses Mädchen ist die Unwissenheit. Dieser Knabe ist der

      Mangel. Schau sie beide wohl an, und vor al em diesen Knaben;

      denn auf seiner Stirn seh' ich geschrieben, was Verhängnis ist,

      wenn die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es«, rief der Geist,

      seine Hand nach der Stadt ausstreckend.

      »Verleumdet alle, die es Euch sagen! Gebt es zu um Eurer

      Parteizwecke willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet

      das Ende!«

      »Haben sie keine Stütze, keinen Zufluchtsort?« rief Scrooge.

      »Gibt es keine Gefängnisse?« sagte der Geist, das letztemal die

      eigenen Worte von Scrooge gegen ihn gebrauchend. »Gibt es

      keine Armenhäuser?«

      Die Glocke schlug zwölf.

      Scrooge sah sich um nach dem Geiste, aber er war

      verschwunden. Als der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er

      sich an die Vorhersagung des alten Jacob Marley und sah, die

      Augen erhebend, ein grauenerregendes, tief verhülltes Gespenst

      auf sich zukommen, wie ein Nebel auf dem Boden dahinzurollen

      pflegt.

      52

      Vierte Strophe

      Der letzte Geist

      Die Erscheinung kam langsam, feierlich, schweigend auf ihn zu.

      Als sie herangekommen war, fiel Scrooge auf die Knie nieder,

      denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien

      geheimnisvolles Grauen um sich zu verbreiten.

      Die Erscheinung war verhüllt in einem schwarzen, weiten Mantel,

      der nichts von ihr sehen ließ, als eine ausgestreckte Hand. Wäre

      diese nicht gewesen, es wäre einem schwer angekommen, die

      Gestalt von der Nacht zu trennen, die sie umgab!

      Als sie neben ihm stand, fühlte er, daß s ie groß und stattlich war

      und daß ihn ihre geheimnisvolle Gegenwart mit einem feierlichen

      Grauen erfüllte. Er wußte weiter nichts, denn der Geist sprach

      und bewegte sich nicht.

      »Ich stehe vor dem Geist der zukünftigen Weihnacht?« fragte

      Scrooge.

      Der Geist antwortete nicht, sondern wies mit der Hand zur Erde

      hinab.

      »Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, die noch nicht

      »Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, die noch nicht

      geschehen sind, aber noch geschehen werden?« fuhr Scrooge

      fort. »Willst du das, Geist?«

      Der obere Teil der Verhüllung bauschte sich auf einen

      Augenblick in Falten, als ob der Geist sein Haupt neige; dies war

      die einzige Antwort, die Scrooge erhielt.

      Obgleich schon so ziemlich an gespenstische Gesellschaft

      gewöhnt, bangte Scrooge vor der stummen Erscheinung doch so

      sehr, daß seine Knie wankten und er kaum noch stehen konnte,

      als er s ich ihr zu folgen bereit machte. Der Geist stand für einen

      Augenblick still, als bemerke er die Furcht seines Begleiters und

      als wol e er ihm Zeit lassen, sich zu erholen.

      Aber Scrooge befand sich dadurch noch schlechter. Ein

      fremdes, unbestimmtes Grausen durchbebte ihn bei dem

      Gedanken, daß sich hinter diesem schwarzen Schleier

      gespenstische Augen fest auf ihn heften könnten, während er,

      obgleich er seine Augen aufs äußerste anstrengte, doch nichts

      sehen konnte als die gespenstische Hand und eine große,

      schwarze Faltenmasse.

      »Geist der Zukunft«, rief er, »ich fürchte dich mehr als die

      Geister, die ich schon gesehen habe. Aber da ich weiß, daß es

      dein Zweck ist, mir Gutes zu tun, und da ich noch zu leben hoffe,

      um ein anderer Mensch zu werden, als ich bisher war, bin ich

      willens, dich zu begleiten und tue es mit einem dankerfül ten

      Herzen. -Willst du nicht zu mir sprechen?«

      Herzen. -Willst du nicht zu mir sprechen?«

      Die Gestalt gab ihm keine Antwort. Die Hand wies gerade vor

      ihm hin in die Ferne.

      »Führe mich«, bat Scrooge. »Führe mich, die Nacht schwindet

      schnel , und die Zeit ist für mich kostbar. Führe mich, Geist.«

      53

      Die Erscheinung bewegte sich ebenso von ihm weg, wie sie auf

      ihn zugekommen war. Scrooge folgte dem Schatten ihres

      Gewandes,


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