Charles Darwin: Die Vögel und die geschlechtliche Zuchtwahl. Carles Darwin

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Charles Darwin: Die Vögel und die geschlechtliche Zuchtwahl - Carles Darwin


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und in Übereinstimmung mit dieser frühen Entwicklung beim Männchen ist er auch bei den erwachsenen Weibchen von ungewöhnlicher Größe. Bei der Kampfhahnrasse wird die Kampfsucht in einem wunderbar frühen Alter entwickelt, wovon merkwürdige Beweise gegeben werden könnten; und dieser Charakter wird auch auf beide Geschlechter vererbt, so dass die Hennen wegen ihrer außerordentlichen Kampfsucht jetzt allgemein in besonderen Behältern ausgestellt werden. Bei den polnischen Rassen bildet sich die Protuberanz des Schädels, welche die Federkrone trägt, zum Teil schon ehe die Hühnchen ausschlüpfen, und die Federkrone selbst beginnt sehr bald zu wachsen, wenn auch anfangs nur schwach. [Wegen ausführlicher Einzelheiten und Verweisungen über alle diese Punkte in Bezug auf verschiedene Rassen des Huhns s. Das Varieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. 2. Aufl. Bd. I, p. 278 und 285. Was die höheren Tiere betrifft, so sind die geschlechtlichen Verschiedenheiten, welche im Zustande der Domestikation entstanden sind, in demselben Werke unter den die einzelnen Spezies behandelnden Abschnitten beschrieben.] Und in dieser Rasse charakterisiert eine große knöcherne Protuberanz und eine ungeheure Federkrone die erwachsenen Tiere beider Geschlechter.

      Nach dem nun endlich, was wir jetzt von den Beziehungen gesehen haben, welche in vielen natürlichen Spezies und domestizierten Rassen zwischen der Periode der Entwicklung ihrer Merkmale und der Art und Weise ihrer Überlieferung existieren, – wenn z. B. die auffallende Tatsache des frühen Wachstums des Geweihes beim Rentier, bei dem beide Geschlechter Geweihe tragen, im Vergleich mit dessen viel später eintretendem Wachstum bei den anderen Spezies, bei denen das Männchen allein ein Geweih trägt, – können wir schließen, dass die eine, wenn auch nicht die einzige Ursache der Vererbung von Eigentümlichkeiten ausschließlich auf ein Geschlecht der Umstand ist, dass sie sich in einem späteren Alter entwickeln, und zweitens, dass eine, wenn auch wie es scheint weniger wirksame Ursache der Vererbung von Besonderheiten auf beide Geschlechter deren Entwicklung in einem frühen Alter ist, in einer Zeit also, wo die Geschlechter in ihrer Konstitution nur wenig voneinander abweichen. Es scheint indessen, als wenn doch irgendeine Verschiedenheit zwischen den Geschlechtern selbst während einer frühen embryonalen Periode existieren müsste; denn in diesem Alter entwickelte Merkmale werden nicht selten auf ein Geschlecht beschränkt.

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       Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. – Nach der vorstehenden Erörterung über die verschiedenen Gesetze der Vererbung sehen wir, dass Merkmale der Eltern oft oder selbst ganz allgemein geneigt sind, sich bei demselben Geschlecht in dem nämlichen Alter und periodisch in derselben Jahreszeit, in welcher sie zuerst bei den Eltern auftraten, zu entwickeln. Diese Regeln sind aber infolge unbekannter Ursachen beiweitem nicht fixiert. Die aufeinanderfolgenden Stufen im Verlaufe der Modifikation einer Spezies können daher leicht auf verschiedenen Wegen überliefert werden; einige dieser Stufen werden nur auf ein Geschlecht, andere auf beide vererbt, einige auf die Nachkommen eines bestimmten Alters und einige andere auf allen Altersstufen. Es sind nicht bloß die Gesetze der Vererbung äußerst kompliziert, sondern es sind auch die Ursachen so, welche die Variabilität herbeiführen und beherrschen. Die auf diese Weise verursachten Abänderungen werden durch geschlechtliche Zuchtwahl erhalten und angehäuft, welche an sich wieder eine äußerst verwickelte Angelegenheit ist, da sie von der Gluth der Liebe, dem Mut und der Nebenbuhlerschaft der Männchen ebensowohl wie von dem Wahrnehmungsvermögen, dem Geschmacke und dem Willen der Weibchen abhängt. Geschlechtliche Zuchtwahl wird auch bedeutend von der auf die allgemeine Wohlfahrt der Spezies gerichteten natürlichen Zuchtwahl beherrscht. Es kann daher nicht anders sein, als dass die Art und Weise, in welcher die Individuen eines von beiden Geschlechtern oder beider Geschlechter durch geschlechtliche Zuchtwahl beeinflusst worden sind, im äußersten Grade kompliziert ist.

      Wenn Abänderungen spät im Leben bei einem Geschlecht auftreten und auf dasselbe Geschlecht in demselben Alter überliefert werden, so werden notwendigerweise das andere Geschlecht und die Jungen unverändert bleiben. Wenn die Abänderungen spät im Leben auftreten, aber auf beide Geschlechter in demselben Alter vererbt werden, so werden nur die Jungen unverändert gelassen. Indessen können Abänderungen auf jeder Periode des Lebens in einem Geschlechte oder in beiden auftreten und auf beide Geschlechter in allen Altersstufen überliefert werden, und dann werden alle Individuen der Art in ähnlicher Weise modifiziert werden. In den folgenden Kapiteln werden wir sehen, dass alle diese Fälle im Naturzustand häufig auftreten.

      Geschlechtliche Zuchtwahl kann niemals auf irgendein Tier wirken, bevor nicht das Alter der Fortpflanzungsfähigkeit erreicht ist. Infolge der großen Begierde des Männchens hat sie meistens auf dieses Geschlecht und nicht auf die Weibchen gewirkt. Hierdurch sind die Männchen mit Waffen zum Kampfe mit ihren Nebenbuhlern oder mit Organen zur Entdeckung und zum sichern Festalten der Weibchen oder zum Reizen oder zum Gefallen derselben versehen worden. Wenn die Geschlechter in dieser Hinsicht voneinander abweichen, so ist es auch, wie wir gesehen haben, ein äußerst allgemeines Gesetz, dass das erwachsene Männchen mehr oder weniger vom jungen Männchen verschieden ist; und wir können aus dieser Tatsache schließen, dass die aufeinanderfolgenden Abänderungen, durch welche das erwachsene Männchen modifiziert wurde, allgemein nicht lange vor dem Eintritt des reproduktionsfähigen Alters entwickelt wurden. Sobald aber nur immer einige oder viele der Abänderungen früh im Leben aufgetreten sind, werden die jungen Männchen in einem größeren oder geringeren Grade an den Auszeichnungen der erwachsenen Männchen teilhaben. Verschiedenheiten dieser Art zwischen den alten und den jungen Männchen können bei vielen Tierarten beobachtet werden.

       Es ist wahrscheinlich, dass junge männliche Tiere oft in einer Weise zu variieren gestrebt haben, welche in einem frühen Alter nicht bloß für sie von keinem Nutzen, sondern geradezu schädlich gewesen sein würde – wie z. B. die Erlangung glänzender Farben, welche sie ihren Feinden viel sichtbarer gemacht haben würden, oder von Gebilden, wie großen Hörnern, welche während ihrer Entwicklung viel Lebenskraft beansprucht haben würden. Bei jungen Männchen auftretende Abänderungen dieser Art werden beinahe gewiss durch natürliche Zuchtwahl beseitigt worden sein. Andererseits wird bei erwachsenen und erfahrenen Männchen der aus der Erlangung derartiger Eigentümlichkeiten hergeleitete Vorteil den Umstand, dass sie dadurch Gefahren in mancherlei Graden ausgesetzt wurden, mehr als aufgehoben haben.

      Da die Abänderungen, welche dem Männchen eine Superiorität über andere Männchen beim Kampfe oder beim Aufsuchen, Festalten oder Bezaubern des anderen Geschlechts geben, wenn sie durch Zufall beim Weibchen aufträten, diesem von keinem Nutzen sein würden, so werden sie in diesem Geschlecht durch geschlechtliche Zuchtwahl nicht erhalten worden sein. Wir haben hinreichende Belege dafür, dass bei domestizierten Tieren Abänderungen aller Arten durch Kreuzung und zufällige Todesfälle bald verloren gehen, wenn sie nicht sorgfältig bei der Nachzucht ausgewählt werden. Infolge hiervon werden Abänderungen der obigen Art, wenn sie durch Zufall bei Weibchen auftreten und ausschließlich in der weiblichen Linie weiter vererbt werden, äußerst geneigt sein, verloren zu gehen. Wenn indessen die Weibchen abänderten und ihre neu erlangten Besonderheiten ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts überlieferten, so werden diejenigen derselben, welche den Männchen von Vorteil waren, von diesen durch geschlechtliche Zuchtwahl erhalten und folglich die beiden Geschlechter in der nämlichen Art und Weise modifiziert werden, trotzdem derartige Merkmale für die Weibchen von keinem Nutzen sind. Ich werde indessen später auf diese verwickelten Fälle zurückzukommen haben. Endlich können die Weibchen auch Merkmale durch Überlieferung von dem männlichen Geschlecht erlangen und haben sie allem Anschein nach auch oft erlangt.

       Unaufhörlich hat die Natur von Abänderungen, welche spät im Leben auftreten und nur auf ein Geschlecht überliefert werden, Vorteil gezogen und hat solche durch geschlechtliche Zuchtwahl mit Beziehung auf die Reproduktion der Art angehäuft. Es erscheint daher auf den ersten Blick als unerklärliche Tatsache, dass ähnliche Abänderungen nicht auch häufig durch natürliche Zuchtwahl mit Beziehung auf die gewöhnliche Lebensweise angehäuft worden sind. Wäre dies eingetreten, so würden die beiden Geschlechter häufig in verschiedener Weise modifiziert worden sein, z. B. zum Zwecke des Fangens von Beute oder des Entgehens der Gefahr. Verschiedenheiten dieser Art zwischen den beiden Geschlechtern treten gelegentlich auf, besonders bei den niederen Tieren; dies setzt voraus, dass beide Geschlechter im Kampf um die Existenz verschiedenen Lebensgewohnheiten folgen, was bei den höheren Klassen selten ist. Der Fall liegt indessen ganz verschieden, wenn es sich um die


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