Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

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Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen - Johann Wolfgang von Goethe


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Darf ich fragen, gnädige Gräfin, wie Sie sich befinden?

      GRÄFIN. Wie Sie denken können, nach der Alteration, die mich bei meinem Eintritt überfiel.

      MAGISTER. Es tat mir herzlich leid; doch, hoff' ich, soll es von keinen Folgen sein. Überhaupt aber kann Ihnen schwerlich der Aufenthalt hier so bald angenehm werden, wenn Sie ihn mit dem vergleichen, den Sie vor kurzem genossen haben.

      GRÄFIN. Es hat auch große Reize, wieder zu Hause bei den Seinigen zu wohnen.

      MAGISTER. Wie oftmals hab' ich Sie um das Glück beneidet, gegenwärtig zu sein, als die größten Handlungen geschahen, die je die Welt gesehen hat, Zeuge zu sein des seligen Taumels, der eine große Nation in dem Augenblick ergriff, als sie sich zum erstenmal frei und von den Ketten entbunden fühlte, die sie so lange getragen hatte, daß diese schwere fremde Last gleichsam ein Glied ihres elenden, kranken Körpers geworden.

      GRÄFIN. Ich habe wunderbare Begebenheiten gesehen, aber wenig Erfreuliches.

      MAGISTER. Wenngleich nicht für die Sinne, doch für den Geist. Wer aus großen Absichten fehlgreift, handelt immer lobenswürdiger, als wer dasjenige tut, was nur kleinen Absichten gemäß ist. Man kann auf dem rechten Wege irren und auf dem falschen recht gehen – –

      Vierter Auftritt

      Die Vorigen. Luise.

      Durch die Ankunft dieses vorzüglichen Frauenzimmers wird die Lebhaftigkeit des Gesprächs erst gemildert und sodann die Unterredung von dem Gegenstande gänzlich abgelenkt. Der Magister, der nun weiterhin kein Interesse findet, entfernt sich, und das Gespräch unter den beiden Frauenzimmern setzt sich fort, wie folgt.

      GRÄFIN. Was macht mein Sohn? ich war eben im Begriff, zu ihm zu gehen.

      LUISE. Er schläft recht ruhig, und ich hoffe, er wird bald wieder herumspringen und in kurzer Zeit keine Spur der Beschädigung mehr übrig sein.

      GRÄFIN. Das Wetter ist gar zu übel, sonst ging ich in den Garten. Ich bin recht neugierig, zu sehen, wie alles gewachsen ist und wie der Wasserfall, wie die Brücke und die Felsenkluft sich jetzt ausnehmen.

      LUISE. Es ist alles vortrefflich gewachsen; die Wildnisse, die Sie angelegt haben, scheinen natürlich zu sein, sie bezaubern jeden, der sie zum erstenmal sieht, und auch mir geben sie noch immer in einer stillen Stunde einen angenehmen Aufenthalt. Doch muß ich gestehen, daß ich in der Baumschule unter den fruchtbaren Bäumen lieber bin. Der Gedanke des Nutzens führt mich aus mir selbst heraus und gibt mir eine Fröhlichkeit, die ich sonst nicht empfinde. Ich kann säen, pfropfen, okulieren; und wenngleich mein Auge keine malerische Wirkung empfindet, so ist mir doch der Gedanke von Früchten höchst reizend, die einmal und wohl bald jemanden erquicken werden.

      GRÄFIN. Ich schätze Ihre guten häuslichen Gesinnungen.

      LUISE. Die einzigen, die sich für den Stand schicken, der ans Notwendige zu denken hat, dem wenig Willkür erlaubt ist.

      GRÄFIN. Haben Sie den Antrag überlegt, den ich Ihnen in meinem letzten Briefe tat? können Sie sich entschließen, meiner Tochter Ihre Zeit zu widmen, als Freundin, als Gesellschafterin mit ihr zu leben?

      LUISE. Ich habe kein Bedenken, gnädige Gräfin.

      GRÄFIN. Ich hatte viel Bedenken, Ihnen den Antrag zu tun. Die wilde und unbändige Gemütsart meiner Tochter macht ihren Umgang unangenehm und oft sehr verdrießlich. So leicht mein Sohn zu behandeln ist, so schwer ist es meine Tochter.

      LUISE. Dagegen ist ihr edles Herz, ihre Art, zu handeln, aller Achtung wert. Sie ist heftig, aber bald zu besänftigen, unbillig, aber gerecht, stolz, aber menschlich.

      GRÄFIN. Hierin ist sie ihrem Vater – –

      LUISE. Äußerst ähnlich. Auf eine sehr sonderbare Weise scheint die Natur in der Tochter den rauhen Vater, in dem Sohne die zärtliche Mutter wieder hervorgebracht zu haben.

      GRÄFIN. Versuchen Sie, Luise, dieses wilde, aber edle Feuer zu dämpfen. Sie besitzen alle Tugenden, die ihr fehlen. In Ihrer Nähe, durch Ihr Beispiel wird sie gereizt werden, sich nach einem Muster zu bilden, das so liebenswürdig ist.

      LUISE. Sie beschämen mich, gnädige Gräfin. Ich kenne an mir keine Tugend als die, daß ich mich bisher in mein Schicksal zu finden wußte, und selbst diese hat kein Verdienst mehr, seitdem Sie, gnädige Gräfin, so viel getan haben, um es zu erleichtern. Sie tun jetzt noch mehr, da Sie mich näher an sich heranziehen. Nach dem Tode meines Vaters und dem Umsturz meiner Familie habe ich vieles entbehren lernen, nur nicht gesitteten und verständigen Umgang.

      GRÄFIN. Bei Ihrem Onkel müssen Sie von dieser Seite viel ausstehen.

      LUISE. Es ist ein guter Mann; aber seine Einbildung macht ihn oft höchst albern, besonders seit der letzten Zeit, da jeder ein Recht zu haben glaubt, nicht nur über die großen Welthändel zu reden, sondern auch darin mitzuwirken.

      GRÄFIN. Es geht ihm wie sehr vielen.

      LUISE. Ich habe manchmal meine Bemerkungen im stillen darüber gemacht. Wer die Menschen nicht kennte, würde sie jetzt leicht kennen lernen. So viele nehmen sich der Sache der Freiheit, der allgemeinen Gleichheit an, nur um für sich eine Ausnahme zu machen, nur um zu wirken, es sei, auf welche Art es wolle.

      GRÄFIN. Sie hätten nichts mehr erfahren können, und wenn Sie mit mir in Paris gewesen wären.

      Fünfter Auftritt

      Friederike. Der Baron. Die Vorigen.

      FRIEDERIKE. Hier, liebe Mutter, ein Hase und zwei Feldhühner! Ich habe die drei Stücke geschossen, der Vetter hat immer gepudelt.

      GRÄFIN. Du siehst wild aus, Friederike; wie du durchnäßt bist!

      FRIEDERIKE das Wasser vom Hute abschwingend. Der erste glückliche Morgen, den ich seit langer Zeit gehabt habe.

      BARON. Sie jagt mich nun schon vier Stunden im Felde herum.

      FRIEDERIKE. Es war eine rechte Lust. Gleich nach Tische wollen wir wieder hinaus.

      GRÄFIN. Wenn du's so heftig treibst, wirst du es bald überdrüssig werden.

      FRIEDERIKE. Geben Sie mir das Zeugnis, liebe Mama! wie oft hab' ich mich aus Paris wieder nach unsern Revieren gesehnt. Die Opern, die Schauspiele, die Gesellschaften, die Gastereien, die Spaziergänge, was ist das alles gegen einen einzigen vergnügten Tag auf der Jagd, unter freiem Himmel, auf unsern Bergen, wo wir eingeboren und eingewohnt sind. – Wir müssen ehester Tage hetzen, Vetter.

      BARON. Sie werden noch warten müssen, die Frucht ist noch nicht aus dem Felde.

      FRIEDERIKE. Was will das viel schaden? es ist fast von gar keiner Bedeutung. Sobald es ein bißchen auftrocknet, wollen wir hetzen.

      GRÄFIN. Geh, zieh dich um! Ich vermute, daß wir zu Tische noch einen Gast haben, der sich nur kurze Zeit bei uns aufhalten kann.

      BARON. Wird der Hofrat kommen?

      GRÄFIN. Er versprach mir, heute wenigstens auf ein Stündchen einzusprechen. Er geht auf Kommission.

      BARON. Es sind einige Unruhen im Lande.

      GRÄFIN. Es wird nichts zu bedeuten haben, wenn man sich nur vernünftig gegen die Menschen beträgt und ihnen ihren wahren Vorteil zeigt.

      FRIEDERIKE. Unruhen? Wer will Unruhen anfangen?

      BARON. Mißvergnügte Bauern, die von ihren Herrschaften gedrückt werden und die leicht Anführer finden.

      FRIEDERIKE. Die muß man auf den Kopf schießen. Sie macht Bewegungen mit der Flinte. Sehen Sie, gnädige Mama, wie mir der Magister die Flinte verwahrlost hat! Ich wollte sie doch mitnehmen, und da Sie es nicht erlaubten, wollte ich sie dem Jäger aufzuheben geben. Da bat mich der Graurock so inständig, sie ihm zu lassen: sie sei so leicht, sagt' er, so bequem, er wolle sie so gut halten, er wolle so oft auf die Jagd gehen. Ich ward ihm wirklich gut, weil er so oft auf die Jagd gehen wollte, und nun, sehen Sie, find' ich sie heute in der Gesindestube hinterm Ofen. Wie das


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