Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.das weiche, melodische Blöken der Kühe, und der schrille Ruf des Falken, der hoch über der freien Steppe kreist, scheint mit zu dem regen, geschäftigen Leben und Treiben zu gehören.
Hei, wie die Rosse da noch einmal so munter mit den Reitern über den Rasen streichen! Weit hinten aus fliegt Grund und Gras von den flüchtigen, tief eingreifenden Hufen, und sie antworten den bekannten Lauten der Kameraden, die heut dem Lasso entgingen, um morgen vielleicht dafür desto schärfer den gewichtigen Sporn ihres Herrn zu fühlen - vorbei.
Siehst Du, wie sich dort die Höhlen beleben, die noch vor kaum einer halben Stunde so finster und dunkel dalagen? Sieh, wie altklug das wunderliche Mittelding zwischen Hamster und Dachs vor seiner Thür sitzt und zu Dir herüberschaut, was Du zu eilen hast an dem freundlichen Abend! - Da drüben sitzt noch einer - da noch einer - dort ein dritter, vierter, fünfter! - Rechts von Dir, gerade unter dem wehenden Büschlein, das vielleicht schon Vater und Großvater Schutz und Schatten gewährt und das Mondlicht hindurchgelassen hat auf heranwachsende Geschlechter, kauert eine ganze kleine Familie, und freut sich über das Jüngste, das zum ersten Mal heut aus der Höhle kommt und ganz erstaunt und überrascht die nie geahnte Herrlichkeit der Welt anstaunt. /76/
Dort die kleine Eule war zum Besuch über Tag bei den Nachbarn und fliegt jetzt, mit leisem, geräuschlosem Flügelschlag, zu dem Weibchen zurück, das ungeduldig schon vor der engen, steilen Höhle auf- und niedergeht und seinen Aerger so lange mit einem Spaziergang beschwichtigt hat. - Liederliches Eulenmännchen das, den ganzen Tag über, wo eine ordentliche, anständige Eule in's Nest gehört, wahrscheinlich in schlechter Gesellschaft zu sitzen oder gar, was noch schlimmer wäre, draußen im Freien herumzustreifen und seine Gesundheit den schädlichen trockenen Sonnenstrahlen auszusetzen. Wenn es jetzt Nachts seinen ordentlichen Geschäften nachgehen soll, ist es faul und schläfrig, und läßt Steppenmaus und Käfer unbeachtet an sich vorbeilaufen und surren. - Oh, was die Eulenweibchen selbst in der Steppe ihre liebe Noth haben!
Vorbei - dort drüben weidet eine große Heerde der kleinen Pampasschafe; aber weit zurückgeblieben ist eine Mutter mit ihrem, erst vor wenigen Stunden geworfenen Lamm. Aengstlich zurückblickend und das arme kleine, schwache Ding, das sich kaum schon auf den Füßen erhalten kann, durch leises Blöken ermunternd, sucht sie nun die Heerde wieder zu gewinnen. Wenn die Nacht anbricht, fänden ja herumstreifende Raubthiere die Hülflosen ohne Schutz und Schirm.
Sieh - der große Geier, der dort hoch oben in der Luft stand und den Platz schon eine Weile in weiten Kreisen umzog, hat sie entdeckt und stößt rasch herab, sicher geglaubte Beute zu finden - aber die sonst so scheue, ängstliche Mutter läßt das Kind nicht dem gierigen Sohn der Lüfte. - Den Kopf gebeugt, tritt sie gegen ihn an, und der Raubvogel, so stark und scharf auch Klauen und Schnabel sind, hält sich zurück vor dem Mutterzorn, sitzt nieder auf dem ihm nur wenig zusagenden Boden, und folgt unbehülflich und schwerfällig in sechs bis acht Schritt Entfernung etwa dem kleinen Lamm, das die Mutter nur vergebens zu größerer Eile antreibt. Der gierige Falke hofft auf den Tod des armen schwachen, kleinen Wesens, oder - auf die Nacht, und bleibt bei der schon sicher gehaltenen Beute, und die arme Mutter weiß, was dem Kinde droht, wenn es nicht die letzten Kräfte /77/ zusammenrafft, die nahe und doch noch so entsetzlich ferne Heerde zu erreichen.
Vorbei - hui - dort gleitet ein Schuppenthier blitzschnell über den Pfad in das hohe Gras hinein, und der alte Gaucho richtet sich hoch auf im Sattel, ob das zur Seite geschobene Gras nicht noch einmal die Richtung anzeigt, in der das Thier verschwunden. - Die Schuppenthiere schmecken den wilden Burschen gar delicat, und vielleicht um so besser, da sie ein seltener Braten sind.
Und was liegt dort an dem feuchten Fleck in der Steppe, wo sich in einer kleinen Senkung des Bodens Wasser vom letzten Regen gehalten? - ein sterbendes Rind, das grüne glasige Auge stier und erblindend auf den Klee geheftet, der es jetzt in weichen dichten Mengen umgiebt und der in wenigen Tagen, von seinem verwesenden Körper verpestet, von Raubthieren zertreten sein soll. - Die übrigen Thiere stehen dicht dabei, aber sie achten nicht des scheidenden Kameraden - da - hier - dort, da drüben überall liegen die noch hier und da mit der vertrockneten Haut, oft auch vollkommen nackten Gerippe früher Vorangegangener. - Das Vieh meidet sie, so lange sie die Luft um sich her mit ihrem entsetzlichen Duft erfüllen, und grast dicht neben ihnen, wenn Sturm und Regen die letzten widerlichen Spuren verwaschen haben.
Vorbei - da, siehst Du dort unsern alten Freund, den Storch, wie thätig er geworden und wie aufmerksam und still er in das stille Wasser schaut, das, zwischen dem Rasen hervorquellend, einen kleinen klaren Teich gebildet? - Er kümmert sich jetzt nicht mehr um den Nachbar, dem er vorher so viel zu erzählen hatte; er schaut nicht mehr bald hinauf nach dem kreischenden Flug von Papageien, die mit scharfem Flügelschlag über die Steppe strebten, den gewöhnlichen Schlafplatz für die Nacht zu erreichen, noch nach der Schaar rother Flamingos, die mit den langen, wunderlich gebogenen Hälsen einen Nachbarteich in Beschlag genommen. - Nur einen einzigen ärgerlichen Blick wirft er hinüber auf eine lange Kette schnatternder, quäkender Wildenten, die sich eben in dichtgedrängter, unruhig wogender Schaar fast zu nahe bei ihm /78/
niedergelassen und das Wasser erregt haben, und blickt dann ernsthaft und aufmerksam wieder auf die dunkeln Stellen im schlammigen, halbüberwachsenen Grund, geduldig erwartend, was ihm daraus wohl aufgetischt werden würde.
Vorbei - die Sonne sank lange hinter den Kordilleren, und ihren Mantel wirft die Nacht im raschen Flug über die kaum dämmernde Erde.
Am 21. kamen wir in die Provinz Santa-Fé, und was in Buenos-Ayres vielleicht kaum mehr als ein Gerücht gewesen, „daß die Pampas-Indianer nämlich wieder ausgebrochen seien und die Ansiedlungen der Argentiner bedrohten" - fand hier volle Bestätigung. Die Leute sprachen von nichts als Indianern - ein Gefecht sollte schon zwischen ihnen und einem Trupp Soldaten stattgefunden, und sie selber auch mehrere junge Leute im „Campo" überfallen und getödtet haben. Dabei war das Unangenehme, daß sie sehr selten in kleinen Trupps, sondern meistens in größeren, von fünfzig bis hundert und mehreren, gingen. Was hätten wir Drei, die anderen Beiden nur mit ihren Messern bewaffnet, gegen eine solche Uebermacht ausrichten wollen! Die einzige Aussicht in diesem Falle blieb, wie uns der Alte versicherte, schleunige Flucht gen Norden. Fliehende Heerden und aufgescheuchtes Wild sollten in dem Fall, daß die Indianer in Masse herankamen, das erste und ziemlich gewisse Zeichen ihrer gefürchteten Ankunft sein, und dann kam es in der That darauf an, wer die besten und schnellsten Pferde unter sich hatte - die Indianer oder wir.
Der Arroyo de Pavon, ein kleines seichtes Flüßchen, bildet hier, die Grenze zwischen den Provinzen Buenos-Ayres und Santa-Fé, und in mehr als einer Hinsicht sollten wir den Unterschied zwischen beiden Ländertheilen kennen lernen. Zuerst, was mich aber nichts weiter anging, da der Correo sämmtliche Kassengeschäfte zu besorgen hatte, galten von hier an nicht mehr die Buenos-Ayres-Papierthaler, die sogenannten pesos, das Stück etwas über zwei Groschen an Werth, die in der /79/ ersten Provinz wechselnden Cours haben und damals lieber als selbst Silber genommen wurden. Von hier ab mußte der Correo Alles mit Silber selber bezahlen. Dann aber erreichten wir hier erst das wirklich wilde Land der Steppen - den Schauplatz der häufigsten indianischen Einbrüche, und fast war es auch, als ob dieser kleine Bach, der die Provinzen schied, selbst eine Scheidewand in der Vegetation bilde. Der ganze Anblick der Pampas bekam, wie durch den kleinen Fluß abgeschnitten, etwas Winterlicheres, als er bisher gehabt. Bis dahin war das Land eine weite, durch nichts unterbrochene, fast maigrüne Ebene gewesen; saftiger Klee und frisches Gras, in dem das wohlgenährte Vieh in ungeheuren Mengen weidete oder ruhig gesättigt ausruhte. Hier aber wurde das Vieh schon seltener, die Heerden weniger und schwächer, und nur eine Art breiter dorniger Kletten überzog die grüne Unterdecke mit einem grauen, aber noch immer oft durchbrochenen Schleier. Noch auffallender sollte dieser Wechsel am nächsten Tage werden, wo auch das Land selber mehr wellenförmig wurde und in langen grauen Hängen den Blick des Reisenden ermüdete.
Diesen Abend ritten wir bis spät in die Nacht hinein, um soviel als möglich von dem am meisten durch Indianer bedrohten Terrain zurückzulegen. Noch mit Dunkelwerden wechselten wir die Pferde - etwas, das ganz gegen die Natur meines alten Correo schien, der es sich Abends gewöhnlich, sobald es nur irgend gehen wollte, bequem machte. Wenn ihn aber etwas aus seiner Ruhe bringen konnte, so war es das Zauberwort los Indios, und wo er das erwähnen hörte, ging er auch gewiß nicht eher fort,