Charles Darwin: Die Vögel und die geschlechtliche Zuchtwahl. Carles Darwin

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Charles Darwin: Die Vögel und die geschlechtliche Zuchtwahl - Carles Darwin


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gebildet worden; und da einige der aufeinanderfolgenden Stufen nur auf ein Geschlecht, einige auf beide Geschlechter überliefert worden sind, so finden wir in den verschiedenen Rassen einer und derselben Spezies alle Abstufungen zwischen bedeutender sexueller Verschiedenheit und vollständiger Ähnlichkeit. Es sind bereits Beispiele angeführt worden von den Rassen des Huhns und der Taube, und im Naturzustand sind analoge Fälle von häufigem Vorkommen. Bei Tieren im Zustand der Domestikation, – ob aber auch im Naturzustand, will ich nicht zu sagen wagen, – kann das eine Geschlecht ihm eigentümliche Charaktere verlieren und hierdurch dazu kommen, dass es in einem gewissen Grad dem anderen Geschlechte ähnlich wird; z. B. haben die Männchen einiger Hühnerrassen ihre männlichen Schwanz- und Sichelfedern verloren. Auf der anderen Seite können aber auch die Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtern im Zustand der Domestikation erhöht werden, wie es beim Merinoschafe der Fall ist, wo die Mutterschafe die Hörner verloren haben. Ferner können Merkmale, welche dem einen Geschlechte eigen sind, plötzlich beim anderen erscheinen, wie es bei denjenigen Unterrassen des Huhns der Fall ist, bei denen die Hennen, während sie noch jung sind, Sporne erhalten, oder, wie es bei gewissen Unterrassen der polnischen Hühner sich findet, bei denen, wie man wohl anzunehmen Grund hat, ursprünglich zuerst die Weibchen eine Federkrone erhielten und sie später auf die Männchen vererbten. Alle diese Fälle sind unter Annahme der Hypothese der Pangenesis verständlich; denn sie hängen davon ab, dass die Keimchen gewisser Teile des Körpers, trotzdem sie in beiden Geschlechtern vorhanden sind, doch durch den Einfluss der Domestikation entweder ruhend erhalten oder zur Entwicklung gebracht werden.

       Es findet sich hier noch eine schwierige Frage, welche passender auf ein späteres Kapitel verschoben werden mag, nämlich ob eine ursprünglich in beiden Geschlechtern entwickelte Eigentümlichkeit durch Zuchtwahl in ihrer Entwicklung auf ein Geschlecht allein beschränkt werden kann. Wenn z. B. ein Züchter beobachtete, dass einige seiner Tauben (bei welcher Spezies Merkmale gewöhnlich in gleichem Grad auf beide Geschlechter überliefert werden) in ein blasses Blau variierten, kann er dann durch lange fortgesetzte Zuchtwahl eine Rasse erziehen, bei welcher nur die Männchen von dieser Färbung sind, während die Weibchen unverändert bleiben? Ich will hier nur bemerken, dass dies äußerst schwierig sein dürfte, wenn es auch vielleicht nicht unmöglich ist. Denn das natürliche Resultat eines Weiterzüchtens von den blassblauen Männchen würde das sein, seinen ganzen Stamm mit Einschluss beider Geschlechter in diese Färbung hinüberzuführen. Wenn indessen Abänderungen der bewussten Färbung aufträten, welche vom Anfang an in ihrer Entwicklung auf das männliche Geschlecht beschränkt wären, so würde nicht die mindeste Schwierigkeit vorliegen, eine Rasse zu bilden, welche dadurch charakterisiert ist, dass beide Geschlechter eine verschiedene Färbung zeigen, wie es in der Tat mit einer belgischen Rasse erreicht worden ist, bei welcher nur die Männchen schwarz gestreift sind. Wenn in einer ähnlichen Weise irgendeine Abänderung bei einer weiblichen Taube aufträte, welche vom Anfang an in ihrer Entwicklung auf die Weibchen beschränkt wäre, so würde es leicht sein, eine Rasse zu erziehen, bei welcher nur die Weibchen in dieser Weise charakterisiert wären. Wäre aber die Abänderung nicht ursprünglich in dieser Weise beschränkt gewesen, so würde der Prozess äußerst schwierig, vielleicht unmöglich sein. [Es gereicht mir zur großen Genugtuung, seit Veröffentlichung der ersten Auflage des vorliegenden Werkes die folgenden Bemerkungen eines sehr erfahrenen Züchters, des Mr. Tegetmeier, zu finden (the „Field“, Sept. 1872). Nachdem er einige merkwürdige Fälle von Überlieferung der Färbung nur auf ein Geschlecht und der Bildung einer Unterrasse mit diesem Merkmale bei Tauben beschrieben hat, sagt er: „Es ist ein eigentümlicher Umstand, dass Mr. Darwin die Möglichkeit einer Modifikation der geschlechtlichen Färbung bei Vögeln durch eine Methode künstlicher Zuchtwahl ausgesprochen hat. Als er dies tat, kannte er die von mir mitgeteilten Fälle nicht; es ist aber merkwürdig, wie außerordentlich nahe er in seiner Vermutung der richtigen Methode des Züchtens gekommen ist“.]

      * * *

       Über die Beziehung zwischen der Periode der Entwicklung eines Merkmals und seiner Überlieferung auf ein Geschlecht oder auf beide. – Warum gewisse Merkmale von beiden Geschlechtern, andere nur von einem Geschlecht, nämlich von demjenigen, bei welchem die Besonderheit zuerst auftrat, geerbt werden, ist in den meisten Fällen völlig unbekannt. Wir können nicht einmal eine Vermutung aufstellen, warum bei gewissen Unterrassen der Taube schwarze Streifen, trotzdem sie durch das Weibchen zur Vererbung gelangen, sich nur beim Männchen entwickeln, während jedes andere Merkmal gleichmäßig auf beide Geschlechter überliefert wird; warum ferner bei Katzen die schwarz, braun und weiße Färbung (tortoise-shell) mit seltenen Ausnahmen nur bei den Weibchen sich entwickelt. Ein und dieselbe Eigentümlichkeit, wie fehlende und überzählige Finger, Farbenblindheit usw. kann beim Menschen nur von den männlichen Gliedern einer Familie und in einer anderen Familie nur von den weiblichen geerbt werden, trotzdem sie in beiden Fällen ebenso gut durch das entgegengesetzte wie durch das gleichnamige Geschlecht überliefert wird. [Verweisungen sind gegeben in meinem „Varieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation“. 2. Aufl. Bd. II, p. 82.] Obgleich wir uns hiernach in Unwissenheit befinden, so scheinen doch häufig zwei Regeln zu gelten; nämlich, dass Abänderungen, welche zuerst in einem von beiden Geschlechtern in einer späteren Lebenszeit auftreten, sich bei demselben Geschlechte zu entwickeln neigen, während Abänderungen, welche zeitig im Leben in einem der beiden Geschlechter zuerst auftreten, zu einer Entwicklung in beiden Geschlechtern neigen. Ich bin indessen durchaus nicht der Meinung, hierin die einzige bestimmende Ursache zu erblicken. Da ich nirgends anders diesen Gegenstand erörtert habe und er eine bedeutende Tragweite in Bezug auf geschlechtliche Zuchtwahl hat, so muss ich hier in ausführliche und etwas intrikate Einzelheiten eingehen.

      Es ist an sich wahrscheinlich, dass irgendeine Besonderheit, welche in frühem Alter auftritt, zu einer gleichmäßig auf beide Geschlechter stattfindenden Vererbung neigt. Denn die Geschlechter weichen der Konstitution nach nicht sehr voneinander ab, ehe das Reproduktionsvermögen von ihnen erlangt worden ist. Ist auf der anderen Seite dieses Vermögen eingetreten und haben die Geschlechter begonnen, ihrer Konstitution nach voneinander abzuweichen, so werden die Keimchen (wenn ich mich auch hier der Sprechweise der Hypothese der Pangenesis bedienen darf), welche von jedem variierenden Teile in dem einen Geschlecht abgestoßen werden, viel wahrscheinlicher die gehörigen Wahlverwandtschaften besitzen, um sich mit den Geweben des gleichnamigen Geschlechts zu verbinden und sich demzufolge zu entwickeln, als mit denjenigen des anderen Geschlechts.

       Zu der Annahme, dass eine Beziehung dieser Art existiere, wurde ich zuerst durch die Tatsache geführt, dass, sobald nur immer in irgendwelcher Weise das erwachsene Männchen von dem erwachsenen Weibchen verschieden geworden ist, das erstere in derselben Weise auch von den Jungen beider Geschlechter verschieden ist. Die Allgemeinheit dieser Tatsache ist durchaus merkwürdig. Sie gilt für beinahe alle Säugetiere, Vögel, Amphibien und Fische, auch für viele Crustaceen, Spinnen und einige wenige Insekten, nämlich gewisse Orthopteren und Libellen. In allen diesen Fällen müssen die Abänderungen, durch deren Anhäufung das Männchen seine eigentümlichen männlichen Merkmale erlangt hat, in einer etwas späten Periode des Lebens eingetreten sein, sonst würden die jungen Männchen ähnlich ausgezeichnet worden sein; und in Übereinstimmung mit unserem Gesetze werden sie nur auf erwachsene Männchen vererbt und entwickeln sich nur bei diesen. Wenn andererseits das erwachsene Männchen den Jungen beider Geschlechter sehr ähnlich ist (wobei diese mit seltenen Ausnahmen einander gleich sind), so ist es meist auch dem erwachsenen Weibchen ähnlich; und in den meisten dieser Fälle treten die Abänderungen, durch welche das junge und alte Tier ihre gegenwärtigen Merkmale erlangten, wahrscheinlich in Übereinstimmung mit unserer Regel während der Jugend auf. Hier kann man aber wohl zweifeln, denn zuweilen werden die Besonderheiten auf die Nachkommen in einem früheren Alter vererbt als in dem, in welchem sie zuerst bei den Eltern erscheinen, so dass die Eltern sich änderten, als sie erwachsen waren, und ihre Eigentümlichkeiten dann auf die Nachkommen vererbt haben können, während diese jung waren. Überdies gibt es viele Tiere, bei denen die beiden Geschlechter einander sehr ähnlich und doch von ihren Jungen verschieden sind; und hier müssen die Merkmale der Erwachsenen spät im Leben erlangt worden sein; trotzdem werden diese Merkmale in scheinbarem Widerspruch gegen unser Gesetz auf beide Geschlechter vererbt. Wir dürfen indessen die Möglichkeit oder selbst Wahrscheinlichkeit nicht übersehen, dass Abänderungen der nämlichen Natur zuweilen gleichzeitig und in gleicher Weise bei


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