Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke


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Patienten von der Trage auf den Op-Tisch. Die Op-Schwester liess sich in den grünen Kittel helfen, die Spritze zur Narkoseeinleitung und der Atemtubus lagen bereits auf dem Narkosetisch, als Dr. Ferdinand sich nach dem Händewaschen ebenfalls in den grünen Op-Kittel helfen liess und die Handschuhe dabei über die Ärmel streifte. Er umfasste den herausgetretenen Darm mit einer grossen, sterilen Kompresse, damit die Op-Schwester die Bauchhaut mit der braunen Desinfektionslösung überstreichen konnte. Der Patient war intubiert und an dne Narkoseapparat angeschlossen, als Dr. Ferdinand die Haut längs und in der Mitte einschnitt. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurde das in ihr angesammelte Blut abgesaugt, was immerhin fast einen Liter Blut ausmachte. Da waren noch mehrere Risswunden am Darm, wobei auch der Querdarm und das Darmgekröse betroffen waren, die durch Einblutungen erhebliche Hämatome aufwiesen. Es wurde durch Naht geschlossen, was zu schliessen war, doch von den herausgetretenen Dünndarmschlingen, die zum Teil zerfetzt waren, mussten zwei Schlingen reseziert werden. Insgesamt waren es etwa vierzig Zentimeter Darm, die herausgeschnitten wurden. Die neue Darmverbindung (Anastomose) war genäht, der Bauchraum gesäubert und revidiert, als aus dem Kreisssaal die Nachricht von einer blutenden extrauterinen Schwangerschaft kam, die eine Operation dringend erforderlich machte. Auch meldete sich die OPD, dass dort zwei Patienten mit Schnittverletzungen eingetroffen waren. Es war genau zwei Uhr morgens, als die erste Operation beendet war, der Patient im Aufwachraum lag, und die Patientin mit der blutenden Schwangerschaft auf den Op-Tisch gelegt wurde.

      Die Doktoren hatten eine Tasse Tee zu sich genommen und gingen zum 'theatre 1', wo die Op-Schwester die Patientin gesäubert und mit sterilen Tüchern abgedeckt hatte. Die Patientin war in Narkose, als Dr. Ferdinand im grünen Kittel die Handschuhe überstreifte, und die Schwester das Skalpell für ihn in der Hand hielt. Der Bauchraum wurde eröffnet, mehr als ein Liter Blut abgesaugt, als ein Föt, dessen Grösse einer etwa vier Monate alten Schwangerschaft entsprach, sich tot hinter dem rechten Eierstock versteckte. Er wurde herausgenommen und in ein Glas mit vierprozentigem Formalin gelegt. Der blasig vergrösserte, blutig gefleckte und rupturierte Eierstock und der dazugehörige Eileiter wurden abgetragen und der kurze Eileiterstumpf vor dem Eintritt in die Gebärmutter durch Naht verschlossen. Geblutet hatte es aus dem Eierstock. So bestand die lebensrettende Massnahme in der Unterbindung der in den Bauchraum hineinpulsierenden Eierstocksarterie. Die Schichten der Bauchdecke wurden vernäht und der Verband aufgelegt, als sich das Team noch einige ruhige Stunden bis zum Sonnenaufgang wünschte, die es unter normalen Umständen längst verdient hatte. Dr. Ferdinand dankte allen für die Bereitwilligkeit des Helfens und für die geleistete Arbeit. Er machte sich am Waschbecken im Umkleideraum frisch, zog das weisse Hemd mit den langen Ärmeln und die dunkle Hose an, krempelte die Ärmel bis zu den Ellenbogen hoch und ging zur OPD, um nach den beiden Patienten mit den Schnittverletzungen zu sehen, die dort nebeneinander auf der ersten Bank sassen. Der eine hatte sich in die rechte Hand geschnitten, wobei er gleich die Beugesehnen des zweiten und dritten Fingers mit durchtrennt hatte, während der andere eine Schnittwunde im Gesicht und sich dabei die Oberlippe tief eingeschnitten hatte. Eine junge, wenig erfahrene Schwester hatte die schief hängende Lampe im kleinen Op des 'Outpatient department' angestellt und legte die erste, steril verpackte Nierenschale mit den Instrumenten auf den Instrumententisch, als Dr. Ferdinand mit dem ersten Patienten den kleinen Op-Raum betrat und den Patienten zum Hinlegen auf den völlig veralteten Op-Tisch aufforderte. Er holte die Nierenschale aus der weissen Papierverpackung, in der die Instrumente mit der Patina der letzten Jahrhundertwende und von der Zusammenstellung her völlig unproportioniert und trostlos lagen, was den plumpen Nadelhalter, die zu grossen Klemmen und die feine Spitzpinzette betraf, die als einzige Pinzette in der Schale lag und sich zwischen den groben Klemmen verquerte, deren Fasszähne allerdings nicht mehr schlossen, sondern sich verbogen ineinander verklemmten. Der rechte Arm lag abgestreckt auf einem alten, am Tisch eingehängten Armbrett. Die Hand wurde örtlich betäubt und mit der braunen Desinfektionslösung bestrichen. Dr. Ferdinand, der auf einem Drehhocker sass, zog sich den mit einem sterilen Tuch überzogenen Instrumententisch, auf dem die nicht zueinander passenden Instrumente ausgelegt waren, auf klemmenden Laufrollen in Reichweite heran; während die Schwester die Op-Lampe mit einer Hand hielt, um sie am Weggleiten zu hindern und das Licht auf die Hand zu zentrieren. Es strengte an, die Sehnenchirurgie unter fast mittelalterlichen Bedingungen auszuführen, was Dr. Ferdinand in Anbetracht der Umstände tat und nach einer gut einstündigen Operation und einem ständigen Ringen um ein ausgeleuchtetes Operationsfeld den Handverband anlegte. Der zweite Patient, dem ein Messer durchs Gesicht geschnitten und die Oberlippe tief eingeschnitten hatte, legte sich auf den Op-Tisch und bekam die örtliche Betäubung. Die Zusammenstellung der Instrumente in der ausgepackten Nierenschale war anders, wenn auch disproportional. So war der Nadelhalter nicht von der Patina der Jahrhundertwende überzogen und im Gelenk angerostet, er war aber unverhältnismässig klein gegenüber der langen, anatomischen Pinzette. Die beiden Klemmen und die eine gebogene Schere, die der jahrelange Gebrauch abgestumpft und kratzig, die Gelenke ausgeleiert oder schwergängig gemacht hatte, lagen grössenmässig dazwischen. Damit wurden die Schnittwunden im Gesicht vernäht und die Oberlippe nach den Gesichtspunkten der plastischen Chirurgie wiederhergestellt. Die Schwester war aus Ermüdungsgründen ihres hochgehaltenen Armes häufiger daran zu erinnern, das Licht auf das Gesicht des Patienten einzustellen. Es war der letzte Patient, der chirurgisch versorgt wurde und sich mit dem Gesichtsverband neben den andern Patienten mit dem Handverband auf die Bank zurücksetzte, weil beide auf die nahende Tagesdämmerung in der OPD warteten, um den Heimweg anzutreten.

      Dr. Ferdinand verliess gegen halb sechs mit dem VW-Käfer das Hospital. An ein Schlafen wollte er zu dieser frühen Morgenstunde nicht mehr denken, und so stellte er sich unter die Brause, um den ausgebliebenen Schlaf auf die nasse Weise wettzumachen. Er hörte die Hähne krähen, ohne ihnen die gewohnte Aufmerksamkeit zu schenken, machte sich einen Kaffee und rauchte die Zigarette dazu. Er hatte sich die weisse Arbeitskleidung angezogen und das Sonntägliche in den Schrank zurückgehängt, als er sich gegen halb sieben in den abgelaufenen Sandalen auf den Weg zum Hospital machte, die Sperrschranke am Dorfausgang passierte, wo es die Wachhabenden, denen er sein 'Permit' zeigte, nicht glauben konnten, dass ein Arzt überhaupt keinen Schlaf mehr braucht. Sie liessen ihn ungläubig, doch freundlich passieren. Der Pförtner an der Toreinfahrt mit den verknickten Rohrpfosten erhob sich schwerfällig von seinem seitlich zurückgesetzten Stuhl. Ihm fiel der Morgengruss verspätet ein, wahrscheinlich aus demselben Grunde, dass er es nicht glauben wollte, den Doktor jetzt schon wiederzusehn, der bereits über den urinrüchigen Vorplatz schritt und auf halbem Wege zur Intensivstation war. Dort wunderten sich die Schwestern allerdings über sein verspätetes Kommen. Er erklärte es ihnen ohne eine Schlaffalte im Gesicht.

      Dicke Schlaffalten hatte dagegen der Superintendent im Gesicht, als er mit stark geröteten Augen und hemdsärmelig hinter seinem Schreibtisch sass, seine morgendliche Nasentoilette durchführte, das Taschentuch schliesslich in seine Hosentasche stopfte und die Besprechung mit einer Verspätung von etwa zehn Minuten eröffnete. Es war Dienstag, der Raum hatte sich gefüllt. Die Klimaanlage ratterte über den Köpfen derjenigen, die an der Fensterseite sassen. Einige Kollegen trafen später ein, unter denen Dr. Witthuhn und Dr. Nestor waren, weil letzterer die Narkosen an jenen Patienten gab, die Dr. Ferdinand operierte, was bis in die frühen Morgenstunden ging. Der Superintendent liess sich dadurch nicht stören, denn er befand sich bereits in der Mitte seines Vortrags über die schlechter werdende Sicherheitslage am Hospital. Er sprach von den zunehmenden Diebstählen von Ersatzteilen im Fuhrpark, wobei sich Dr. Ferdinand gleich wieder den verluderten, völlig verwahrlosten Schrottplatz mit den restlichen zwei Fahrzeugen vorstellte, die eigentlich auch schrottreif waren. Die Diebstähle dehnten sich nun auf die Hauptküche aus, wo Brote, Milch und Zucker und aus dem Gefrierschrank grosse Mengen Fleisch gestohlen wurden. Auch das Apothekenlager blieb nicht verschont, wo ganze Kartons mit Infusionen und Medikamenten fehlten.

      "Diese Aktivitäten müssen gestoppt werden, wenn das Hospital funktionsfähig bleiben soll. Wo kommen wir denn hin, wenn das so weitergeht? Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst, die ich für das Hospital und die Patienten übernommen habe, und appelliere an die Verantwortung eines jeden von ihnen, dafür zu sorgen, dass diese kriminellen Aktivitäten unterbunden werden." Das Apothekerehepaar machte betroffene Gesichter, wenn auch nur der Ehemann für das Lager zuständig war. Der Superintendent verliess dieses Thema noch nicht, weil es genug zu denken gab, und merkte folgendes an: "Der Verdacht liegt nahe, dass es 'Insider' sind, die


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