Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

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Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen - Johann Wolfgang von Goethe


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      JÄCK. Sowenig als meinen Kopf.

      DOMHERR. Du bist so leichtsinnig.

      JÄCK. Nicht im Bestellen.

      DOMHERR. So geh hin.

      JÄCK. Gnädiger Herr! Sie verwöhnen die Boten.

      DOMHERR. Ich verstehe. Gibt dem Knaben Geld. Hier, wende es wohl an!

      JÄCK. Ich geb es gleich aus, damit ich es nicht verliere. Ich danke untertänig! Halblaut, als spräche er für sich, doch so, daß es der Domherr hören kann. Welch ein Herr! Fürst verdient er zu sein! Mit vielen mutwilligen Bücklingen ab.

      DOMHERR. Eile nur! eile! – Wie glücklich, daß ich diesen Auftrag so schnell ausrichten konnte! – Nur das einzige macht mit Sorge, daß ich es dem Grafen verbergen mußte. – Es war der Fürstin ausdrücklicher Wille. – O ihr guten Geister, die ihr mir so sichtbar beistandet, bleibt auf meiner Seite und verbergt die Geschichte nur auf kurze Zeit eurem Meister!

      Vierter Auftritt

      Domherr. Ritter. Bedienter.

      ST. JEAN. Der Ritter.

      DOMHERR. Drei Sessel!

      St. Jean stellt die Sessel.

      RITTER. Hier bin ich! Kaum habe ich diesen Augenblick erwarten können. Schon lange geh ich ungeduldig auf der Promenade hin und wider; es schlägt die Stunde, und ich fliege hieher.

      DOMHERR. Sein Sie mir willkommen.

      RITTER. Den Grafen fand ich auf der Treppe. Er redete mich liebreich an, mit einem sanften Tone, den ich nicht an ihm gewohnt bin. Er wird gleich hier sein.

      DOMHERR. Ist er hinüber ins Logenzimmer gegangen?

      RITTER. So schien mir's.

      DOMHERR. Er bereitet sich zu feierlichen Handlungen, Sie erst hier in den zweiten Grad aufzunehmen, dann mich in den dritten zu erheben und uns dem Großkophta vorzustellen.

      RITTER. Ja, er hatte die Miene eines Wohltäters, eines Vaters. Diese Miene ließ mich viel hoffen. O wie schön glänzt die Güte vom Angesicht des Gewaltigen!

      Fünfter Auftritt

      Die Vorigen. Der Graf.

      GRAF indem er seinen Hut abnimmt und gleich wieder aufsetzt. Ich grüße euch, Männer des zweiten Grades!

      DOMHERR. Wir danken dir!

      RITTER. Nennst du mich auch schon so?

      GRAF. Den ich so grüße, der ist's. Er setzt sich auf den mittelsten Sessel. Bedeckt euch.

      DOMHERR. Du befiehlst es! Er setzt auf.

      GRAF. Ich befehle nicht. Ihr bedient euch eures Rechtes; ich erinnere euch nur.

      RITTER beiseite, indem er den Hut aufsetzt. Welche Milde! Welche Nachsicht! Ich brenne vor Begierde, die Geheimnisse des zweiten Grades zu hören.

      GRAF. Setzt euch, meine Freunde, setzt euch, meine Gehülfen!

      DOMHERR. Die Gehülfen sollten vor dem Meister stehen, um, gleich dienstbaren Geistern, seine Befehle schleunig auszurichten.

      GRAF. Wohl gesprochen! Aber sie sitzen bei ihm, weil sie seine Räte mehr als seine Diener sind.

      Beide setzen sich.

      GRAF zum Ritter. Wie nennt man die Männer des zweiten Grades?

      RITTER. Wenn ich eben recht hörte: Gehülfen.

      GRAF. Warum mögen sie diesen Namen tragen?

      RITTER. Wahrscheinlich, weil sie der Meister aufgeklärt und tätig genug findet, zu seinen Absichten mitzuwirken und seine Zwecke zu erfüllen.

      GRAF. Was denkst du von den Endzwecken dieses Grades?

      RITTER. Ich kann mir nichts anders denken, als daß wir nun erst ausüben sollen, was uns der erste Grad gelehrt hat. Dem Schüler zeigt man von weitem, was zu tun ist; dem Gehülfen gibt man die Mittel an die Hand, wie er das Ziel erreichen könne.

      GRAF. Was ist das Ziel, das man den Schülern vorsteckt?

      RITTER. Das eigene Beste in dem Besten der andern zu suchen.

      GRAF. Was erwartet nun der antretende Gehülfe?

      RITTER. Daß ihm der Meister die Mittel anzeigen soll, das allgemeine Beste zu befördern.

      GRAF. Erkläre dich näher.

      RITTER. Du weißt besser als ich selbst, was ich zu sagen habe. In jedes gute Herz ist das edle Gefühl von der Natur gelegt, daß es für sich allein nicht glücklich sein kann, daß es sein Glück in dem Wohl der andern suchen muß. Dieses schöne Gefühl weißt du in den Schülern des ersten Grades zu erregen, zu stärken, zu beleben! – Und wie nötig ist es, uns zum Guten Mut zu machen! Unser Herz, das von Kindheit an nur in der Geselligkeit sein Glück findet, das sich so gern hingibt und nur dann am höchsten und reinsten genießt, wenn es sich für einen geliebten Gegenstand aufopfern kann – ach! dieses Herz wird leider durch den Sturm der Welt aus seinen liebsten Träumen gerissen! Was wir geben können, will niemand nehmen; wo wir zu wirken streben, will niemand helfen; wir suchen und versuchen und finden uns bald in der Einsamkeit.

      GRAF nach einer Pause. Weiter, mein Sohn.

      RITTER. Und was noch schlimmer ist, mutlos und klein. Wer beschreibt die Schmerzen eines verkannten, von allen Seiten zurückgestoßenen menschenfreundlichen Herzens? Wer drückt die langen, langsamen Qualen eines Gemüts aus, das, zu wohltätiger Teilnehmung geboren, ungern seine Wünsche und Hoffnungen aufgibt und sich doch zuletzt derselben auf ewig entäußern muß? Glücklich, wenn es ihm noch möglich wird, eine Gattin, einen Freund zu finden, denen er das einzeln schenken kann, was dem ganzen Menschengeschlechte zugedacht war; wenn er Kindern, wenn er – Tieren nützlich und wohltätig sein kann!

      GRAF. Ihr habt noch mehr zu sagen, fahrt fort.

      RITTER. Ja, dieses schöne Gefühl belebt Ihr in Euren Schülern aufs neue. Ihr gebt ihnen Hoffnung, daß die Hindernisse, die dem sittlichen Menschen entgegenstehen, nicht unüberwindlich sei'n, daß es möglich sei, sich nicht allein zu kennen, sondern sich auch zu bessern; daß es möglich sei, die Rechte der Menschen nicht nur einzusehen, sondern auch geltend zu machen, und indem man für andere arbeitet, zugleich den einzigen schönen Lohn für sich gewinnen –

      GRAF zum Domherrn, der sich bisher unruhig auf seinem Sessel bewegt hat. Was sagt Ihr zu diesen Äußerungen unsers Ritters?

      DOMHERR lächelnd. Daß sie von einem Schüler kommen und von keinem Gefährten.

      RITTER. Wie?

      DOMHERR. Es ist nicht von ihm zu verlangen, er muß belehrt werden.

      RITTER. Was?

      DOMHERR. Sage mir den Wahlspruch des ersten Grades.

      RITTER. Was du willst, daß die Menschen für dich tun sollen, das tue für sie.

      DOMHERR. Vernimm dagegen den Wahlspruch des zweiten Grades: Was du willst, daß die Menschen für dich tun sollen, das tue für sie nicht.

      RITTER aufspringend. Nicht? Hat man mich zum besten? – Darf ein vernünftiger, ein edler Mensch so reden?

      GRAF. Setze dich nieder und höre zu. Zum Domherrn. Wo ist der Mittelpunkt der Welt, auf den sich alles beziehen muß?

      DOMHERR. In unserm Herzen.

      GRAF. Was ist unser höchstes Gesetz?

      DOMHERR. Unser eigener Vorteil.

      GRAF. Was lehrt uns der zweite Grad?

      DOMHERR. Weise und klug zu sein.

      GRAF. Wer ist der Weiseste?

      DOMHERR. Der nichts anders weiß noch will als das, was begegnet.

      GRAF.


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