Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe
Читать онлайн книгу.der Schlacht bei Leuthen, wo unsere Lazarette sich in schlechtem Zustande befanden und sich wahrhaftig noch im schlechteren Zustande befunden hätten, wäre Breme nicht damals ein junger rüstiger Bursche gewesen. Da lagen viele Blessierte, viele Kranke, und alle Feldscherer waren alt und verdrossen, aber Breme ein junger tüchtiger Kerl, Tag und Nacht parat. Ich sag' Euch, Gevatter, daß ich acht Nächte nacheinander weg gewacht und am Tage nicht geschlafen habe. Das merkte sich aber auch der alte Fritz, der alles wußte, was er wissen wollte. Höre Er, Breme, sagte er einmal, als er in eigner Person das Lazarett visitierte, höre Er, Breme, man sagt, daß Er an der Schlaflosigkeit krank liege. – Ich merkte, wo das hinaus wollte, denn die andern stunden alle dabei; ich faßte mich und sagte: Ihro Majestät, das ist eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern wünsche, und da sie keine Mattigkeit zurückläßt und ich den Tag auch noch brauchbar bin, so hoffe ich, daß Seine Majestät deswegen keine Ungnade auf mich werfen werden.
MARTIN. Ei, ei! wie nahm denn das der König auf?
BREME. Er sah ganz ernsthaft aus, aber ich sah ihm wohl an, daß es ihm wohlgefiel. Breme, sagte er, womit vertreibt Er sich denn die Zeit? Da faßt' ich mir wieder ein Herz und sagte: Ich denke an das, was Ihro Majestät getan haben und noch tun werden, und da könnt' ich Methusalems Jahre erreichen und immer fort wachen und könnt's doch nicht ausdenken. Da tat er, als hört' er's nicht, und ging vorbei. Nun war's wohl acht Jahre darnach, da faßt' er mich bei der Revue wieder ins Auge. Wacht Er noch immer, Breme? rief er. Ihro Majestät, versetzt' ich, lassen einem ja im Frieden so wenig Ruh als im Kriege. Sie tun immer so große Sachen, daß sich ein gescheiter Kerl daran zu Schanden denkt.
MARTIN. So habt Ihr mit dem König gesprochen, Gevatter? Durfte man so mit ihm reden?
BREME. Freilich durfte man so und noch ganz anders, denn er wußte alles besser. Es war ihm einer wie der andere, und der Bauer lag ihm am mehrsten am Herzen. Ich weiß wohl, sagte er zu seinen Ministern, wenn sie ihm das und jenes einreden wollten, die Reichen haben viel Advokaten, aber die Dürftigen haben nur einen, und das bin ich.
MARTIN. Wenn ich ihn doch nur auch gesehen hätte!
BREME. Stille, ich höre was! es werden unsere Freunde sein. Sieh da! Peter und Albert.
Siebenter Auftritt
Peter. Albert. Die Vorigen.
BREME. Willkommen! – Ist Jakob nicht bei euch?
PETER. Wir haben uns bei den drei Linden bestellt; aber er blieb uns zu lang' aus, nun sind wir allein da.
ALBERT. Was habt Ihr uns Neues zu sagen, Meister Breme? Ist was von Wetzlar gekommen, geht der Prozeß vorwärts?
BREME. Eben weil nichts gekommen ist, und weil, wenn was gekommen wäre, es auch nicht viel heißen würde, so wollt' ich euch eben einmal meine Gedanken sagen: denn ihr wißt wohl, ich nehme mich der Sachen aller, aber nicht öffentlich an, bis jetzt nicht öffentlich; denn ich darf's mit der gnädigen Herrschaft nicht ganz verderben.
PETER. Ja, wir verdürben's auch nicht gern mit ihr, wenn sie's nur halbweg leidlich machte.
BREME. Ich wollte euch sagen – wenn nur Jakob da wäre, daß wir alle zusammen wären, und daß ich nichts wiederholen müßte und wir einig würden.
ALBERT. Jakob? Es ist fast besser, daß er nicht dabei ist. Ich traue ihm nicht recht; er hat das Freigütchen, und wenn er auch wegen der Zinsen mit uns gleiches Interesse hat, so geht ihn doch die Straße nichts an, und er hat sich im ganzen Prozeß gar zu lässig bewiesen.
BREME. Nun so laßt's gut sein. Setzt euch und hört mich an. Sie setzen sich.
MARTIN. Ich bin recht neugierig, zu hören.
BREME. Ihr wißt, daß die Gemeinden schon vierzig Jahre lang mit der Herrschaft einen Prozeß führen, der auf langen Umwegen endlich nach Wetzlar gelangt ist und von dort den Weg nicht zurück finden kann. Der Gutsherr verlangt Fronen und andere Dienste, die ihr verweigert, und mit Recht verweigert: denn es ist ein Rezeß geschlossen worden mit dem Großvater unsers jungen Grafen – Gott erhalt' ihn! –, der sich diese Nacht eine erschreckliche Brausche gefallen hat.
MARTIN. Eine Brausche?
PETER. Gerade diese Nacht!
ALBERT. Wie ist das zugegangen?
MARTIN. Das arme liebe Kind!
BREME. Das will ich euch nachher erzählen. Nun hört mich weiter an. Nach diesem geschlossenen Rezeß überließen die Gemeinden an die Herrschaft ein paar Fleckchen Holz, einige Wiesen, einige Triften und sonst noch Kleinigkeiten, die euch von keiner Bedeutung waren und der Herrschaft viel nutzten; denn man sieht, der alte Graf war ein kluger Herr, aber auch ein guter Herr. Leben und leben lassen, war sein Spruch. Er erließ den Gemeinden dagegen einige zu entbehrende Fronen und –
ALBERT. Und das sind die, die wir noch immer leisten müssen.
BREME. Und machte ihnen einige Konvenienzen –
MARTIN. Die wir noch nicht genießen.
BREME. Richtig, weil der Graf starb, die Herrschaft sich in Besitz dessen setzte, was ihr zugestanden war, der Krieg einfiel und die Untertanen noch mehr tun mußten, als sie vorher getan hatten.
PETER. Es ist akkurat so; so hab' ich's mehr als einmal aus des Advokaten Munde gehört.
BREME. Und ich weiß es besser als der Advokat, denn ich sehe weiter. Der Sohn des Grafen, der verstorbene gnädige Herr, wurde eben um die Zeit volljährig. Das war, bei Gott! ein wilder böser Teufel, der wollte nichts herausgeben und mißhandelte euch ganz erbärmlich. Er war im Besitz, der Rezeß war fort und nirgends zu finden.
ALBERT. Wäre nicht noch die Abschrift da, die unser verstorbener Pfarrer gemacht hat, wir wüßten kaum etwas davon.
BREME. Diese Abschrift ist euer Glück und euer Unglück. Diese Abschrift gilt alles vor jedem billigen Menschen, vor Gericht gilt sie nichts. Hättet ihr diese Abschrift nicht, so wäret ihr ungewiß in dieser Sache. Hätte man diese Abschrift der Herrschaft nicht vorgelegt, so wüßte man nicht, wie ungerecht sie denkt.
MARTIN. Da müßt Ihr auch wieder billig sein. Die Gräfin leugnet nicht, daß vieles für uns spricht; nur weigert sie sich, den Vergleich einzugehen, weil sie, in Vormundschaft ihres Sohnes, sich nicht getraut, so etwas abzuschließen.
ALBERT. In Vormundschaft ihres Sohnes! Hat sie nicht den neuen Schloßflügel bauen lassen, den er vielleicht sein Lebtage nicht bewohnt, denn er ist nicht gern in dieser Gegend.
PETER. Und besonders, da er nun eine Brausche gefallen hat.
ALBERT. Hat sie nicht den großen Garten und die Wasserfälle anlegen lassen, worüber ein paar Mühlen haben müssen weggekauft werden? Das getraut sie sich alles in Vormundschaft zu tun, aber das Rechte, das Billige, das getraut sie sich nicht.
BREME. Albert, du bist ein wackrer Mann; so hör' ich gern reden, und ich gestehe wohl, wenn ich von unserer gnädigen Gräfin manches Gute genieße und deshalb mich für ihren untertänigen Diener bekenne, so möcht' ich doch auch darin meinem König nachahmen und euer Sachwalter sein.
PETER. Das wäre recht schön. Macht nur, daß unser Prozeß bald aus wird.
BREME. Das kann ich nicht, das müßt ihr.
PETER. Wie wäre denn das anzugreifen?
BREME. Ihr guten Leute wißt nicht, daß alles in der Welt vorwärts geht, daß heute möglich ist, was vor zehn Jahren nicht möglich war. Ihr wißt nicht, was jetzt alles unternommen, was alles ausgeführt wird.
MARTIN. O ja, wir wissen, daß in Frankreich jetzt wunderliches Zeug geschieht.
PETER. Wunderliches und abscheuliches!
ALBERT. Wunderliches und gutes.
BREME. So recht, Albert, man muß das Beste wählen! Da sag' ich nun: Was man in Güte nicht haben kann, soll man mit Gewalt nehmen.
MARTIN. Sollte das gerade das Beste sein?
ALBERT.