Die Steppe. James Fenimore Cooper

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Die Steppe - James Fenimore Cooper


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Einzelnen selbst in den Bereich der Würdigung des Staats bringt, indem er so wenig als nur möglich aus Rücksicht auf die Vorfahren zuerkannt wird. Dieser Gleichmuth, diese Selbstverläugnung, dieser gesunde Verstand, oder mit welchem andern Ausdruck man sonst diese Maßregel belegen mag, hat der Nation den Vorwurf zugezogen, als habe sie einen unedeln Ursprung. Lohnte es der Mühe, so würde man bei näherer Untersuchung finden, daß weit mehr als die Hälfte der berühmten Namen des Mutterlandes bis auf diese Stunde in seinen früheren Colonieen gefunden wird; und es ist eine den Wenigen, welche mit einem so unwichtigen Gegenstand sich beschäftigt haben, wohlbekannte Thatsache, daß die Sprößlinge von gerader Linie aus manchem aussterbenden Geschlecht, welches Englands Politik durch Seitenlinien hat stützen wollen, jetzt die Aemter einfacher Bürger unter uns verwaltet. Der Stock ist derselbe geblieben, und die, welche den ehrwürdigen Korb umflattern, mögen gerne die leere Auszeichnung des Alters ihrer Geburt sich anmaßen, uneingedenk der Baufälligkeit ihrer Besitzung, und der Genüsse der zahlreichen und kräftigen Schwärme, welche die frischeren Süßigkeiten einer neuen Welt einsammeln. Aber da dies ein Gegenstand ist, der mehr für einen Politiker und Geschichtschreiber als für den bescheidenen Erzähler der heimischen Vorfälle gehört, die wir darlegen wollen, so müssen wir unsere Betrachtungen auf solche Dinge beschränken, welche eine unmittelbare Beziehung auf den Gegenstand der Erzählung haben.

      Obgleich der Bürger der Vereinten Staaten mit so vielem Recht auf ein hohes Geschlecht Anspruch machen darf, ist er doch gar nicht von der Strafe wegen seines Falls befreit. Gleiche Ursachen bringen, wie bekannt, gleiche Wirkungen hervor. Der Tribut, den, wie es scheint, die Nationen immer durch mühsame Erfahrung am Altar der Ceres bezahlen müssen, ehe sie deren volle Gunst erfahren, wird gewissermaßen in Amerika von dem Abkömmling, statt von dem Vorfahr bezahlt. Der Gang der Civilisation bei uns hat eine außerordentliche Aehnlichkeit mit dem aller kommenden Begebenheiten, welche, wie man sagt, „ihren Schatten vor sich werfen." Alle Stufen der Gesellschaft, von dem Zustand an, welcher der verfeinerte genannt wird, bis zu dem, der so nahe an Barbarei gränzt, als es die Verbindung mit einem verständigen Volk erlaubt, kann man nachweisen aus der Mitte der Staaten, wo Reichthum, Ueppigkeit und Künste anfangen sich niederzulassen, bis zu den entfernten, und immer zurückweichenden Grenzen, welche die Scheide abmarken, und die Nähe der Nation anzeigen, wie bewegliche Nebel dem Tag vorauszugehen pflegen.

      Hier und hier allein findet man die weitverbreitete, aber gar nicht zahlreiche Classe, welche in allem mit denen verglichen werden kann, die den intellektuellen Fortschritten der Nationen in der alten Welt den Weg gebahnt haben. Die Aehnlichkeit zwischen dem amerikanischen Grenzwohner und seinem europäischen Urbild ist sonderbar, wiewohl sie nie ganz zur Gleichheit wird. Beide können unbeschränkt genannt werden, da der eine über, der andere unter dem Bereich des Gesetzes ist; — beide tapfer, da sie unter Gefahren aufwuchsen, — stolz, da sie unabhängig waren, — rachsüchtig, da jeder selbst Rächer des ihm angethanen Unrechts war. Eine weitere Fortsetzung der Parallele würde dem Grenzwohner Unrecht thun. Er ist irreligiös, weil er die Lehre ererbt hat, daß die Religion nicht in Formen besteht, und seine Vernunft eine Mummerei verwirft, die sein Gewissen nicht billigt. Er ist nicht Ritter, weil er nicht die Macht hat, Auszeichnungen zu erweisen, und er hat nicht die Macht, weil er das Kind, nicht der Vater des Systems ist. Auf welche Art diese verschiedenen Eigenschaften sich in einigen der markirtesten Menschen aus der letztern Classe darstellen, wird man aus dem Verlauf der folgenden Erzählung ersehen.

      Ismael Busch hatte das Ganze eines Lebens von mehr als fünfzig Jahren auf den Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft zugebracht. Er rühmte sich, daß er nie gewohnt, wo er nicht sicher jeden Baum hätte fallen können, den er von seiner Schwelle aus sah; daß das Gesetz selten in seinen Wohnbezirk gekommen, und seine Ohren nie freiwillig den Ton einer Kirchenglocke zugelassen. Seine Bemühungen gingen selten weiter als seine Bedürfnisse, die, seiner Classe eigenthümlich, selten unbefriedigt geblieben. Er hatte keine Achtung vor irgend einem Wissen, die Heilkunde ausgenommen; weil er die Anwendung einer Wissenschaft nicht begreifen konnte, wenn sie nicht in die äußern Sinne fiel. Seine Achtung für diesen besondern Zweig der Wissenschaft hatte ihn vermocht, dem Wunsche eines Mediziners Gehör zu geben, dessen Eifer für Naturgeschichte ihn getrieben, die Wanderungsliebe des Grenzwohners zu benutzen. Diesen Herrn hatte er liebevoll in seine Familie oder vielmehr in seinen Schutz aufgenommen, und sie reisten so weit in vollkommner Eintracht durch die Steppen; Ismael wünschte seinem Weibe oft Glück zu dem Besitz eines Gefährten, der in ihrer neuen Wohnung, wo sie auch immer sein möchte, so nützlich sein würde, bis die Familie sich gänzlich acclimatisirt habe. Die Ausflüge des Naturforschers führten ihn jedoch zu Zeiten häufig Tage lang von der geraden Linie der Reiseroute des Grenzwohners ab, der selten eine andere Führerin als die Sonne zu haben schien. Viele würden sich glücklich gepriesen haben, daß sie bei dem gefährlichen Sioux-Einfall abwesend gewesen, und so that auch Obed Bat (oder, wie er sich gern nannte, Battius, M. D. [Medicinae Doctor] und Mitglied mehrerer cisatlantischen gelehrten Gesellschaften), — der kühne Herr, von dem die Rede ist.

      Obgleich Ismael's träger Charakter nicht sehr aufgeregt ward, war er doch sehr verstimmt durch die Freiheiten, die man sich mit seinem Eigenthum genommen. Er begab sich zur Ruhe, denn es war die Stunde, die er zu dieser Erfrischung bestimmt, und weil er wußte, wie unnütz jede Bemühung sein würde, seine Habe in der Dunkelheit der Mitternacht wieder zu erlangen. Er kannte auch die Gefahr seiner gegenwärtigen Lage zu wohl, um, was noch übrig ist, für das zu wagen, was er verloren. So sehr auch die Bewohner der Steppen, wie man weiß, die Pferde lieben, so wissen sie doch auch andere Dinge, die noch in dem Besitz der Wanderer waren, gehörig zu schätzen. Es war eine gewöhnliche List, die Heerden zu zerstreuen, und dann die Verwirrung zu benutzen. Aber Mahtoree hatte, wie es schien, in dem gegenwärtigen Fall die Klugheit des Mannes, den er angriff, zu gering angeschlagen. Die Gleichgültigkeit, mit der der Grenzwohner seinen Verlust hörte, haben wir schon gesehen, und es bleibt noch übrig, den Erfolg seiner gereifteren Entschließungen darzulegen.

      Obgleich das Lager manches Auge einschloß, das lange offen blieb, und manches Ohr, welches das geringste Zeichen eines neuen Lärms schnell auffing, lag es doch in tiefer Ruhe während des übrigen Theils der Nacht. Stille und Ermüdung übten endlich ihre Rechte aus, und ehe der Morgen erschien, war alles, die Schildwachen ausgenommen, wieder in tiefem Schlaf begraben. In wie weit diese schläfrigen Wachter ihre Pflicht nach dem Ueberfall erfüllten, ist nie recht bekannt geworden, da nichts vorfiel, was ihre nachherige Wachsamkeit hätte darthun oder widerlegen können.

      Sobald jedoch der Tag zu dämmern begann, und ein graues Licht vom Himmel auf die dunkeln Gegenstände der Ebene fiel, erhob sich Ellen Wade's halb wirres, angstvolles und doch blühendes Antlitz unter der Masse der Kinder empor, unter die sie sich bei ihrer verstohlnen Rückkehr in's Lager gemischt hatte. Sie stand leise auf, wand sich leicht durch die ausgestreckten Körper und ging mit derselben Vorsicht bis zu den äußersten Vertheidigungswerken Ismael's. Hier lauschte sie, als untersuchte sie, ob es rathsam sei, weiter zu gehn. Doch dauerte dies nur einen Augenblick, und lange, ehe die schlaftrunkenen Augen der Schildwache, die die Stelle übersah, wo sie stand, Zeit gehabt, einen Lichtstrahl von ihrer behenden Gestalt aufzufangen, eilte sie der Niederung hin, und stand auf dem Gipfel der nächsten Anhöhe.

      Ellen lauschte jetzt lang und aufmerksam, um einen andern Laut zu vernehmen, als das Säuseln der Morgenluft, das leise in dem Gras zu ihren Füßen spielte. Sie wollte eben, in ihrer Erwartung getäuscht, die Erforschung aufgeben, als das Geräusch eines Menschentritts durch das nasse Gras zu ihrem Ohr drang. Schnell vorwärts eilend, sah sie die Umrisse einer Gestalt, die nach der Anhöhe zuschritt, auf der dem Lager entgegengesetzten Seite, als habe sie ihrem Schatten wahrgenommen. Sie hatte schon Paul's Namen ausgestoßen, und wollte eben mit der eiligen, schnellen Stimme, womit weibliche Zuneigung den Freund zu grüßen pflegt, das Gespräch beginnen, als sich bei'm Umwenden das Mädchen getäuscht sah, und ihrem Gruß kalt hinzufügte: „Ich hätte nicht gedacht, Doctor, Euch zu dieser ungewöhnlichen Stunde zu begegnen."

      „Alle Stunden, jede Zeit, meine gute Ellen, sind dem wahren Freund der Natur gleich“ erwiederte ein kleiner, hagerer aber außerordentlich lebendiger Mann, der in eine sonderbare Mischung von Tuch und Häuten gekleidet war, und schon das mittlere Alter zurückgelegt hatte; „und wer bei diesem dunkeln Licht nichts zu finden weiß, was er bewundern muß, kennt einen großen Theil der Segnungen nicht, die er genießt."


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