Die Leute von Seldwyla. Gottfried Keller

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Die Leute von Seldwyla - Gottfried Keller


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Rat bin! Laßt fahren die Welt und nehmet euch und fraget niemandem was nach! Denkt an das luftige Hochzeitbett im tiefen Wald oder auf einem Heustock, wenn es euch zu kalt ist!" Damit ging er ins Haus. Vrenchen zitterte in Salis Armen und dieser sagte: Was meinst du dazu? Mich dünkt, es wäre nicht übel, die ganze Welt in den Wind zu schlagen und uns dafür zu lieben ohne Hindernis und Schranken!" Er sagte es aber mehr als einen verzweifelten Scherz, denn im Ernst. Vrenchen aber erwiderte ganz treuherzig und küßte ihn: Nein, dahin möchte ich nicht gehen, denn da geht es auch nicht nach meinem Sinne zu. Der junge Mensch mit dem Waldhorn und das Mädchen mit dem seidenen Rocke gehören auch so zueinander und sollen sehr verliebt gewesen sein. Nun sei letzte Woche die Person ihm zum erstenmal untreu geworden, was ihm nicht in den Kopf wolle, und deshalb sei er so traurig und schmolle mit ihr und mit den andern, die ihn auslachen. Sie aber tut eine mutwillige Buße, indem sie allein tanzt und mit niemandem spricht, und lacht ihn auch nur aus damit. Dem armen Musikanten sieht man es jedoch an, daß er sich noch heute mit ihr versöhnen wird. Wo es aber so hergeht, möchte ich nicht sein, denn nie möcht' ich dir untreu werden, wenn ich auch sonst noch alles ertragen würde, um dich zu besitzen !" Indessen aber fieberte das arme Vrenchen immer heftiger an Salis Brust; denn schon seit dem Mittag, wo jene Wirtin es für eine Braut gehalten und es eine solche ohne Widerrede vorgestellt, lohte ihm das Brautwesen im Blute, und je hoffnungsloser es war, um so wilder und unbezwinglicher. Dem Sali erging es ebenso schlimm, da die Reden des Geigers, so wenig er ihnen folgen mochte, dennoch seinen Kopf verwirrten, und er sagte mit ratlos stockender Stimme: Komm herein, wir müssen wenigstens noch was essen und trinken." Sie gingen in die Gaststube, wo niemand mehr war, als die kleine Gesellschaft der Heimatlosen, welche bereits um einen Tisch saß und eine spärliche Mahlzeit hielt. Da kommt unser Hochzeitpaar!" rief der Geiger, jetzt seid lustig und fröhlich und laßt euch zusammengeben!" Sie wurden an den Tisch genötigt und flüchteten sich vor sich selbst an denselben hin; sie waren froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu sein. Sali bestellte Wein und reichlichere Speisen, und es begann eine große Fröhlichkeit. Der Schmollende hatte sich mit der Untreuen versöhnt, und das Paar liebkoste sich in begieriger Seligkeit; das andere wilde Paar sang und trank und ließ es ebenfalls nicht an Liebesbezeigungen fehlen, und der Geiger nebst dem buckligen Baßgeiger lärmten ins Blaue hinein. Sali und Vrenchen waren still und hielten sich umschlungen; auf einmal gebot der Geiger Stille und führte eine spaßhafte Zeremonie auf, welche eine Trauung vorstellen sollte. Sie mußten sich die Hände geben und die Gesellschaft stand auf und trat der Reihe nach zu ihnen, um sie zu beglückwünschen und in ihrer Verbrüderung willkommen zu heißen. Sie ließen es geschehen, ohne ein Wort zu sagen, und betrachteten es als einen Spaß, während es sie doch kalt und heiß durchschauerte.

      Die kleine Versammlung wurde jetzt immer lauter und aufgeregter, angefeuert durch den stärkeren Wein, bis plötzlich der Geiger zum Aufbruch mahnte. Wir haben weit," rief er, und Mitternacht ist vorüber! Auf! Wir wollen dem Brautpaar das Geleit geben und ich will vorausgeigen, daß es eine Art hat!" Da die ratlosen Verlassenen nichts Besseres wußten und überhaupt ganz verwirrt waren, ließen sie abermals geschehen, daß man sie voranstellte und die übrigen zwei Paare einen Zug hinter ihnen formierten, welchen der Bucklige abschloß mit seiner Baßgeige über der Schulter. Der Schwarze zog voraus und spielte auf seiner Geige wie besessen den Berg hinunter, und die andern lachten, sangen und sprangen hintendrein. So strich der tolle nächtliche Zug durch die stillen Felder und durch das Heimatdorf Salis und Vrenchens, dessen Bewohner längst schliefen.

      Als sie durch die stillen Gassen kamen und an ihren verlorenen Vaterhäusern vorüber, ergriff sie eine schmerzhaft wilde Laune und sie tanzten mit den andern um die Wette hinter dem Geiger her, küßten sich, lachten und weinten. Sie tanzten auch den Hügel hinauf, über welchen der Geiger sie führte, wo die drei Äcker lagen, und oben strich der schwärzliche Kerl die Geige noch einmal so wild, sprang und hüpfte wie ein Gespenst, und seine Gefährten blieben nicht zurück in der Ausgelassenheit, so daß es ein wahrer Blocksberg war auf der stillen Höhe; selbst der Bucklige sprang keuchend mit seiner Last herum und keines schien mehr das andere zu sehen. Sali faßte Vrenchen fester in den Arm und zwang es, stillzustehen; denn er war zuerst zu sich gekommen. Er küßte es, damit es schweige, heftig auf den Mund, da es sich ganz vergessen hatte und laut sang. Es verstand ihn endlich, und sie standen still und lauschend, bis ihr tobendes Hochzeitsgeleite das Feld entlang gerast war und, ohne sie zu vermissen, am Ufer des Stromes hinauf sich verzog. Die Geige, das Gelächter der Mädchen und die Jauchzer der Burschen tönten aber noch eine gute Zeit durch die Nacht, bis zuletzt alles verklang und still wurde.

      Diesen sind wir entflohen," sagte Sali, aber wie entfliehen wir uns selbst? Wie meiden wir uns?"

      Vrenchen war nicht imstande zu antworten und lag hochaufatmend an

       seinem Halse. Soll ich dich nicht lieber ins Dorf zurückbringen und

       Leute wecken, daß sie dich aufnehmen? Morgen kannst du ja dann deinen

       Weges ziehen und gewiß wird es dir wohlgehen, du kommst überall fort!"

      Fortkommen, ohne dich!"

      Du mußt mich vergessen!"

      Das werde ich nie! Könntest denn du es tun?"

      Darauf kommt's nicht an, mein Herz!" sagte Sali und streichelte ihm die heißen Wangen, je nachdem es sie leidenschaftlich an seiner Brust herumwarf, es handelt sich jetzt nur um dich; du bist noch so ganz jung und es kann dir noch auf allen Wegen gut gehen!"

      Und dir nicht auch, du alter Mann?"

      Komm!" sagte Sali und zog es fort. Aber sie gingen nur einige Schritte und standen wieder still, um sich bequemer zu umschlingen und zu herzen. Die Stille der Welt sang und musizierte ihnen durch die Seelen, man hörte nur den Fluß unten sacht und lieblich rauschen im langsamen Ziehen.

      Wie schön ist es da ringsherum! Hörst du nicht etwas tönen, wie ein schöner Gesang oder ein Geläute!"

      Es ist das Wasser, das rauscht! Sonst ist alles still."

      Nein, es ist noch etwas anderes, hier, dort, hinaus überall tönt's!"

      Ich glaube, wir hören unser eigenes Blut in unsern Ohren rauschen!"

      Sie horchten ein Weilchen auf diese eingebildeten oder wirklichen Töne, welche von der großen Stille herrührten, oder welche sie mit den magischen Wirkungen des Mondlichtes verwechselten, welches nah und fern über die weißen Herbstnebel wallte, welche tief auf den Gründen lagen. Plötzlich fiel Vrenchen etwas ein: es suchte in seinem Brustgewand und sagte: Ich habe dir noch ein Andenken gekauft, das ich dir geben wollte!" Und es gab ihm den einfachen Ring und steckte ihm denselben selbst an den Finger. Sali nahm sein Ringlein auch hervor und steckte ihn an Vrenchens Hand, indem er sagte: So haben wir die gleichen Gedanken gehabt!" Vrenchen hielt seine Hand in das bleiche Silberlicht und betrachtete den Ring. Ei, wie ein feiner Ring!" sagte es lachend; nun sind wir aber doch verlobt und versprochen, du bist mein Mann und ich deine Frau, wir wollen es einmal einen Augenblick lang denken, nur bis jener Nebelstreif am Mond vorüber ist, oder bis wir zwölf gezählt haben! Küsse mich zwölfmal!"

      Sali liebte gewiß ebenso stark als Vrenchen, aber die Heiratsfrage war in ihm doch nicht so leidenschaftlich lebendig, als ein bestimmtes Entweder—Oder, als ein unmittelbares Sein oder Nichtsein, wie in Vrenchen, welches nur das eine zu fühlen fähig war und mit leidenschaftlicher Entschiedenheit unmittelbar Tod oder Leben darin sah. Aber jetzt ging ihm endlich ein Licht auf und das weibliche Gefühl des jungen Mädchens ward in ihm auf der Stelle zu einem wilden und heißen Verlangen und eine glühende Klarheit erhellte ihm die Sinne. So heftig er Vrenchen schon umarmt und liebkost hatte, tat er es jetzt doch ganz anders und stürmischer und übersäte es mit Küssen. Vrenchen fühlte trotz aller eigenen Leidenschaft auf der Stelle diesen Wechsel und ein heftiges Zittern durchfuhr sein ganzes Wesen, aber ehe jener Nebelstreif am Monde vorüber war, war es auch davon ergriffen. Im heftigen Schmeicheln und Ringen begegneten sich ihre ringgeschmückten Hände und faßten sich fest, wie von selbst eine Trauung vollziehend, ohne den Befehl eines Willens. Salis Herz klopfte halb wie mit Hämmern, bald stand es still, er atmete schwer und sagte leise: Es gibt eines für uns, Vrenchen, wir halten Hochzeit zu dieser Stunde und gehen dann aus der Welt—dort ist das tiefe Wasser—dort scheidet uns niemand mehr und wir sind zusammengewesen—ob


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