Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.wenn ich auch nicht gleich einschlafen konnte, träumte ich doch wachend von vielen lieben, und doch auch wieder jetzt so traurigen Dingen.
Die Eingeborenen waren es, die mich endlich auf andere Gedanken brachten - und zwar die eingeborenen Flöhe - Miniaturkänguruhs, die ganz urplötzlich anfingen, sich ein Privatvergnügen an dem Fremden zu machen. Wenn es ein Trost war, daß sich mein alter Correo auch unruhig auf seiner Lehmmatratze umherwarf, so hatt' ich den allerdings. Mir nützte es aber doch so viel, daß ich meinen Plänen und Grübeleien entrissen, und der nun einmal eristirenden Wirklichkeit wieder zugezogen wurde. Ich schlief endlich ein, und als ich am nächsten Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmelszelt und die Pferde wurden draußen eben in die Umzäunung getrieben, wo die jungen Leute die zum Gebrauch bestimmten mit dem Lasso fingen, und dann die anderen wieder hinaus auf die Weide ließen. Es war ein ziemlich später Aufbruch, auch fiel an diesem Tag nichts Besonderes weiter vor - wir machten nur vier kleine Stationen.
Am 20. erreichten wir ein kleines Städtchen, Arrecifes, nach dem Fluß genannt, an dem es lag, wo ich einen Nordamerikaner - der Einzige, der auf dem ganzen Weg zwischen Buenos-Ayres und Mendoza Englisch sprach - traf. Heute sollte ich übrigens zuerst erfahren, wie die Südamerikaner ihre Thiere rücksichtslos, ob sie dabei zu Grunde gehen oder nicht, anstrengen.
Wir hatten eine Station von acht Leguas und legten diese mit dem Lastpferd in einem gestreckten Galopp zurück. Mich jammerten die armen Thiere, aber was half mit mein Mitleiden; bei dem Correo mußte ich bleiben und durfte also schon mein Pferd, so gern ich auch gewollt, nicht schonen. In Fontezuelas, einer kleinen Ansiedlung, wo wir wieder Pferde wechselten, rasteten wir kaum eine halbe Stunde, und von dort trieben wir die Thiere zu eben solcher Eile an, weil mein Alter gern noch an dem Abend die nächste Station /72/ erreichen wollte. Kaum also saßen wir im Sattel, so kam das gewöhnliche Wort „Galopp", der Correo hieb dem Packpferd seine lange Peitsche über die Schenkel, und „hui über die Pampas" hieß die Losung.
Nur immer den Zügel fest in der Hand, lieber Leser, und schaue vorsichtig auf den Weg, denn Dachse und Eulen haben hier überall ihre Löcher, und wenn Du dem Pferd mit Deinen Augen nicht zu Hülfe kommst, könnt Ihr leicht zusammen die Erde küssen. Sieh, der Correo ist schon ein ganzes Stück voraus, Du hast Dein Thier zu sehr geschont - fort! - Weiche dem schilfigen Gras da aus, da hat's Sumpf, dort zur Linken findet Dein Pferd festeren Boden - aber hab' Acht auf die Dachslöcher - hab' Acht! Und siehst Du dort wo die niederen Disteln so üppig stehen, die kleine Eule sitzen! Da sind auch Löcher - vermeide die - „aber dort sitzt auch eine Eule, und hier auch, und da ebenfalls - hier sitzen ja überall Eulen!" - ja hier sind auch überall Erdlöcher! Aber nur weiter, Du versäumst die Zeit, und in rasch einbrechender Dunkelheit könntest Du auf dem weiten Plan - denn Weg und Steg habt Ihr längst verlassen - die Führer verlieren! Und sieh, wie der alte Bursche dabei so fest und regungslos im Sattel sitzt, während ihm der lange, schwere Poncho inr regelmäßigen Schlägen, wie das Pferd vorn einspringt, um die Schultern flappt! - An dem ganzen Körper scheint nur der rechte Arm mit der Peitsche Bewegung zu haben, und diese kommt erbarmungslos auf den Rücken des armen Lastthiers nieder, selbst wenn das nur an einer bös sumpfige Stelle den Schritt auf einen Moment mäßigt, oder rechts oder links nach den ruhig und ungezüchtigt weidenden Kameraden hinüberblinzelt. Vorwärts ist sein einziger Gedanke - vorwärts! Das Thier, das er reitet, das Thier, das sein Gepäck trägt, ist für ihn kein fühlendes, lebendiges Geschöpf, es ist nur ein Pferd, und wenn das stürzt, kann er hier für anderthalb Dollar, vielleicht noch billiger, ein anderes kaufen. Wozu also eine solche werthlose Maschine besonders schonen!
Ich hatte übrigens an dem Abend gerade ein schändliches Pferd; es stolperte immer beim zehnten Sprung, und ich /73/ mußte mich ungemein vorsehen. Das half aber auch nur eine Zeit lang. Als wir einen langen, etwas feuchten und weichen Wiesenstrich in einem wahren Carrière dahinflogen, trat mein Pferd doch in eine der überall zerstreuten Erdhöhlen und konnte diesmal seine Füße nicht wieder gewinnen. Vornüber schlug's, und, wohl oder übel, ich mußte mit - kaum daß ich noch rasch mein Bein unter dem schweren Körper vorbeikommen konnte. Glücklicher Weise schien es Keinem von uns geschadet zu haben; kaum eine halbe Minute später saß ich wieder im Sattel, und hatt' ich bis dahin mein Thier wirklich geschont, so half jetzt wenigstens kein längeres Sträuben. Der Correo, der meinen Unfall nicht einmal bemerkte, oder wenn er ihn bemerkte, sich den Kuckuck darum kümmerte, war indeß in der mehr und mehr einbrechenden Dämmerung weit, weit vorausgeeilt, der mußte wieder eingeholt werden, und das von Schweiß triefende Thier that, von Peitsche und Sporn getrieben, sein Möglichstes.
Der Anblick der Steppe hatte indessen eine höchst eigenthümliche, fast wunderbare Veränderung erlitten. Die feuchten, dem niedern Boden entsteigenden Schwaden hoben sich und verwandelten, vielleicht auch mit ihrer Abspiegelung in der dunstgetränkten Atmosphäre, die Ebene in ein milchweißes, von dem Wiederglanz der Wolken roth überhauchtes Meer, in dem ich selber, jetzt nicht einmal mehr eine Bahn erkennend, dahinsprengte. Ich überließ es meinem Thier, seinen Kameraden zu folgen, und nur manchmal klangen die Hufschläge derselben aus weiter Ferne herüber. In der That hatt' ich auch fast vergessen, daß ich mich hier auf keineswegs gemüthlichem Terrain, sondern auf einer Pampas befand, wo ich, wenn verirrt, meine Bahn allein auf viele hundert Meilen durch die von Feinden bedrohte Steppe suchen konnte. Der Correo hatte einmal mein Geld und kümmerte sich wenig darum, ob ich zurückblieb oder folgte. Trotzdem trübte mir ein solcher Gedanke auch nicht für einen Augenblick den jetzigen Genuß. Die Scenerie, die mich umgab, war mir zu neu, zu fesselnd, um ihr nicht auch all’meine Gedanken, meine ganze Aufmerksamkeit zuzuweden.
Wunderbar sahen die Heerden aus, die ich, in diesem Nebel-/74/meer dahinsprengend, passirte. Nur der obere Theil ihrer Körper schaute aus den weißen Schwaden, die jetzt auch schon begannen, in weiteren Schichten anzusetzen und förmliche Hallen und Grotten zu bilden, hervor, und es sah manchmal aus, als ob sie wie in stillem Wasser geräuschlos dahinschwämmen, dann wieder, wie in tiefem Schnee watend, von Lawinen und wankenden Gletschern bedroht würden. Nicht zurückscheuchen konnte ich dabei das Gefühl, als ob ich fortwährend einen ziemlich steilen Hügel niedersprengte und nun gleich die Nebelmassen über mir zusammenschlagen müßten, und doch flog ich auf der ebenen, fast horizontalen Steppe mit schlagenden Hufen entlang. Mit einbrechender Dunkelheit stieg übrigens auch der Nebel höher, und wurde endlich so dick, daß ich kaum noch wenige Pferdelängen vor mir den Boden erkennen konnte. Aber nicht weit mehr entfernt hörte ich jetzt deutlich die drei übrigen Pferde in ihrem kurzen regelmäßigen Galopp, und ehe wir die kleine Hütte erreichten, in der wir übernachten wollten, hatte ich sie eingeholt.
Am nächsten Morgen brachen wir sehr früh auf, denn der Nebel hatte sich in der Nacht vollkommen verzogen. Diesmal einem ziemlich berittenen Pfad folgend, auf dem sich auch deutlich ältere Wagenspuren erkennen ließen, sprengten wir durch die fruchtbaren, mit dem saftigsten Gras und Klee bedeckten Ebenen, in dem Mengen von Rindern, Pferden und Schafen weideten, oder hier und da auch gesättigt in dem sie halbverdeckenden Futter lagen und ruhig wiederkäuend die vorbeigaloppirenden Reiter betrachteten.
Die Morgenstunde ist für die ganze Thierwelt der Steppe die Zeit der Ruhe, selbst die Raubvögel sitzen auf kleinen, niederen Büschen oder Erdhügeln in ernstem Schweigen, und kehren sich nicht an das muntere Vogelzeug, das sie umflattert. Langbeinige Störche gehen zu Paaren oder in Gruppen langsam auf den höher gelegenen, trockenen Stellen spazieren, erzählen sich vielleicht die Abenteuer der vergangenen Nacht und lachen über bestandene Fahrten, daß ihnen die Schnäbel klappern. - Mengen von Erdhöhlen, die überall den Boden durchlöchern, stehen leer; was auch in ihnen wohnt und athmet, kommt um diese Jahreszeit nicht zum Vorschein. Die Heerden, /75/ wie schon gesagt, liegen meist und käuen wieder, und selbst Pferde, die sonst wild durch die Steppe jagen, stehen schläfrig am Rand der kleinen Teiche, oder lagern ebenfalls auf dem stets für sie gedeckten Tisch der Pampas.
Wie anders wird das Alles, wenn sich die Sonne ihrem Untergang nähert und, etwa noch eine Stunde hoch am Himmel stehend, die Wolken, die einzeln über das durchsichtige Blau des Himmels treiben, mit ihren brechenden Strahlen vergoldet. - Die Heerden sind dann alle in Bewegung; weidend, das junge Vieh spielend, ziehen sie durch die grünen, saftigen Matten - nicht der Nahrung nachgehend, denn dicht unter ihnen wuchert diese, wo sie auch stehen - nein, das Süßeste und Wohlschmeckendste heraussuchend aus dieser überreichen Speisekammer