Vom gehorsamen Kirchenschaf zum selbstbestimmten Katholiken. Alfons Wiebe

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Vom gehorsamen Kirchenschaf zum selbstbestimmten Katholiken - Alfons Wiebe


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Zettel, ihn gefälligst ordentlich zu säubern und noch mal hinauszustellen.

      Am Hl. Abend wurden wir Kinder zu unserer Oma Prill geschickt, wo wir ihr Bäumchen schmückten und den Eltern aus dem Weg waren. Mein Vater schmückte den Weihnachtsbaum zu Hause. Unsere Weihnachtsfeier am Nachmittag hatten wir über die Adventszeit gut vorbereitet. Jeder lernte ein Weihnachtsgedicht auswendig und trug es unter dem Weihnachtsbaum vor. Oder wir führten ein Krippenspiel auf, das mein Vater mit uns eingeübt hatte.

      Die religiöse Erziehung im Elternhaus sollte durch die Schule unterstützt werden. Deshalb schickten uns die Eltern auf die katholische Grundschule. Dort hatten wir drei Stunden Religions­unterricht pro Woche, von denen eine für den Besuch eines Schülergottesdienstes verwandt wurde. Die übrigen Stunden entfielen auf Bibelunterricht, den der Klassenlehrer übernahm, und auf Kathechismus­unterricht, der von der Seelsorgshelferin oder einem Geistlichen erteilt wurde. In beiden Unterrichten spielte das Auswendiglernen eine sehr große Rolle. Meine Grundkenntnisse über Bibel, Kirche und katholischer Lehre verdanke ich diesem Unterricht.

      Aus ihnen stammt auch das Welt-und Gottesbild meiner Kindheit. Ich stellte mir Gott als einen alten Mann mit Bart über den Wolken schwebend vor. Er saß auf einem Thron, umgeben von seinem Hofstaat aus Engeln, und wachte über die ganze Welt. Er hatte auch mich stets im Blick, um zu kontrollieren, ob ich mich auch gut verhielt. Gehorsam den Eltern gegenüber liebte er am meisten. Jede böse Tat war eine Sünde und konnte ihn beleidigen. Dabei unterschied ich zwischen lässlichen und schweren Sünden. Wenn ich mich auch nicht erinnere, dass ich mir einer schweren Sünde bewusst war, so hatte ich doch eine unbestimmte Angst, sie einmal begehen zu können. Denn in diesem Falle müsste ich, wenn ich stürbe, in die Hölle kommen, eine schreckliche Vorstellung! Ich war eigentlich immer im Ungewissen, wie ich einmal vor Gott dastehen werde und lebte in einer unbestimmte Angst vor dem, was ich nach dem Tode von Gott zu erwarten hatte.

      Was lernte ich noch im Religionsunterricht? Kritische Reflektion über den Glauben oder Hinführung zu und Vorbereitung auf religiöser Entscheidungen, wie sie der heutige Religions­unterricht anzubahnen versucht, waren damals nicht üblich. Es kam darauf an, das Wissen zu vermitteln, das ein katholischer Christ zum Leben als aktiver Christ in Gesellschaft und Kirche brauchte. Der Katechismus war in Fragen und Antworten zu bestimmten Glaubenslehren aufgeteilt. Sie wurden uns erklärt und mussten dann memoriert werden.

      Im Bibelunterricht lernten wir die biblischen Geschichten kennen und mussten sie wörtlich nacherzählen.

      Beide Unterrichte waren die Grundlage der Sakramentenhinführung, die in der 2. und 3. Klasse erfolgte. Zuerst gab es den Beichtunterricht. Hier wurden uns anhand der 10 Gebote gesagt, wie ein Christ sich zu verhalten habe und was er dabei falsch machen konnte. Das hieß dann Sünde und war eine Beleidigung Gottes, die mit der Beichte wiedergutgemacht werden konnte. Zur Unterstützung des Unterrichts erhielten wir einzelne Din-a-5 große mit farbigen Bildern versehene Blätter, die in einem Hefter gesammelt wurden. Sie enthielten kleine Geschichten, anhand derer uns die kirchliche Lehre erläutert wurde, oder uns nahe gelegt wurde, wie wir uns als Christen zu verhalten hätten. Ich habe die Geschichten gerne gelesen und die Bilder gerne angeschaut. Die Geschichte von Tarcisius hat sich mir eingeprägt. Er hat den in den Katakomben in Rom versteckten Christen mutig die Kommunion gebracht.

      An die erste hl. Beichte kann ich mich nicht erinnern, wohl aber an die vielen Beichten, zu denen wir jeden ersten Samstag im Monat geschickt wurden. Ich empfand sie als lästig, da sie mich nötigten, immer die gleichen Verfehlungen im Beichtstuhl vorzutragen. Die Beichte begann mit der Formel: Meine letzte hl. Beichte war vor vier Wochen. In Demut und Reue bekenne ich meine Sünden. Dann folgte das Bekenntnis der „Sünden“: Ich habe unandächtig gebetet, in der Hl. Messe geschwätzt, manchmal die Tagesgebete vergessen, mich mit meinen Klassenkameraden und Geschwistern gezankt und geschlagen. Ich habe meine Mutter geärgert, ich war ungehorsam, habe gelogen, und manchmal Unkeusches angeschaut oder berührt. Letzteres bezog sich auf Spielereien mit meinem Glied. Das Bekenntnis endete mit der Formel: Dies sind alle meine Sünden. Der Priester hinter dem Sprechgitter flüsterte einige Sätze der Mahnung und Aufmunterung, wobei mir noch in Erinnerung ist, dass er vor den Mund ein Tuch hielt. Und dann sprach er das „Ego te absolvo“. Zum Schluss erhielt ich noch aufgetragen, zur Buße z.B. dreimal das Vater unser oder ein anderes bekanntes Gebet aufzusagen und war dann entlassen. In der Regel stellte sich nach Erledigen der Buße auf dem Nachhauseweg eine große Erleichterung ein, wobei mir heute nicht klar ist, ob sie aus der Sündenvergebung kam oder aus der Tatsache, dass ich wieder einmal eine unangenehme Leistung hinter mich gebracht hatte. Ich hatte damals schon die Frage in mir: Welchen Sinn soll das haben, immer wieder die gleichen Sprüchlein herunter zusagen, wenn sich doch nichts änderte. Aber ich hielt mich brav an die Vorgabe, einmal im Monat zur Beichte zu gehen.

      

Das Kommunionkind

      Meine 1.Kommunion fand am 16.April 1950 in St.Ägidien statt.

      Durch den Beichtunterricht wurde die 1. Hl. Kommunion vorbereitet, auf die wir ebenfalls in einen eigenen Unterricht eingestimmt wurden. Als der große Tag herangenaht war, wurde ich als Kommunionkind neu eingekleidet.

      Ich trug einen blauen Anzug mit kurzen Hosen, ein weißes Hemd, weiße Kniestrümpfe mit Zopfmuster aus Wolle; die meine Oma gestrickt hatte, und braune Schuhe. Die Kommunionkerze, die mit einer Myrthengirlande geschmückt war beeindruckte mich mit ihrer kunstvoll geknickten Papierschale. Am Morgen des Tages nahm mich mein Vater beiseite und ermahnte mich: Deine Geschenke machst du aber erst nach der Kirche auf, wenn du die hl. Kommunion schon empfangen hast. Ich weiß noch, dass ich stolz auf mich war, diese Ermahnung auch eingehalten zu haben. Der Kommunionempfang ist mir nicht in Erinnerung geblieben, wohl aber das Gefühl:“ Jetzt kommt Jesus in dein Herz und du kannst mit ihm reden.“ Für das Reden mit ihm hatte man uns ein Muster zurechtgelegt: Begrüßung, Anbetung, Dank und Bitte. Nach dem richtete ich mich in der Folgezeit. Nach dem Kommunionempfang kniete ich mich in der Bank hin, bettete mein Gesicht in die Hände und sprach im Stillen mit Jesus. Ich bemühte mich, stets eine persönliche Beziehung zu Jesus zu pflegen. Aber wenn ich zu ihm redete, vermisste ich seine Antwort.

      An die Feier zu Hause kann ich mich nicht erinnern. Nur an einzelne Geschenke z.B. eine Uhr von meinen Eltern, einen Füller von Tante Elfriede und an die lederne Federtasche von Frau Salge, die ich heute noch habe.

      6Der Missionsschüler

      Ich bin gerne in die Grundschule gegangen. Der Unterricht bei meinem Lehrer Herrn Böker machte mir Spaß. Ich war an allem interessiert, was er uns beibrachte. Besonders gerne hatte ich Heimat­kunde, in der Herr Böker uns die Geschichte Braunschweigs sehr anschaulich vor Augen führte. Ich erinnere mich an den Nachbau der Schulumgebung im Sandkasten, an Unterrichtsgänge durch die Stadt zu den historischen Sehenswürdigkeiten und an die Erzählungen von Herzog Heinrich dem Löwen. Meine Leistungen in den verschiedenen Fächern waren gut, so dass es selbstverständlich war, dass ich zur Prüfung am Gymnasium angemeldet wurde. Da aber von den 250 angemeldeten Schülern nur 50 aufgenommen werden konnten, musste nach Leistung ausgewählt werden. Leider gehörte ich nicht zu den 50 Besten. Die Zurücksetzung empfand ich als schmerzhaft. Sie bedeutete, dass ich weiter zur Volksschule gehen und einen Lehrberuf ergreifen würde. Die Durchlässigkeit des heutigen Schulsystems gab es damals noch nicht.

      In der 5. Klasse passierte es dann, dass eines Tages der „Stadt Gottes“ -Werber Br. Hildebert von den Steyler Missionaren nach Braunschweig kam und sich beim Probst von Ägidien erkundigte, ob es Jungen in der Pfarrei gäbe, die an einem Besuch der Missionsschule in Bad Driburg interessiert seien. Er wurde an die Familie Wiebe verwiesen und tauchte eines Tages bei uns auf. Er bot uns an, mich in die Schule aufzunehmen, wenn ich bereit wäre, eines Tages als Priester in den Orden der Steyler Missionare einzutreten und als Missionar in die Mission zu gehen. Die Vorstellung, nun doch das Gymnasium besuchen zu können, war verlockend. Auch das Abenteuerleben als Missionar reizte mich. Und so kam es, dass meine Eltern mit mir, dem 12-jährigen, in einem DKW, den ein Bekannter fuhr, nach Bad Driburg reisten, und mich im Internat ablieferten. Hier habe ich die nächsten 7 Jahre meines Lebens verbracht.

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