Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

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Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen - Johann Wolfgang von Goethe


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OBERST. Und wer hinaus will, den haltet fest.

      SCHWEIZER. Wir wollen schon wacker anfassen.

      OBERST. Und wenn die Waldhörner schweigen, so bringt hierher, wen ihr etwa angehalten habt. Zwei aber halten die Pforte besetzt.

      SCHWEIZER. Ja, Herr Obrist. Ich und mein Kamrad bringen Euch die Gefangenen, und der Michel und der Dusle bleiben bei der Pforte, daß nicht etwa ein anderer hinausschlupfet.

      OBERST. Geht nur, Kinder, geht, so ist's recht!

      Die vier Schweizer gehen ab.

      OBERST. Ihr beiden tretet etwa zehn Schritte von hier ins Gebüsch; das übrige wißt ihr.

      SCHWEIZER. Gut.

      OBERST. So, Ritter, wären unsre Posten alle besetzt. Ich zweifle, daß uns einer entgeht. Wenn ich sagen soll, so glaub ich, wir werden hier auf diesem Platze den besten Fang tun.

      RITTER. Wieso, Herr Oberst?

      OBERST. Da von Liebeshändeln die Rede ist, so werden sie dieses Plätzchen gewiß aussuchen. In dem übrigen Garten sind die Alleen zu gerade, die Plätze zu licht; dieses Buschwerk, diese Lauben sind für die Schalkheiten der Liebe dicht genug zusammengewachsen.

      RITTER. Ich bin recht in Sorgen, bis alles vorüber ist.

      OBERST. Unter solchen Umständen sollt es einem Soldaten erst recht wohl werden.

      RITTER. Ich wollte als Soldat lieber an einem gefährlichen Posten stehn. Sie werden mir es nicht verdenken, daß es mir bang um das Schicksal dieser Menschen ist, wenn sie gleich nichtswürdig genug sind und meine Absicht ganz löblich war.

      OBERST. Sein Sie ruhig! Ich habe Befehl vom Fürsten und vom Minister, die Sache in der Kürze abzutun; man verläßt sich auf mich. Und der Fürst hat sehr recht. Denn wenn es Händel gibt, wenn die Geschichte Aufsehn macht, so denken doch die Menschen von der Sache, was sie wollen, und es ist also immer besser, man tut sie im stillen ab. Desto größer wird auch Ihr Verdienst, lieber junger Mann, das gewiß nicht unbelohnt bleiben wird. Mich dünkt, ich höre was; lassen Sie uns beiseite treten.

      Vierter Auftritt

      Die Marquise. Der Marquis. Die Nichte.

      DIE MARQUISE zum Marquis, der nur eben heraustritt. Bleiben Sie nur immer in diesem Gebüsch und halten Sie sich still. Ich trete gleich wieder zu Ihnen.

      Der Marquis tritt zurück.

      MARQUISE. Hier, liebes Kind, ist die Laube, hier ist die Rose; das übrige wissen Sie.

      NICHTE. O liebste Tante, verlassen Sie mich nicht! Handeln Sie menschlich mit mir; bedenken Sie, was ich Ihnen zuliebe tue, was ich Ihnen zu Gefallen wage!

      MARQUISE. Wir sind bei Ihnen, mein Kind; nur Mut! Es ist keine Gefahr, in fünf Minuten ist alles vorüber. Die Marquise tritt ab.

      NICHTE allein. O Gott, was hilft es, daß eine tiefe Nacht die Schuld bedeckt? Der Tag bewillkommt eine jede gute Tat, die im stillen geschah, und zeigt ein ernstes fürchterliches Gesicht dem Verbrecher.

      Fünfter Auftritt

      Die Nichte. Der Domherr.

      Die Nichte setzt sich in die Laube und hält die Rose in der Hand.

      DER DOMHERR der von der entgegengesetzten Seite aus dem Grunde des Theaters hervorkommt. Eine tiefe Stille weissagt mir meine nahe Glückseligkeit. Ich vernehme keinen Laut in diesen Gärten, die sonst durch die Gunst des Fürsten allen Spaziergängern offenstehn und bei schönen Abenden oft von einem einsamen unglücklich Liebenden, öfter von einem glücklichen frohen Paar besucht werden. O ich danke dir, himmlisches Licht, daß du dich heute in einen stillen Schleier hülltest! Du erfreuest mich, rauher Wind, du drohende trübe Regenwolke, daß ihr die leichtsinnigen Gesellschaften verscheuchet, die in diesen Gängen oft umsonst hin und wider schwärmen, die Lauben mit Gelächter füllen und ohne eigenen Genuß andere an den süßesten Vergnügungen stören. O ihr schönen Bäume, wie scheint ihr mir seit den wenigen Sommern gewachsen, seit mich der traurige Bann von euch entfernte! Ich seh euch nun wieder, seh euch mit den schönsten Hoffnungen wieder, und meine Träume, die mich einst in euern jungen Schatten beschäftigten, werden nunmehr erfüllt. Ich bin der glücklichste von allen Sterblichen.

      MARQUISE die leise zu ihm tritt. Sind Sie es, Domherr? Nähern Sie sich, nähern Sie sich Ihrem Glück! Sehn Sie dort in der Laube?

      DOMHERR. O ich bin auf dem Gipfel der Seligkeit!

      Die Marquise tritt zurück.

      DER DOMHERR tritt an die Laube und wirft sich der Nichte zu Füßen. Anbetungswürdige Sterbliche, erste der Frauen! Lassen Sie mich zu Ihren Füßen verstummen, lassen Sie mich auf dieser Hand meinen Dank, mein Leben aushauchen.

      NICHTE. Mein Herr –

      DOMHERR. Öffnen Sie mir nicht Ihre Lippen, Göttliche! es ist an Ihrer Gegenwart genug. Verschwinden Sie mir wieder, ich habe jahrelang an diesem glücklichen Augenblicke zu genießen. Die Welt ist voll von Ihrer Vortrefflichkeit; Ihre Schönheit, Ihr Verstand, Ihre Tugend entzückt alle Menschen. Sie sind wie eine Gottheit; niemand naht sich ihr, als um sie anzubeten, als um das Unmögliche von ihr zu bitten. Und so bin ich auch hier, meine Fürstin –

      NICHTE. O stehn Sie auf, mein Herr –

      DOMHERR. Unterbrechen Sie mich nicht. So bin ich auch hier, aber nicht um zu bitten, sondern um zu danken, für das göttliche Wunder zu danken, womit Sie mein Leben retteten.

      NICHTE indem sie aufsteht. Es ist genug!

      DOMHERR kniend und sie zurückhaltend. Jawohl, der Worte genug, der Worte schon zuviel! Vergeben Sie! Die Götter selbst verzeihen, wenn wir mit Worten umständlich bitten, ob sie gleich unsre Bedürfnisse, unsre Wünsche lange schon kennen. Vergeben Sie meinen Worten! Was hat der arme Mensch Bessers als Worte, wenn er das hingeben möchte, was ihm ganz zugehört. Sie geben den Menschen viel, erhabene Fürstin; kein Tag, der nicht durch Wohltaten ausgezeichnet wäre; aber ich darf mir in diesem glücklichen Augenblicke sagen, daß ich der einzige bin, der Ihre Huld in diesem Grade erfährt, der sich sagen kann: Sie bezeigt dir Vergebung auf eine Weise, die dich höher erhebt, als du jemals tief fallen konntest. Sie kündigt dir ihre Gnade an auf eine Art, die dir ein ewiges Pfand dieser Gesinnungen ist; sie macht dein Glück, sie befestigt's, sie verewigt's, alles in einem Augenblick.

      DIE NICHTE macht eine Bewegung vorwärts, die den Domherrn nötigt, aufzustehn. Entfernen Sie sich; man kommt! Wir sehn uns wieder. Sie hat ihm, indem er aufstand, die Hand gereicht und läßt ihm, da sie sich zurückzieht, die Rose in den Händen.

      DOMHERR. Ja nun will ich eilen, ich will scheiden, will dem brennenden Verlangen widerstehn, das mich zur größten Verwegenheit treibt. Er naht sich ihr mit Heftigkeit und tritt gleich wieder zurück. Nein, befürchten Sie nichts! Ich gehe, aber lassen Sie mich es aussprechen, denn es hängt doch nur mein künftiges Leben von Ihren Winken ab. Ich darf alles bekennen, weil ich Macht genug über mich selbst habe, diesem glücklichen Augenblick hier gleichsam zu trotzen. Verbannen Sie mich auf ewig von Ihrem Angesicht, wenn Sie mir die Hoffnung nehmen, jemals in diesen Armen von allen verdienten und unverdienten Qualen auszuruhn. Sagen Sie ein Wort. Sie bei der Hand fassend.

      NICHTE ihm die Hände drückend. Alles, alles, nur jetzt verlassen Sie mich!

      DOMHERR auf ihren Händen ruhend. Sie machen mich zum glücklichsten Menschen, gebieten Sie unumschränkt über mich.

      Es lassen sich in der Ferne zwei Waldhörner hören, die eine höchst angenehme Kadenz miteinander ausführen. Der Domherr ruht indessen auf den Händen der Nichte.

      Sechster Auftritt

      Die Vorigen. Die Marquise. Der Marquis, hernach der Oberste der Schweizergarde. Schweizer.

      MARQUISE zwischen die beiden hineintretend. Eilen Sie, mein Freund, entfernen Sie sich; ich habe ein Geräusch gehört, Sie sind keinen Augenblick sicher.


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