Weihnachtsmärchen. Charles Dickens

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Weihnachtsmärchen - Charles Dickens


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      starrte. Er dachte, wenn dieser Mann jetzt wieder erweckt

      werden könnte, was würde wohl sein erster Gedanke sein? Nur

      Geiz, Hartherzigkeit, habgierige Sorge. - Ein schönes Ende

      haben sie ihm bereitet!

      Er lag in dem düstern leeren Haus, und kein Mann, kein Weib,

      kein Kind war da, um zu sagen: »Er war gütig gegen mich in dem

      und in jenem, und dieses einen gütigen Wortes gedenkend will

      ich seiner warten.« Eine Katze kratzte an der Tür, und die Ratten

      ich seiner warten.« Eine Katze kratzte an der Tür, und die Ratten

      nagten und raschelten unter dem Kamin. Was sie in dem

      Gemach des Todes wol ten und warum sie so unruhig waren,

      wagte Scrooge nicht auszudenken.

      »Geist«, sagte er, »dies ist ein schrecklicher Ort. Wenn ich ihn

      verlasse, werde ich nicht seine Lehre vergessen, glaube mir. Laß

      uns gehen.«

      Immer noch wies der Geist mit regungslosem Finger auf das

      Haupt der Leiche.

      »Ich verstehe dich«, antwortete Scrooge, »und ich täte es, wenn

      ich könnte.

      Aber ich habe die Kraft nicht dazu, Geist. Ich habe die Kraft

      nicht dazu.«

      Wieder schien ihn der Geist anzublicken.

      59

      »Wenn irgend jemand in der Stadt ist, der bei dieses Mannes

      Tod etwas fühlt«, bat Scrooge ganz erschüttert, »so zeige mir

      ihn, Geist, ich flehe dich an.«

      Die Erscheinung breitete ihren dunklen Mantel einen Augenblick

      vor ihm aus wie einen Fittich; und wie s ie ihn wieder wegzog,

      sah er ein taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren

      sah er ein taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren

      Kindern befand.

      Sie wartete auf jemandes Kommen in ängstlicher Hoffnung, denn

      sie ging im Zimmer auf und ab, erschrak bei jedem Geräusch,

      sah zum Fenster hinaus, blickte nach der Uhr, versuchte

      umsonst, sich zu beschäftigen und konnte kaum die Stimmen der

      spielenden Kinder ertragen.

      Endlich vernahm s ie das langersehnte Klopfen an der Haustür,

      und als sie hinausgehen wol te, kam ihr der Gatte entgegen. Sein

      Gesicht war abgehärmt und bekümmert, obgleich er noch jung

      war! Es zeigte sich jetzt ein merkwürdiger Ausdruck darin: eine

      Art ernster Freude, deren er sich schämte und die er zu

      verbergen bestrebt war.

      Er setzte sich zum Essen nieder, das man ihm am Feuer

      aufgehoben hatte; und als die Gattin ihn erst nach langem

      Schweigen fragte, was er für Nachrichten bringe, schien er um

      Antwort verlegen zu sein.

      »Sind es gute«, fragte sie, »oder schlechte?«

      »Schlechte«, gab er zur Antwort.

      »Sind wir ganz zugrunde gerichtet?«

      »Nein, noch ist Hoffnung vorhanden, Caroline.«

      »Wenn er sich erweichen läßt«, rief sie erstaunt, »dann ist noch

      Hoffnung da!

      Nichts ist hoffnungslos, wenn ein solches Wunder geschehen ist.«

      »Für ihn ist es zu spät, Erbarmen zu zeigen«, sagte der Gatte. »Er

      ist tot.«

      Wenn ihr Gesicht Wahrheit sprach, so war sie ein mildes und

      geduldiges Wesen; aber sie war doch dankbar dafür in ihrem

      Herzen und sprach es mit gefalteten Händen aus. Doch schon im

      nächsten Augenblick bat sie Gott, daß er ihr verzeihen möge,

      und bereute es; aber das erste Gefühl war die Stimme ihres

      Herzens gewesen.

      »Was mir die halbbetrunkene Frau gestern abend meldete, als

      ich ihn sprechen und um eine Woche Aufschub bitten wol te, und

      was ich nur für einen bloßen Vorwand hielt, um mich

      abzuweisen, erweist sich jetzt als die reine Wahrheit.

      Er war nicht nur sehr krank, er lag schon im Sterben.«

      »Auf wen wird unsere Schuld übergehen?«

      »Ich weiß es nicht. Aber noch vor dieser Zeit werden wir das

      Geld haben; und selbst, wenn dies nicht einträfe, wär' es fast

      unwahrscheinlich großes Pech, in seinem Erben einen ebenso

      unbarmherzigen Gläubiger zu finden. Wir können heut' nacht

      leichteren Herzens schlafen, Caroline.«

      Ja, sie mochten es verhehlen, wie sie wollten: ihre Herzen waren

      leichter. Die Gesichter der Kinder, die s ich still um die Eltern

      drängten, um zu hören, was sie so wenig verstanden, erhel ten

      sich, und al e wurden glücklicher durch dieses Mannes Tod. Das

      einzige von diesem Ereignis hervorgerufene Gefühl, das ihm der

      Geist zeigen konnte, war also eins der Freude.

      60

      »Laß mich ein zärtliches, bei einem Todesfall empfundenes

      Gefühl sehen«, bat Scrooge, »oder mir wird dies dunkle Zimmer,

      das wir soeben verlassen haben, immer vor Augen bleiben.«

      Nun führte ihn der Geist durch mehrere Straßen, die er oft

      gegangen war; und indem s ie vorüberschwebten, hoffte Scrooge

      sich hier und da zu erblicken, aber nirgends war er zu sehen. Sie

      traten in Bob Cratchits Haus, dessen Wohnung sie schon früher

      besucht hatten, und fanden dort die Mutter mit den Kindern um

      das Feuer sitzen.

      Alles war ruhig, alles war still, sehr still. Die lärmenden kleinen

      Cratchits saßen stumm, wie steinerne Bilder, in einer Ecke und

      sahen auf Peter, der ein Buch vor sich hatte. Mutter und Töchter

      nähten. Aber auch sie waren stil , sehr still.

      »Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte.«

      »Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte.«

      Wo hatte Scrooge diese Worte gehört? Der Knabe mußte sie

      gelesen haben, als er und der Geist über die Schwel e traten.

      Warum fuhr der Leser nicht fort?

      Die Mutter legte ihre Arbeit auf den Tisch und führte die Hand

      gegen die Augen.

      »Die Farbe tut mir weh«,


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