Villa am Griebnitzsee. Beate Morgenstern

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Villa am Griebnitzsee - Beate Morgenstern


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die Gespräche mit den Dorfbewohnern, die kommen und sich beraten lassen. Mit steigender Abneigung denkt sie zurück an die wissenschaftliche Bibliothek, die stumm vor ihren Karteikästen sitzenden meist älteren Kolleginnen, an die ebenso stumm vor ihren Büchern sitzenden Jünglinge. Grad die Helga Brauer fehlt ihr. Susanne macht Buchbesprechungen bei der DSF, im Kulturbund. Ist Abende unterwegs. Hat immer zu tun. Man verlangt viel nach Susanne, denn die weiß nicht, dass auch sie verlangen könnte, Geld nämlich, 15 bis 30 Mark wie ihre Kolleginnen für den Abend. Die junge hauptamtliche Bürgermeisterin hält viel von der neuen Bibliothekarin. Und Susanne bekommt als Ausgleich für ihren Einsatz bis in die Nacht den Sonnabend frei, bestimmt die Bürgermeisterin, was Susanne recht ist, denn so kann sie nach Hause fahren, schreiben. Geschichten aufschreiben. Ihre Vorgängerin machte noch am Sonnabendnachmittag Ausleihe. Um eine Ausrede zu haben, nicht zu ihrer Mutter fahren zu müssen, erfährt Susanne. Wie sich die Probleme doch gleichen. Susanne hat Ausflüchte nicht mehr nötig, denn sie hat eine Zuflucht, sie bringt Worte aufs Papier. Rastlos bleibt sie. Das kann es doch noch nicht gewesen sein!, denkt sie.

      "Was hast du in diesem Kaff verloren?" - "Hatte keine große Auswahl", sagt Joe, der Alte, ein weiß gekleideter Ganove. Mario und Joe wandern die eine breite Straße entlang, die den Ort ausmacht, unbefestigt die Straße, große Pfützen, einige Häuser, einige Hütten. Sie gehen hinter einem Beerdigungswagen her. Hinter ihnen noch andere Weiße. "Der Mann hatte Fieber", beruhigt sich Joe. Es gäbe auch andere Krankheiten, teilt ihm Mario mit. "Tierchen, die von innen her die Leber auffressen. Lepra. Jeden Morgen sieht man nach. Aber das ist halb so schlimm. Denn hier gibt es eine widerliche, eine chronische Krankheit. Das ist der Hunger."

      Susanne frisst sich durch die Weltliteratur der gut bestückten Kreisbibliothek Hohenstein-Ernstthal, kurz Huhnsteen genannt, liest rund um sich, Faulkner, Graham Greene, Theodore Dreiser, bewirbt sich - unerlaubt - gleichzeitig für drei Studienrichtungen. Wieder an der Filmhochschule, diesmal für Dramaturgie. Außerdem für Theaterwissenschaften in Leipzig und für das Studium der Germanistik in Berlin. Im März 59 fährt sie mit Fieber nach Leipzig. In einer Villa findet die Aufnahmeprüfung statt. Zwei junge Herren, mit sich selbst beschäftigt, schreiten gesenkten Hauptes das getäfelte Foyer auf und ab. Susanne steht blöd herum. Sie hat Geschichten abgegeben, die sie für sich geschrieben hat und für die Zeitung, hat Stückanalysen gemacht. Susanne wird gerufen. Drei Herrschaften erwarten sie. Eine Probebühne. Susanne soll die Fabel von "Emilia Galotti" erzählen. Feurig, im Fieber, berichtet Susanne. Die unten sitzenden drei Herrschaften rucken unruhig auf ihren Stühlen. Später kann Susanne deuten, was es damit auf sich hat: Sie versuchten, ihr Lachen zu beherrschen. Was meinen Sie, liebes Kind, haben Sie uns erzählt?, fragt der Professor dann. "Emilia Galotti", sagt Susanne. "Rigoletto" war' s, antwortet der Professor. Aber schön! Eine erstaunliche Aufgabe wird Susanne vorgegeben, vielleicht aufgrund ihrer temperamentvollen Erzählung der falschen Emilia. Spielen Sie, dass Sie warten, sagt der Professor. Ihr Freund kommt. Oder er kommt nicht. Susanne, nicht mehr in der Lage, auf Wünsche einzugehen, steht fassungslos. Der alte Professor Kuckoff sehr ruhig, der Dozent Rohmer gleichgültig. Wir sind uns einig, sagt Käthe Selig, lächelt, schaut die beiden Herren an, wir glauben, dass Sie für Theaterwissenschaft nicht geeignet sind. Susanne ein, zwei Augenblicke wie nicht mehr von dieser Welt, aber noch bei irgendeinem Bewusstsein.

       Das Öl brennt. Verwundete, Tote werden auf Lkw gebracht. Die einzige Möglichkeit, den Brand auf den Feldern zu löschen, eine Sprengung durch Dynamit. "Hier gibt's genug Gesindel", sagt während einer Besprechung einer der Öl-Bonzen, der sich O'brabim nennen lässt. "Auf ihrem Buckel würden die das Zeug 10000 Kilometer weit schleppen ..."

      Nein, nein, sagt Käthe Selig. Wissen Sie, die Theaterwissenschaft ist eine trockene Arbeit. Wo hat das Susanne schon mal gehört? Was Sie eingereicht haben, sagt Käthe Selig, ist sehr lebendig geschrieben. Deshalb sind wir der Meinung - wieder sieht sie zu den Herren hin -, bei den Journalisten sind Sie viel besser am Platz, Fräulein Burkard. Wir haben uns mit der Fakultät der Karl-Marx-Universität in Verbindung gesetzt. Ihre Unterlagen sind bereits dort. Wir wollten uns eigentlich heute nur noch mal mit Ihnen unterhalten! Susanne kommt langsam zu sich. Nein, nein!, sagt sie. Da hätte ich doch gleich das Volontariat in Karl-Marx-Stadt annehmen können, das man mir angeboten hat! Nicht Journalistik, das nicht, denkt sie. Jeder weiß doch, was mit den Zeitungen los ist! Na ja, sagt Professor Kuckoff still, hat den Aufschrei gehört, ahnt vielleicht, warum Susanne keinesfalls zu den Journalisten will. Wissen Sie was: Wir können ja noch mal drüber reden. Aber gehen Sie erst mal dorthin! Tür zu, denkt Susanne. Klavierklimpern für Würstchen, Schnaps und Zigaretten, mit dem Bücherkarren losziehen, um von Oelsnitz Bücher zu holen oder welche zu bringen, das nun bis ans Lebensende?

      "Warum verduften sie nicht?", fragt Joe - "Das würden sie lieber heute als morgen", antwortet Mario-Montand. "Aber aus dem Loch hier kommt kein Schwein raus. Die Entfernungen sind zu groß Daran gehen wir alle kaputt." - "Eisenbahn?" - "Eisenbahn gibt's nicht." - "Straße?" - "Nur eine, und die endet in den Ölfeldern."- "Flugzeug?" - "Caracas? Da kann man auch hierbleiben. Genauso schlimm wie hier. Schon bis Lima kostet der Spaß 2000 Dollar ... Reinkommen ist verdammt leicht. Macht sich fast von selbst. Aber rauskommen, denkst du! Und wenn du drinbleibst, krepierst du."- "Ich habe keine Lust zu krepieren." - "Das will hier niemand. Aber du krepierst trotzdem."

      Na, wenn Sie uns schon Bücher ausleihen, sagen die Oelsnitzer Arbeiter, dann müssten Sie sich auch für unsere Arbeit interessieren! - Ja, natürlich!, sagt Susanne. Deswegen wollte sie doch von der Hochschule weg an die "Basis"! Das wirkliche Leben sollte ihr begegnen. Gehen Sie zum Kollegen Sowieso, sagen die Arbeiter. Das ist ein Mitarbeiter vom Direktor. Denn Sie brauchen eine Sondergenehmigung, um in den Schacht einzufahren. Und bringen Sie uns ein paar Bücher mit!, sagen die Arbeiter. Aber wieso?, fragt Susanne. Aber das geht doch nicht, unten im Schacht Bücher auszuleihen! - Na, wollen Sie uns nun mit der Kultur vertraut machen, sagt einer der Arbeiter. Interessieren Sie sich nun für unsere Arbeit oder nicht?, sagt ein anderer. Jetzt kneifen Sie, haben wohl doch Angst, was?, ein Dritter.

      O'brahim schüttet ein wenig Nitrolgyzerin auf den Boden. Es explodiert. "Ich habe nur gewöhnliche Lastkraftwagen, ohne Aufhänger, ohne Stoßdämpfer, mit nichts", sagt er den Bewerbern, die das Dynamit auf die Ölfelder bringen wollen. Ein Texaner steigt aus dem Geschäft aus. Er habe Männer gekannt, die nicht wiederkamen. Und die wiederkamen, hatten weiße Haare. "Die Angst überfällt einen wie Pocken. Und wer sie kriegt, behält sie fürs Leben. "

      Die Männer reden auf Susanne ein, bis die nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht. Ich will schon, natürlich!, stottert Susanne. - Und gehen Sie ja zu dem Kollegen Sowieso und nicht etwa in die Bibliothek!, warnen die Arbeiter. Die Bibliothekarinnen sind nämlich eifersüchtig, dass wir Bücher bei Ihnen ausleihen! Susanne geht zum Kollegen Sowieso, redet etwas von Kunst an der Basis, redet nun wiederum ihn besoffen, bekommt die Genehmigung, besteigt den Förderkorb, behelmt wie die Arbeiter, die mit ihr hinunterfahren, bepackt mit Büchern. Schlecht wird ihr. Ist froh, als sie in soundso viel Meter Tiefe ankommen. Der Steiger unten sieht den Bücherkorb, dann schaut er Susanne an, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf. Ja, die Kollegen, Susanne nennt Namen, haben mich gebeten! Ich soll Ihnen die Bücher persönlich bringen. Hat sie denn eine Erlaubnis?, fragt der Steiger einen der Arbeiter. Ja, hat sie! - Hm, hm, dann kommen Sie mal mit. Susanne geht dem Steiger nach. Hunte fahren ihr auf Schienen entgegen. Mörderisch die Wärme. Der Steiger schaut Susanne von der Seite an mit einem Blick wie: Na, Mädel, mach dich auf was gefasst! Sie gehen nicht weit, da trifft sie auf die Männer: schwarz die Augen, Zähne weiß leuchtend. Und wenn sie auch vollkommen schwarz sind, sieht Susanne doch auch eins: Die Männer sind nackt! Allesamt. Der einzige Angezogene der Steiger. Susanne weiß nicht, wohin mit ihren Augen, mit ihren Büchern, sieht hilfesuchend den Steiger an. Na, denn kehrn mer wieder um!, sagt der. Prost! Prost!, grölen die Männer Susanne hinterher. Susanne stolpert zum Förderkorb, glühend vor Scham. Der männliche Teil der Arbeiterklasse hat seinen Spaß gehabt. Der weibliche Teil kriegt seinen Zorn.

      Nachdem die Männer nachmittags von der Schicht gekommen sind, stürmen die Frauen die Bibliothek. Was erlaubn Se sich, Frolln Purgert!, rufen die entrüsteten Frauen. Wo Se doch wussten, was die mit Ihn vorham. Das konntn Se sich doch denkn. So ne Schweinerei! So ne Sauerei! Das sin alles verheiratete Männer,


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