Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

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Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen - Johann Wolfgang von Goethe


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Ich verehre ihn noch immer als ein übernatürliches Wesen. – Seine Großmut, seine Freigebigkeit und sein Wohlwollen gegen Sie! Hat er Sie nicht in das Haus des Domherrn gebracht? Begünstigt er Sie nicht auf alle Weise? Können Sie nicht hoffen, durch ihn Ihr Glück zu machen, wovon Sie als ein dritter Sohn weit entfernt sind? – – Doch Sie sind zerstreut – Irre ich, Ritter? oder Ihre Augen sind mehr auf meine Nichte als Ihr Geist auf mein Gespräch gerichtet!

      RITTER. Verzeihen Sie meine Neugierde. Ein neuer Gegenstand reizt immer.

      MARQUISE. Besonders wenn er reizend ist.

      MARQUIS der bisher mit der Nichte leise gesprochen. Sie sind zerstreut, und Ihre Blicke scheinen nach jener Seite gerichtet zu sein.

      NICHTE. Ich sah meine Tante an. Sie hat sich nicht geändert, seitdem ich sie gesehen habe.

      MARQUIS. Desto mehr verändert find ich Sie, seitdem der Ritter eingetreten ist.

      NICHTE. Seit diesen wenigen Augenblicken?

      MARQUIS. O ihr Weiber! ihr Weiber!

      NICHTE. Beruhigen Sie sich, Marquis! Was fällt Ihnen ein?

      MARQUISE. Wir machen doch diesen Morgen eine Tour, Nichtchen?

      NICHTE. Wie es Ihnen gefällt.

      RITTER. Darf ich mich zum Begleiter anbieten?

      MARQUISE. Diesmal nicht, es würde Ihnen die Zeit lang werden. Wir fahren von Laden zu Laden. Wir haben viel einzukaufen: denn es muß dieser schönen Gestalt an keinem Putze fehlen. Diesen Abend finden wir uns in der ägyptischen Loge zusammen.

      Fünfter Auftritt

      Die Vorigen. Jäck. Der Graf.

      JÄCK. Der Graf! –

      GRAF der gleich hinter Jäck hereinkommt. Wird nirgends angemeldet. Keine Tür ist ihm verschlossen, er tritt in alle Gemächer unversehens herein. Und sollte er auch unerwartet, unwillkommen herabfahren wie ein Donnerschlag: so wird er doch nie hinweggehen, ohne, gleich einem wohltätigen Gewitter, Segen und Fruchtbarkeit zurückzulassen.

      Jäck, der indes unbeweglich dagestanden, den Grafen angesehen und ihm zugehört, schüttelt den Kopf und geht ab.

      DER GRAF setzt sich und behält in diesem sowie in den vorhergehenden und folgenden Auftritten den Hut auf dem Kopfe, den er höchstens nur, um jemand zu grüßen, lüftet. Auch Sie treff ich wieder hier, Ritter? Fort mit Ihnen, überlassen Sie sich der Meditation; und diesen Abend zur gesetzten Stunde finden Sie sich in dem Vorzimmer des Domherrn.

      RITTER. Ich gehorche. Und Ihnen allerseits empfehle ich mich. Ab.

      NICHTE. Wer ist dieser Herr?

      MARQUIS. Der Graf Rostro, der größte und wunderbarste aller Sterblichen.

      GRAF. Marquise! Marquise! Wenn ich nicht so nachsichtig wäre, wie würde es um Sie stehen?

      MARQUISE. Wie das, Herr Graf?

      GRAF. Wenn ich nicht so nachsichtig und mächtig zugleich wäre! Ihr seid ein leichtsinniges Volk! Wie oft habt ihr mich nicht fußfällig gebeten, daß ich euch weiter in die Geheimnisse führen soll! Habt ihr nicht versprochen, euch allen Prüfungen zu unterwerfen, wenn ich euch den Großkophta zeigen, wenn ich euch seine Gewalt über die Geister sehen und mit Händen greifen ließe; und was habt ihr gehalten?

      MARQUISE. Keine Vorwürfe, bester Graf! Sie haben uns genug gestraft.

      GRAF. Ich lasse mich erweichen. Nach einigem Nachdenken. Ich sehe wohl, ich muß anders zu Werke gehen und euch durch eine ganz besondere Weihung, durch die kräftigste Anwendung meiner Wundergaben in wenig Augenblicken rein und fähig machen, vor dem Wundermann zu erscheinen. Es ist eine Operation, die, wenn sie nicht gerät, uns allen gefährlich sein kann. Ich sehe es immer lieber, wenn meine Schüler sich selber vorbereiten, damit ich sie als umgeschaffene Menschen ruhig und sicher in die Gesellschaft der Geister führen kann.

      MARQUISE. Lassen Sie uns nicht länger warten. Machen Sie uns noch heute glücklich, wenn es möglich ist. Lieber will ich mich der größten Gefahr aussetzen, die nur einen Augenblick dauert, als mich dem strengen Gebot unterwerfen, das mir monatelang Tage und Nächte raubt.

      GRAF. Leicht wollt ihr alles haben, leicht und bequem! und ihr fragt nicht, wie schwer mir nun die Arbeit werden muß?

      MARQUISE. Ihnen schwer? – Ich wüßte nicht, was Ihnen schwer werden könnte.

      GRAF. Schwer! sauer! und gefährlich! – Glaubt ihr, der Umgang mit Geistern sei eine lustige Sache? Man zwingt sie nicht, wie ihr die Männer, mit einem Blick, mit einem Händedruck. Ihr denkt nicht, daß sie mir widerstehen, daß sie mir zu schaffen machen, daß sie mich überwältigen möchten, daß sie auf jeden meiner Fehler achthaben, mich zu überlisten. Schon zweimal in meinem Leben habe ich gefürchtet, ihnen unterzuliegen; darum trage ich dieses Gewehr – Er zieht ein Terzerol aus der Tasche. – immer bei mir, um mich des Lebens zu berauben, wenn ich fürchten müßte, ihnen untertänig zu werden.

      NICHTE zum Marquis. Welch ein Mann! Es zittern mir die Knie vor Schrecken! So hab ich nie reden hören! von solchen Dingen hab ich nie reden hören! von solchen Dingen hab ich nichts geträumt!

      MARQUIS. Wenn Sie erst die Einsichten, die Gewalt dieses Mannes kennen sollten, Sie würden erstaunen.

      NICHTE. Er ist gefährlich! mir ist angst und bange!

      Der Graf sitzt indes unbeweglich und sieht starr vor sich hin.

      MARQUISE. Wo sind Sie, Graf? Sie scheinen abwesend! – So hören Sie doch! Sie faßt ihn an und schüttelt ihn. Was ist das? Er rührt sich nicht! Hören Sie mich doch!

      MARQUIS tritt näher. Sie sind ein Kenner von Steinen, wie hoch schätzen Sie diesen Ring? – – Er hat die Augen auf und sieht mich nicht an.

      MARQUISE die ihn noch bei dem Arm hält. So steif wie Holz, als wenn kein Leben in ihm wäre!

      NICHTE. Sollte er ohnmächtig geworden sein? Er sprach so heftig! Hier ist etwas zu riechen!

      MARQUIS. Nein doch, er sitzt ja ganz gerade, es ist nichts Hinfälliges an ihm.

      MARQUISE. Stille! er bewegt sich!

      Der Marquis und die Nichte treten von ihm weg.

      GRAF sehr laut und heftig, indem er vom Stuhle auffährt. Hier! halt ein, Schwager! hier will ich aussteigen!

      MARQUISE. Wo sind Sie, Graf?

      GRAF nachdem er tief Atem geholt hat. Ah – Sehen Sie, so geht mir's! Nach einer Pause. Da haben Sie ein Beispiel! Pause. Ich kann es Ihnen wohl vertrauen. – Ein Freund, der gegenwärtig in Amerika lebt, kam unversehens in große Gefahr; er sprach die Formel aus, die ich ihm anvertraut habe; nun konnte ich nicht widerstehen! Die Seele ward mir aus dem Leibe gezogen, und ich eilte in jene Gegenden. Mit wenig Worten entdeckte er mir sein Anliegen, ich gab ihm schleunigen Rat; nun ist mein Geist wieder hier, verbunden mit der irdischen Hülle, die inzwischen als ein lebloser Klotz zurückblieb. – Pause. Das sonderbarste ist dabei, daß eine solche Abwesenheit sich immer damit endigt, daß es mir vorkommt, ich fahre entsetzlich schnell, sehe meine Wohnung und rufe dem Postillion zu, der eben im Begriff ist, vorbeizufahren. – Hab ich nicht so was ausgerufen?

      MARQUISE. Sie erschreckten uns damit. – Sonderbar und erstaunlich! Leise. Welche Unverschämtheit!

      GRAF. Sie können aber nicht glauben, wie ich ermüdet bin. Mir sind alle Gelenke wie zerschlagen; ich brauche Stunden, um mich wieder zu erholen. Davon ahnet ihr nichts; ihr wähnt, man mache nur alles bequem mit dem Zauberstäbchen.

      MARQUIS. Wunderbarer, verehrungswürdiger Mann! Leise. Welch ein dreister Lügner!

      NICHTE herbeitretend. Sie haben mir recht bange gemacht, Herr Graf.

      GRAF. Ein gutes, natürliches Kind! Zur Marquise. Ihre Nichte?

      MARQUISE. Ja, Herr Graf! Sie hat vor kurzem ihre Mutter verloren;


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