Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich

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Reisen Band 1 - Gerstäcker Friedrich


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dem Thier, das sie haben wollen, den Lasso um den Hals. Die Pferde aber, wie alle Thiere der Steppe, kennen den Lasso, und den Ruck fürchtend, der sie gewöhnlich niederreißt, stehen sie nicht selten, sobald sie die Schlinge fühlen, stockstill, obgleich sie ihr vorher meist in voller Flucht zu entgehen suchen.

      An diesem Morgen waren ihrer vier mit Lassos hinausgegangen, die schon dicht zum Haus gejagten Pferde zu umzingeln. Die Thiere zeigten sich aber heute ganz außergewöhnlich scheu, und schienen den Wurf, da sie vielleicht erst kürzlich durch Bolas beschädigt worden, ungemein zu fürchten. Die drei ersten, mit Lassos gefangenen, rissen so furchtbar in die Schlinge, daß die Gauchos, die zu Fuß hinausgegangen waren, sie nicht halten konnten und loslassen mußten, und mit dem anhängenden Lasso stürmten sie, von der ganzen Heerde gefolgt, wieder hinaus in die Steppe. Zwei berittene junge Bursche trieben sie aber wieder zurück, fingen eins dabei, das sie zugleich zum Hause brachten - und die Hetze begann dann von Neuem. Dreimal brannten sie also durch, dreimal wurden sie wieder zurückgejagt und sechs Lassos schleiften schon in der Heerde, bis wir endlich unsere nöthigen vier Thiere, aber so abgehetzt und wild gemacht, zusammen hatten, daß sich weder mit Sporen noch Peitsche etwas mit ihnen ausrichten ließ. Wie die wilde Jagd stob es, endlich einmal im Sattel, mit uns davon - sie gingen richtig mit uns durch, und es war ein Glück, daß wir an diesem Morgen zuerst nur eine kleine Station hatten.

      Herrlich ist übrigens der Anblick der wilden Heerden, die, von ihren fast noch wilderen Herren verfolgt, mit fliegenden Mähnen und schnaubenden Nüstern durch die Steppen donnern. Dahinterher dann die tollen sonnverbrannten Gauchos mit ihren flatternden Ponchos und Kopftüchern, den Lasso /85/ fortwährend im wirbelnden Schwung, die eigenen Thiere un-unterbrochen zum Aeußersten anspornend; - dazu die erschreckten auseinander stiebenden Heerden der Rinder, durch und über die hin manchmal die tolle Hetze geht; die aufgescheuchten kreisenden oder scheu abstreichenden Falken; die grüne Steppe und der blaue Himmel; die in jedem Moment wechselnden malerischen Gruppen, - das Alles macht einen Eindruck auf den Beschauer, den es wohl ungemein schwer werden möchte, bei ruhigem Blut in todter Schriftsprache wiederzugeben. So etwas muß erlebt, gefühlt sein - die Nerven müssen dabei selbst erregt gewesen sein; das eigene, von Uebermuth sprudelnde Thier muß unter Einem getanzt und in die Zügel geschäumt haben und dann, weit ausgreifend, mitten in dies Leben hineingeflogen sein. Dann aber bleibt es auch mit unvertilgbaren Zügen in das Herz gegraben, das diesem wilden Treiben einst mit so frohem Klopfen entgegenschlug, und keine Zeit, kein anderes Leben kann es je daraus wieder verwischen.

      Am 23. machten wir in einer kleinen Stadt, Cruz alta, Station. - Stadt; ja was wir uns in Deutschland darunter denken, darf man hier freilich nicht erwarten. Es sind Lehmhütten, die dem Anschein nach schon eigentlich bei dem ersten ordentlichen Regen zusammenschmelzen müßten - und die Bewohner? - lieber Leser, ich weiß wahrlich nicht wie ich Dir, ohne die Leute selber zu kränken, ohne aber auch ihnen zu schmeicheln, einen recht treuen Begriff von ihnen geben könnte. Die jungen Leute sind meist lauter kräftige, selbst interessante Gestalten, die sich in der malerischen Landestracht (wenn sie nur nicht gar so oft die verwünschten europäischen schwarzen Seidenhüte zu ihren Ponchos und Cheripas tragen wollten) nur noch pittoresker und eigenthümlicher ausnehmen. Leider aber kann ich dem schönen Geschlecht nichts so Rühmliches nachsagen. Es sollte mir leid sein, den Frauen der Pampas Unrecht zu thun; was ich aber bis dahin von ihnen gesehen, diente wahrlich, mit nur sehr wenig Ausnahmen, nicht dazu, mir einen günstigen Begriff von ihnen beizubringen. Unreinlichkeit und ein unseren deutschen Begriffen wenigstens nach widriges Benehmen waren die vorherrschenden /86/ Eigenthümlichkeiten, und ich fand das, je mehr ich von ihnen sah, auch immer nur mehr und mehr bestätigt. Das so fatale und den Nordamerikanerinnen besonders eigene laute Aufstoßen ist hier etwas so Gewöhnliches, daß es keinem Menschen mehr auffällt. Selbst bei Tisch geniren sich die guten seňoras und seňoritas nicht im Mindesten, und dergleichen Unanständigkeiten kamen manchmal so laut und unschuldig zum Vorschein, daß ich oft an mich halten mußte, trotz allem Ekel nicht laut aufzulachen. Das allerdings darf ich nicht unerwähnt lassen, daß ich erst über einen Gegenstand später aufgeklärt wurde, nämlich gar keine hübschen jugendlichen Gesichter unter den Frauen zu finden. Das aber hatte eben seinen Grund in den indianischen Feindseligkeiten, vor denen alle jungen Mädchen nach den befestigten oder wenigstens durch Militär besetzten Plätzen geschafft waren. Etwas reinlicher hätte es also gewiß, wären sie gegenwärtig gewesen, in den Häusern ausgesehen, jedenfalls freundlicher. Die Männer blieben aber immer dieselben, und wahrscheinlich auch die alten Frauen, und ein warmes Bad mit ein paar Stücken Bimssteinseife würde keinem von ihnen geschadet haben.

      In solchen kleinen Städtchen genießt man übrigens auch den Luxus eines Stuhls oder einer Bank, denn in den gewöhnlichen Hütten der Gauchos bedient man sich fast nur der Erde zum Sitzen oder, wenn es hoch kommt, zu diesem Zweck hereingeschaffter Pferdeschädel, die dann aber auch das vollständige Ameublement einer solchen Wohnung bilden.

      Keineswegs appetitlich ist dabei die Kocherei selber. Die Pampas sind so holzarm, daß sogar die paar Stücken Holz, die der Gaucho zu den Eckpfählen seiner Einzäunung braucht, und von denen er dann, von einem zum andern, dünn geschnittene Streifen ungegerbter Haut herüberspannt, viele, viele Tagereisen weit mit Pferden herbeigeschafft werden müssen. An Holz zu Feuerung ist deshalb, die Stengel einiger holzartiger Gräser ausgenommen, gar nicht zu denken. Das vorzüglichste und Hauptbrennmaterial ist deshalb auch Kuhdung, um das dann noch, es etwas besser zusammenzuhalten, einzelne Knochen gelegt werden. Diese brennen allerdings nicht sel/87/ber, aber sie concentriren die Hitze und - stinken. - Auf dies qualmende, schauerlich duftende Material wird dann sehr häufig ein anderer Knochen, an dem noch etwas Fleisch sitzt, geleqt und gebraten, und meint es der Gaucho, lieber Leser, recht gut mit Dir, so nimmt er den Knochen für Dich aus dem Feuer, klopft ihn an seinem Bein ab, reißt ein paar Stücken mit den eigenen Zähnen herunter, um zu sehen ob er geröstet ist, und reicht ihn Dir dann. Du aber sagst: muchos gracias, seňor, mit einem etwas sauersüßen Lächeln und nagst, weil Du einen wahrhaft schmählichen Hunger hast, weiter.

      Das Gespräch drehte sich hier, wie überall, um die Indianer und ihre befürchteten Angriffe, und mein etwas geschwätziger alter Begleiter erzählte den aufmerksam und ängstlich lauschenden Städtern all' die fürchterlichen Berichte, die er „im Lande drin" über die wilden, blutdürstigen Stämme der Pampas gehört hatte, und auch alle, wie ich das fest überzeugt bin, auf Wort und Gewissen glaubte. Ich fand jedoch nur zu bald, daß die gehörten Berichte keineswegs so ganz übertrieben sein mochten, denn auf den nächsten Plätzen, die wir erreichten, waren die Frauen mit ihren Kindern schon nach den nächsten kleinen Städten, die Ankunft der feindlichen Stämme fürchtend, geflohen. Die zurückgebliebenen Männer hielten theils bei ihren Heerden Wache, theils hatten sie für sich die Pferde dicht am Haus und gesattelt stehen, um ohne Säumniß, sobald sie die Ankunft der blutdürstigen Indianer entdeckten, einem sonst, wie sie sagten, gewissen Tode entfliehen zu können. Wieder lagen wir hier wohl bis elf Uhr Morgens, ehe mein alter Correo, des starken Nebels wegen, zum Aufbruch rief.

      Als wir endlich, und die Sonne stand schon bald im Zenith, durch die Steppe sprengten und etwa acht oder zehn englische Meilen zurückgelegt haben mochten, sah ich plötzlich, zu meinem nicht geringen Erstaunen, einen Gegenstand in der Ferne, der sich augenscheinlich gerade auf uns zu bewegte, von dem wir aber zuerst gar nicht ausmachen konnten, was er eigentlich bedeute. Im Anfang griffen wir unseren Thieren in die Zügel - es konnte ein dichtgedrängter kleiner Trupp Indianer sein, das aber, fanden wir bald, war nicht /88/ der Fall, und je näher das wunderliche Ding jetzt kam, desto mehr schien es mir, als ob ich etwas Aehnliches schon einmal in meinem Leben gesehen haben müßte. Die dunkle, fast verwischte Vorstellung einer gelben Landkutsche, die vor Erfindung der Eisenbahn unglückliche Passagiere von einem Landstädtchen zum andern räderte, tauchte in mir auf, obgleich der Gedanke fast zu absurd war, die gelbe Landkutsche hier mitten in den Pampas zu suchen. Als es aber näher und näher herankam, gewann der kolossale Gegenstand auch mehr und mehr Form und Gewißheit, und endlich - nein, wahrlich es war zu komisch, und ich mußte laut auflachen - rollte die gelbe Landkutsche (aber keineswegs mit gewöhnlicher gelben Landkutschenschnelle, sondern von sechs galoppirenden Pferden gezogen) rasch durch den Sand heran - und abenteuerlich genug sah der Zug aus.

      Die Pferde, sämmtlich an die Sattelgurte gespannt, hatten weiter kein Geschirr als den Zaune und Sattel, und auf jedem saß eine in den flatternden


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