Die Leute von Seldwyla. Gottfried Keller
Читать онлайн книгу.Sali—was du da sagst, habe ich schon lang bei mir gedacht und ausgemacht, nämlich, daß wir sterben könnten und dann alles vorbei wäre—so schwöre mir es, daß du es mit mir tun willst!"
Es ist schon so gut wie getan, es nimmt dich niemand mehr aus meiner Hand, als der Tod!" rief Sali außer sich. Vrenchen aber atmete hoch auf, Tränen der Freude entströmten seinen Augen; es raffte sich auf und sprang leicht wie ein Vogel über das Feld gegen den Fluß hinunter. Sali eilte ihm nach; denn er glaubte, es wolle ihm entfliehen, und Vrenchen glaubte, er wolle es zurückhalten, so sprangen sie einander nach und Vrenchen lachte wie ein Kind, welches sich nicht will fangen lassen. Bereust du es schon?" rief eines zum andern, als sie am Flusse angekommen waren und sich ergriffen; nein, es freut mich immer mehr!" erwiderte ein jedes. Aller Sorgen ledig, gingen sie am Ufer hinunter und überholten die eilenden Wasser, so astig suchten sie eine Stätte, um sich niederzulassen; denn ihre Leidenschaft sah jetzt nur den Rausch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung lag, und der ganze Wert und Inhalt des übrigen Lebens drängte sich in diesem zusammen; was danach kam, Tod und Untergang, war ihnen ein Hauch, ein Nichts, und sie dachten weniger daran, als ein Leichtsinniger denkt, wie er den anderen Tag leben will, wenn er seine letzte Habe verzehrt.
Meine Blumen gehen mir voraus," rief Vrenchen, sieh, sie sind ganz dahin und verwelkt!" Es nahm sie von der Brust, warf sie ins Wasser und sang laut dazu: Doch süßer als ein Mandelkern ist meine Lieb' zu dir!"
Halt!" rief Sali, hier ist dein Brautbett!"
Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluß führte, und hier war eine Landungsstelle, wo ein großes Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag. In wilder Laune begann er unverweilt die starken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend in den Arm und rief: Was willst du tun? Wollen mir den Bauern ihr Heuschiff stehlen zu guter Letzt?" Das soll die Aussteuer sein, die sie uns geben, eine schwimmende Bettstelle und ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie werden überdies ihr Eigentum unten wieder finden, wo es ja dochhin soll, und werden nicht wissen, was damit geschehen ist. Sieh, schon schwankt es und will hinaus!"
Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer entfernt im tieferen Wasser. Sali hob Vrenchen mit seinen Armen hoch empor und schritt durch das Wasser gegen das Schiff; aber es liebkoste ihn so heftig ungebärdig und zappelte wie ein Fisch, daß er im ziehenden Wasser keinen Stand halten konnte. Es strebte Gesicht und Hände ins Wasser zu tauchen und rief: Ich will auch das kühle Wasser versuchen! Weißt du noch, wie kalt und naß unsere Hände waren, als wir sie uns zum erstenmal gaben? Fische fingen wir damals, jetzt werden wir selber Fische sein und zwei schöne große!" Sei ruhig, du lieber Teufel!" sagte Sali, der Mühe hatte, zwischen dem tobenden Liebchen und den Wellen sich aufrechtzuhalten, es zieht mich sonst fort!" Er hob seine Last in das Schiff und schwang sich nach; er hob sie auf die hochgebettete weiche und duftende Ladung und schwang sich auch hinauf, und als sie oben saßen, trieb das Schiff allmählich in die Mitte des Stromes hinaus und schwamm dann, sich langsam drehend, zu Tal.
Der Fluß zog bald durch hohe dunkle Wälder, die ihn überschatteten, bald durch offenes Land; bald an stillen Dörfern vorbei, bald an einzelnen Hütten; hier geriet er in eine Stille, daß er einem ruhigen See glich und das Schiff beinah stillhielt, dort strömte er um Felsen und ließ die schlafenden Ufer schnell hinter sich; und als die Morgenröte auf stieg, tauchte zugleich eine Stadt mit ihren Türmen aus dem silbergrauen Strome. Der untergehende Mond, rot wie Gold, legte eine glänzende Bahn den Strom hinauf und auf dieser kam das Schiff langsam überquer gefahren. Als es sich der Stadt näherte, glitten im Froste des Herbstmorgens zwei bleiche Gestalten, die sich fest umwanden, von der dunklen Masse herunter in die kalten Fluten.
Das Schiff legte sich eine Weile nachher unbeschädigt an eine Brücke und blieb da stehen. Als man später unterhalb der Stadt die Leichen fand und ihre Herkunft ausgemittelt hatte, war in den Zeitungen zu lesen, zwei junge Leute, die Kinder zweier blutarmen zugrunde gegangenen Familien, welche in unversöhnlicher Feindschaft lebten, hätten im Wasser den Tod gesucht, nachdem sie einen ganzen Nachmittag herzlich miteinander getanzt und sich belustigt auf einer Kirchweih. Es sei dies Ereignis vermutlich in Verbindung zu bringen mit einem Heuschiff aus jener Gegend, welches ohne Schiffsleute in der Stadt gelandet sei, und man nehme an, die jungen Leute haben das Schiff entwendet, um darauf ihre verzweifelte und gottverlassene Hochzeit zu halten, abermals ein Zeichen von der umsichgreifenden Entsittlichung und Verwilderung der Leidenschaften.
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FRAU REGEL AMRAIN UND IHR JÜNGSTER
Regula Amrain war die Frau eines abwesenden Seldwylers; dieser hatte einen großen Steinbruch hinter dem Städtchen besessen und eine Zeitlang ausgebeutet, und zwar auf Seldwyler Art. Das ganze Nest war beinahe aus dem guten Sandstein gebaut, aus welchem der Berg bestand; aber das Schuldenwesen, das auf den Häusern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich schon mit den Steinen begonnen, aus denen sie gebaut waren; denn nichts schien den Seldwylern so wohlgeeignet, als Stoff und Gegenstand eines muntern Verkehrs, als ein solcher Steinbruch, und derselbe glich einer in Felsen gehauenen römischen Schaubühne, über welche die Besitzer emsig hinwegliefen, einer den andern jagend.
Herr Amrain, ein ansehnlicher Mann, der eine ansehnliche Menge Fleisch, Fische und Wein verzehren mußte und mächtige Stücke Seidenzeug zu seinen breiten schönen Westen brauchte, himmelblaue, kirschrote und großartig gewürfelte, war ursprünglich ein Knopfmacher gewesen und hatte auch die eine und andere Stunde des Tages Knöpfe besponnen. Als er aber mit den Jahren gar so fest und breit wurde, sagte ihm die sitzende Lebensart nicht mehr zu, und als er überhaupt den rechten Phäakenaufschwung genommen: die rote Sammetweste, die goldene Uhrkette und den Siegelring, liquidierte er die Knopfmacherei und übernahm in einer wichtigen Hauptsitzung der Seldwyler Spekulanten jenen Steinbruch. Nun hatte er die angemessene bewegliche Lebensweise gefunden, indem er mit einer roten Brieftasche voll Papiere und einem eleganten Spazierstock, auf welchem mit silbernen Stiften ein Zollmaß angebracht war, etwa in den Steinbruch hinaus lustwandelte, wenn das Wetter lieblich war, und dort mit dem besagten Stocke an den verpfändeten Steinlagern herumstocherte, den Schweiß von der Stirn wischte, in die schöne Gegend hinausschaute und dann schleunigst in die Stadt zurückkehrte, um den eigentlichen Geschäften nachzugehen, dem Umsatz der verschiedenen Papiere in der Brieftasche, was in den kühlen Gaststuben auf das beste vor sich ging. Kurz, er war ein vollkommener Seldwyler, bis auf die politische Veränderlichkeit, welche aber die Ursache seines zu frühen Falles wurde. Denn ein konservativer Kapitalist aus einer Finanzstadt, welcher keinen Spaß verstand, hatte auf den Steinbruch einiges Geld hergegeben und damit geglaubt, einem wackern Parteigenossen unter die Arme zu greifen. Als daher Herr Amrain in einem Anfall gänzlicher Gedankenlosigkeit eines Tages höchst verfängliche liberale Redensarten vernehmen ließ, welche ruchbar wurden, erzürnte sich jener Herr mit Recht; denn nirgends ist politische Gesinnungslosigkeit widerwärtiger, als an einem großen dicken Manne, der eine bunte Sammetweste trägt! Der erboste Gönner zog daher jählings sein Geld zurück, als kein Mensch daran dachte, und trieb dadurch vor der Zeit den bestürzten Amrain vom Steinbruch in die Welt hinaus.
Man wird selten sehen, daß es großen schweren Männern schlecht ergeht, weil sie eine durchgreifende und überzeugende Gabe besitzen, für ihren anspruchsvollen Körperbau zu sorgen, und die Nahrungsmittel können sich demselben nicht lange entziehen, sondern werden von dem Magnetgebirge des Bauches mächtig angezogen. So fraß sich der landflüchtige Amrain auch glücklich durch die Fernen; und obgleich er nichts Großes mehr wurde, aß und trank er doch irgendwo in der Fremde so weidlich wie zu Hause.
Doch den Seldwylern, welche jetzt ratschlagten, welcher von ihnen nun am tauglichsten wäre, eine Zeitlang die Honneurs am Steinbruch zu machen, wurde abermals ein Strich durch die Rechnung gezogen, als die zurückgebliebene Ehefrau des Herrn Amrain unerwartet ihren Fuß auf den Sandstein setzte und kraft ihres herzugebrachten Weibergutes den Steinbruch an sich zog und erklärte, das Geschäft fortsetzen und möglicherweise die Gläubiger ihres Mannes befriedigen zu wollen. Sie tat dies erst, als derselbe schon jenseits des Atlantischen Weltmeers war und nicht mehr zurückkommen konnte. Man suchte sie auf jede Weise von diesem Vorhaben abzubringen und zu hindern; allein sie zeigte eine solche Entschlossenheit, Rührigkeit und Besonnenheit, daß nichts gegen sie auszurichten war und sie wirklich die Besitzerin des