Die Leute von Seldwyla. Gottfried Keller
Читать онлайн книгу.zum erstenmal die Unternehmung, statt auf den Scheinverkehr, auf wirkliche Produktion. Hieran wollte man sie nun erst recht behindern; allein, es war nicht gegen sie aufzukommen, da sie als Frau und sparsame Mutter keine Ausgaben hatte, im Vergleich zu den Herren von Seldwyla, und daher auf die einfachste Weise imstande war, alle Stürme abzuschlagen und alle begründeten Forderungen zu bezahlen. Aber dennoch hielt es schwer, und sie mußte Tag und Nacht mit Mut, List und Kraft bei der Hand sein, sinnen und sorgen, um sich zu behaupten.
Frau Regel hatte von auswärts in das Städtchen geheiratet und war eine sehr frische, große und handfeste Dame mit kräftigen schwarzen Haarflechten und einem festen, dunklen Blick. Von ihrem Manne hatte sie drei Buben von ungefähr zehn, acht und fünf Jahren, welche sie oftmals aufmerksam und ernsthaft betrachtete, darüber sinnend, ob dieselben auch wert seien, daß sie das Haus für sie aufrechthalte, da sie ja doch Seldwyler wären und bleiben würden. Doch weil die Burschen einmal ihre Kinder waren, so ließ die Eigenliebe und die Mutterliebe sie immer wieder einen guten Mut fassen, und sie traute sich zu, auch in dieser Sache das Steuer am Ende anders zu lenken, als es zu Seldwyl Mode war.
In solche Gedanken versunken, saß sie einst nach dem Nachtessen am Tische und hatte das Geschäftsbuch und eine Menge Rechnungen vor sich liegen. Die Buben lagen im Bette und schliefen in der Kammer, deren Türe offen stand, und sie hatte eben die drei schlafenden kleinen Gesellen mit der Lampe in der Hand betrachtet und besonders den kleinsten Kerl ins Auge gefaßt, der ihr am wenigsten glich. Er war blond, hatte ein keckes Stumpfnäschen, während sie eine ernsthafte gerade, lange Nase besaß, und statt ihres strenggeschnittenen Mundes zeigte der kleine Fritz trotzig aufgeworfene Lippen, selbst wenn er schlief. Dies hatte er alles vom Vater, und es war das gewesen, was ihr eben so wohlgefallen hatte, als sie ihn heiratete, und was ihr jetzt auch an dem kleinen Burschen so wohlgefiel und doch schwere Sorgen machte. Wenn eine Gesichtsart einem einmal wohlgefällt, so hilft hiergegen kein Kraut; deswegen war Frau Amrain froh, daß der Alte weg war und sie ihn nicht mehr sah; aber er hatte ihr in dem jüngsten Kinde ein treues Abbild seiner äußeren Art hinterlassen, welches sie nie genug ansehen konnte. Über diesen Sorgen traf sie der Werkführer oder oberste Arbeiter, der jetzt eintrat, um mit ihr die Angelegenheiten und den Bestand der Geschäfte durchzusehen und manche wichtige Dinge zu besprechen. Es war ein hübscher und unternehmender Bursche von schlankem, kräftigem Körperbau, mäßig in seiner Lebensweise, fleißig und ausdauernd und dabei in seinen Gedanken von einer gewissen einfachen Schlauheit, welche zusammen mit den erklecklichen Eigenschaften seiner Meisterin eben das Geschäft in gutem Gange erhielt und die gedankenlosen Spitzfindigkeiten der Seldwyler zu schanden werden ließ. Inzwischen war er aber ein Mensch und dachte daher vor allem an sich selber und in diesem Denken hatte er es nicht übel gefunden, selber der Herr und Meister hier zu sein und sich eine bleibende Stätte zu gründen, daher auch in aller Ehrerbietung der Frau Regula wiederholt nahegelegt, eine gesetzliche Scheidung von ihrem abwesenden Manne herbeizuführen.
Sie hatte ihn wohl verstanden; doch widerstrebte es ihrem Stolz, sich öffentlich und mit schimpflichen Beweisgründen von einem Manne zu trennen, der ihr einmal wohlgefallen, mit dem sie gelebt und von dem sie drei Kinder hatte; und in der Sorge für diese Kinder wollte sie auch keinen fremden Mann über das Haus setzen und wenigstens die äußere Einheit desselben bewahren, bis die Söhne herangewachsen wären und ein unzersplittertes Erbe aus ihrer Hand empfangen könnten; denn ein solches gedachte sie trotz aller Schwierigkeiten zusammenzubringen und den Hiesigen zu zeigen, was da Brauch sei, wo sie hergekommen. Sie hielt daher den Werkführer knapp im Zügel und brachte sich dadurch nur in größere Verlegenheit; denn als derselbe ihren Widerstand und ihren festen Charakter ersah, verliebte er sich förmlich in sie und gedachte erst recht seine Wünsche zu erreichen. Er änderte sein Benehmen, also daß er, statt wie bisher ehrbar um ihre Hand als Meisterin sich zu bewerben, nun um ihre Person schmachtete, wo sie ging, und sie stets mit verliebten Augen ansah, wo es immer tunlich war. Dies schien für ihn eine zweckdienliche Veränderung, da die eigentliche Verliebtheit in die Person eines Menschen denselben viel mehr besticht und bezwingt, als alle noch so ehrbaren Heiratsabsichten. Wenn nun Frau Regel auch nicht die Haltung verlor und sich in ihn nicht wieder verliebte, so wurde es doch schwerer für sie, ihn abzuwehren, ohne mit ihm zu brechen und ihn zu verlieren, und es ist bekanntlich eine Hauptliebhaberei der Frauen, sich nützliche Freunde und Parteigänger zu erhalten, wenn es immer geschehen kann, ohne große Opfer.
Als der Werkführer in die Stube trat, funkelten seine Augen mit ungewöhnlichem Glanze, denn er hatte im Verkehr mit einigen Geschäftsleuten, mit denen er sich zum Vorteil der Frau wacker herumgeschlagen, eine Flasche kräftigen Wein getrunken. Während er ihr Bericht erstattete und dann in den Papieren mit ihr rechnete, blickte er sie oftmals unversehens an und wurde zerstreut und aufgeregt, wie einer, der etwas vorhat. Sie rückte mit ihrem Sessel etwas zur Seite und begann sich in acht zu nehmen, dabei kaum ein feines Lächeln unterdrückend, wie aus Spott über die plötzliche Unternehmungslust des jungen Mannes. Dieser aber faßte unversehens ihre beiden Hände und suchte die hübsche Frau an sich zu ziehen, indem er sogleich in demselben halblauten Tone, in welchem sie der schlafenden Kinder wegen die ganze Verhandlung geführt hatten, so heftig und feurig anfing zu schmeicheln und zuzureden, ihr Leben doch nicht so öde und unbenutzt entfliehen zu lassen, sondern klug zu sein und sich seiner treuen Ergebenheit zu erfreuen. Sie wagte keine rasche Bewegung und kein lautes Wort, aus Furcht, die Kinder zur Unzeit zu wecken; doch flüsterte sie voll Zorn, er solle ihre Hände freilassen und augenblicklich hinausgehen. Er ließ sie aber nicht frei, sondern faßte sie nur um so fester und hielt ihr mit eindringlichen Worten ihre Jugend und schöne Gestalt vor und ihre Torheit, so gute Dinge ungenossen vergehen zu lassen. Sie durchschaute ihren Feind wohl, dessen Augen ebenso stark von Schlauheit als von Lebenslust glänzten, und merkte, daß er auf diesem leidenschaftlich-sinnlichen Wege nur beabsichtigte, sie sich zu unterwerfen und dienstbar zu machen, also daß ihre Selbständigkeit ein schlimmes Ende nähme. Sie gab ihm dies auch mit höhnischen Blicken zu verstehen, während sie fortfuhr, so still als möglich sich von ihm loszumachen, was er nur mit vermehrter Kraft und Eindringlichkeit erwiderte. Auf diese Weise rang sie mit dem starken Gesellen eine gute Weile hin und her, ohne daß es dem einen oder andern Teile gelang, weiter zu kommen, während nur zuweilen der erschütterte Tisch oder ein unterdrückter zorniger Ausruf oder ein Seufzer ein Geräusch verursachte, und so schwebte die brave Frau peinvoll zwischen ihrer in der Kammer dreifach schlafenden Sorge und zwischen dem heißen Anstürmen des wachen Lebens. Sie war kaum dreißig Jahre alt und schon seit einigen Jahren von ihrem Manne verlassen und ihr Blut floß so rasch und warm, wie eines; was Wunder, daß sie daher endlich einen Augenblick innehielt und tief aufseufzte, und daß ihr in diesem Augenblick der Zweifel durch den Kopf ging, ob es sich auch der Mühe lohne, so treu und ausdauernd in Entbehrung und Arbeit zu sein, und ob nicht das eigene Leben am Ende die Hauptsache und es klüger sei, zu tun wie die andern und, nicht dem verwegenen und frechen Andringling, sondern sich selbst zu gewähren, was ihr Lust und Erfrischung bieten könne; die Dinge gingen zu Seldwyla vielleicht so oder so ihren Weg! Indem sie einen Augenblick dies bedachte, zitterten ihre Hände in denjenigen des Werkführers, und nicht sobald fühlte dieser solche liebliche Änderung des Wetters, als er seine Anstrengungen erneuerte und vielleicht trotz der abermaligen Gegenwehr der tapfern Frau gesiegt haben würde, wenn nicht jetzt eine unerwartete Hilfe erschienen wäre.
Denn mit dem bangen, zornigen Ausruf: Mutter! Es ist ein Dieb da!" sprang der jüngste Knabe, der kleine Fritzchen, in die Stube und glich vollständig einem kleinen Sankt Georg. Seine goldenen Ringellocken flogen um das vom Schlafe gerötete Gesicht; feurig blickten aber die blauen Augen in lieblichem Zorn und mutig warf sich der trotzige Mund auf. Das kurze schneeige Hemdchen flatterte wie die Tunika eines Kreuzfahrers und in den nackten Ärmchen schwang der kleine Rittersmann eine lange Gardinenstange mit dickem vergoldeten Knopf, den er auch mit aller erdenklichen Kraft dem aufspringenden Werkmeister auf den Kopf schlug, daß sich dieser die entstehende Beule verlegen rieb und ihm ordentlich die Augen übergingen. Frau Amrain aber hielt den Knaben auf, tief errötend, und rief: Was ist dir denn, Fritzchen? Es ist ja nur der Florian und tut uns nichts!" Der Knabe fing bitterlich an zu weinen, sich voll Verlegenheit an die Knie der Mutter klammernd; diese hob ihn auf den Arm und das Kind an sich drückend, entließ sie mit einem kaum verhaltenen Lachen den verblüfften Florian, der, obgleich er den Kleinen gern geohrfeigt hätte, gute Miene zum bösen Spiel machte und sich verlegen zurückzog. Sie riegelte die Tür rasch hinter