Die Leute von Seldwyla. Gottfried Keller

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Die Leute von Seldwyla - Gottfried Keller


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länger meistern ließ. Sie näherte sich deshalb noch am selben Tage ihrem Sohne, als er mit seinem Vesperbrote sich unter eine schattige Rebenlaube gesetzt hatte hinter dem Hause, von wo man zum Teil hinaus in die Ferne sah nach blauen Höhenstrichen, wo andere Leute wohnten. Sie legte ihren Arm um seine Schultern, sah ihm freundlich in die Augen und sagte: Lieber Fritz! Sei mir jetzt nur noch zwei oder drei Jährchen brav und gehorsam, und ich will dir das schönste und beste Frauchen verschaffen aus meinem Ort, daß du dir was darauf einbilden kannst!"

      Fritz schlug errötend die Augen nieder, wurde ganz verlegen und erwiderte mürrisch: Wer sagt denn, daß ich eine Frau haben wolle?" Du sollst aber eine haben!" versetzte sie, und wie ich sage, eine von guter und schöner Art; aber nur, wenn du sie verdienst; denn ich werde mich hüten, eine rechtschaffene Tochter hierher ins Elend zu bringen!" Damit küßte sie ihren Sohn, wie sie seit undenklicher Zeit nicht getan, und ging ins Haus zurück.

      Es ward ihm aber auf einmal ganz seltsam zumute und von Stund an waren seine Gedanken auf eine solche gute und schöne Frau gerichtet, und diese Gedanken schmeichelten ihm so sehr und beschäftigten ihn so anhaltend, daß er darüber keine Frauensperson in Seldwyla mehr ansah. Die Zärtlichkeit, mit welcher die Mutter ihm solche Ideen beigebracht, gab seinen Wünschen eine innigere und edlere Richtung, und er fühlte sich wohlgeborgen, da man es so gut mit ihm meine. Er wartete aber die zwei Jahre und die Anstalten seiner Mutter nicht ab, sondern fing schon in der nächsten Zeit an, an schönen Sonntagen ins Land hinaus zu gehen und insbesondere in der Heimat der Mutter herumzukreuzen. Er war bis jetzt kaum einmal dort gewesen und wurde von den Verwandten und Freunden seiner Mutter um so freundlicher aufgenommen, als sie großes Wohlgefallen an dem hübschen Jüngling fanden und er zudem eine Art Merkwürdigkeit war als ein wohlgeratener, fester und nicht prahlerischer Seldwyler. Er machte sich ordentlich heimisch in jenen Gegenden, was seine Mutter wohl merkte und geschehen ließ, aber sie ahnte nicht, daß er, ehe sie es vermutete, schon in bester Form einen Schatz hatte, der ihm allen von der Mutter ihm gemachten Vorspiegelungen vollkommen zu entsprechen schien. Als sie davon erfuhr, machte sie sich dahinter her, voll Besorgnis, wer es sein möchte, und fand zu ihrer frohen Verwunderung, daß er nun gänzlich auf einem guten Wege sei; denn sie mußte den Geschmack und das Urteil des Sohnes nur loben und ebenso dessen ungetrübte Treue und Fröhlichkeit, mit welcher er dem erwählten Mädchen anhing, so daß sie sich aller weitern Zucht und aller Listen endlich enthoben sah.

      Diese Klippe war unterdessen kaum glücklich umschifft, als sich eine andere zeigte, welche noch gefährlicher zu werden drohte, und der Frau Regula abermals Gelegenheit gab, ihre Klugheit zu erproben. Denn die Zeit war nun da, wo Fritz, der Sohn, anfing zu politisieren und damit mehr als durch alles andere in die Gemeinschaft seiner Mitbürger gezogen wurde. Er war ein liberaler Gesell, wegen seiner Jugend, seines Verstandes, seines ruhigen Gewissens in Hinsicht seiner persönlichen Pflichterfüllung und aus anererbtem Mutterwitz. Obgleich man nach gewöhnlicher oberflächlicher Anschauungsweise etwa hätte meinen können, Frau Amrain wäre aristokratischer Gesinnung gewesen, weil sie die meisten Leute verachten mußte, unter denen sie lebte, so war dem doch nicht also; denn höher und feiner als die Verachtung ist die Achtung vor der Welt im ganzen. Wer freisinnig ist, traut sich und der Welt etwas Gutes zu und weiß mannhaft von nichts anderem, als daß man hierfür einzustehen vermöge, während der Unfreisinn oder der Konservatismus auf Zaghaftigkeit und Beschränktheit gegründet ist. Diese lassen sich aber schwer mit wahrer Männlichkeit vereinigen. Vor tausend Jahren begann die Zeit, da nur derjenige für einen vollkommenen Helden und Rittersmann galt, der zugleich ein frommer Christ war; denn im Christentum lag damals die Menschlichkeit und Aufklärung. Heute kann man sagen: sei einer so tapfer und resolut, als er wolle, wenn er nicht vermag freisinnig zu sein, so ist er kein ganzer Mann. Und die Frau Regula hatte, nachdem sie sich einmal an ihrem Eheherrn so getäuscht, zu strenge Regeln in ihrem Geschmack betreffs der Mannestugend angenommen, als daß sie eine feste und sichere Freisinnigkeit daran vermissen wollte. Übrigens, als ihr Mann um sie geworben, hatte er in allem Flor eines jugendlichen Radikalismus geglänzt, welchen er freilich mehr in der Weise handhabte, wie ein Lehrling die erste silberne Sackuhr.

      Abgesehen von diesen Geschmacksgründen aber war sie aus einem Orte gebürtig, wo seit unvordenklichen Zeiten jedermann freisinnig gewesen und der im Laufe der Zeit bei jeder Gelegenheit sich als ein entschlossenes, tatkräftiges und sich gleichbleibendes Bürgernest hervorgetan, so daß, wenn es hieß: die von So und So haben dies gesagt oder jenes getan! sie gleich einen ganzen Landstrich mitnahmen und einen kräftigen Anstoß gaben. Wenn also Frau Amrain in den Fall kam, ihre Meinung über einen Streit festzustellen, so hörte sie nicht auf das, was die Seldwyler, sondern auf das, was die Leute ihrer Jugendheimat sagten, und richtete ihre Gedanken dorthin.

      Alles das waren Gründe genug für Fritz, ein guter Liberaler zu sein, ohne absonderliche Studien gemacht zu haben. Was nun die nächste Gefahr anbelangt, welche da, wo das Wort und die rechtlichen Handlungen frei sind und die Leute sich das Wetter selbst machen, für einen politisch Aufgeregten entsteht, nämlich die Gefahr, ein Müßiggänger und Schenkeläufer zu werden, so war dieselbe zu Seldwyla allerdings noch größer, als an anderen Schweizerorten, welche mit der ganzen Alten Welt noch an der gemütlichen ostländischen Weise festhalten, das Wichtigste in breiter halbträumender Ruhe an den Quellen des Getränkes oder bei irgendeinem Genusse zu verhandeln und immer wieder zu verhandeln. Und doch sollte das nicht so sein; denn ein gutes Glas in fröhlicher Ruhe zu trinken, ist ein Zweck, ein Lohn oder eine Frucht, und, wenn man das in einem tiefern Sinne nimmt, das Ausüben politischer Rechte bloß ein Mittel, dazu zu gelangen. Indessen war für Fritz diese Gefahr nicht beträchtlich, weil er schon zu sehr an Ordnung und Arbeit gewöhnt war und es ihn gerade zu Seldwyla nicht reizte, den anderen nachzufahren. Größer war schon die Gefahr für ihn, ein Schwätzer und Prahler zu werden, der immer das gleiche sagt und sich selbst gern reden hört; denn in solcher Jugend verführt nichts so leicht dazu, als das lebendige Empfinden von Grundsätzen und Meinungen, welche man zur Schau stellen darf ohne Rückhalt, da sie gemeinnützig sind und das Wohl aller betreffen.

      Als er aber wirklich begann, Tag und Nacht von Politik zu sprechen, ein und dieselbe Sache ewig herumzerrte und jene kindische Manier annahm, durch blindes Behaupten sich selbst zu betäuben und zu tun, als ob es wirklich so gehen müsse, wie man wünscht und behauptet, da sagte seine Mutter ein einzigesmal, als er eben im schönsten Eifer war, ganz unerwartet: Was ist denn das für ein ewiges Schwatzen und Kannegießern? Ich mag das nicht hören! Wenn du es nicht lassen kannst, so geh auf die Gasse oder ins Wirtshaus, hier in der Stube will ich den Lärm nicht haben!"

      Dies war ein Wort zur rechten Zeit gesprochen; Fritz blieb in seiner also durchschnittenen Rede ganz verblüfft stecken und wußte gar nichts zu sagen. Er ging hinaus, und indem er über dies wunderliche Ereignis nachgrübelte, fing er an sich zu schämen, so daß er erst eine gute halbe Stunde nachher rot wurde bis hinter die Ohren, von Stund an geheilt war und seine Politik mit weniger Worten und mehr Gedanken abzumachen sich gewöhnte. So gut traf ihn der einmalige Vorwurf aus Frauenmund, ein Schwätzer und Kannegießer zu sein.

      Um so größer erwies sich nun die dritte, entgegengesetzte Gefahr, an übel gewendeter Tatkraft zu verderben. So wetterwendisch nämlich sonst die Seldwyler in ihren politischen Stimmungen waren, so beharrlich blieben sie in der Teilnahme an allem Freischaren- und Zuzügerwesen, und wenn irgendwo in der Nachbarschaft es galt, gewaltsam ein widerstehendes Regiment zu sprengen, eine schwache Mehrheit einzuschüchtern oder einer trotzigen ungefügigen Minderheit bewaffnet beizuspringen, so zog jedesmal, mochte nun die herrschende Stimmung sein, welche sie wollte, von Seldwyla ein Trupp bewaffneter Leute aus, nach dem aufgeregten Punkte hin, bald bei Nacht und Nebel auf Seitenwegen, bald am hellen Tage auf offener Landstraße, je nachdem ihnen die Luft sicher schien. Denn nichts dünkte sie so ergötzlich, als bei schönem Wetter einige Tage im Lande herumzustreichen, so sechzig oder siebenzig, wohlbewaffnet mit feinen Zielgewehren, versehen mit gewichtigen drohenden Bleikugeln und silbernen Talern, mittelst letzterer sich in den besetzten Wirtshäusern gütlich zu tun und mit tüchtigem Hallo, das Glas in der Hand, auf andere Zuzüge zu stoßen, denen es ebenfalls mehr oder minder Ernst war. Da nun das Gesetzliche und das Leidenschaftliche, das Vertragsmäßige und das ursprünglich Naturwüchsige, der Bestand und das Revolutionäre zusammen erst das Leben ausmachen und es vorwärts bringen, so war hiergegen nichts zu sagen, als: seht euch vor, was ihr ausrichtet! Nun aber erfuhren


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