Villa am Griebnitzsee. Beate Morgenstern

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Villa am Griebnitzsee - Beate Morgenstern


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bis 56, denke ich.

      Soviel? Im Ernst?

      Am sogenannten Fachtag ging es durch von acht Uhr früh bis sechs, acht Uhr abends mit einer kurzen Mittagspause, in der wir den Mensafraß runterschlangen. Und den Rest der Zeit saßen wir auch noch im Kino. Wir haben wunderbare Filme gesehen. Man pumpte in uns hinein. Zu der Zeit dachte man, im Fernsehen sollte ein zweites Programm aufgebaut werden, man würde viele gut ausgebildete Leute brauchen. Wir sollten die Elite werden, und wir waren uns aufgrund der Behandlung, die wir erfuhren, auch unseres Wertes bewusst. Freie Zeit für anderes blieb kaum. Sonnabend/Sonntag arbeiteten wir für uns. Wer nicht mitzog, blieb auf der Strecke, ganz klar. Sonntags fuhr man mittags mal nach Babelsberg rein in die "Ponybar", um was Vernünftiges zu essen, das war alles.

      Pferdefleisch?

      Bulette, Gulasch. Fleisch vom Wal. Wir hatten im Haus auch eine Küche. Aber die Töpfe, Pfannen so verdreckt, dass ich es gleich aufgab. Manchmal bemühte sich dort die Mutter einer bulgarischen Mitstudentin. Dann zogen herrlichste Gerüche durchs Haus.

      Hatten Sie eigentlich eine Aufsicht?, wollte Georg wissen.

      Manchmal gab es Razzien, um der Ordnung Genüge zu tun. Aber im Sekretariat des Direktors wurde ich als Vertreterin der Mädchen in der FDJ-Leitung rechtzeitig gewarnt. An den entsprechenden Abenden wurden die Herrenbesuche in den Mädchenhäusern eher entlassen. Nicht nur die Schauspielmädchen führten ein fleißiges Liebesleben.

      Und Sie, Frau Burkard?

      Ich habe an der Schule zum ersten Mal gemerkt, dass einem vor Liebe das Herz wehtun kann.

      "Wie lange waren wir zusammen, Kleines?" - "Ich habe die Tage nicht gezählt." - "Aber ich, und besonders erinnere ich mich an den letzten mit einem Mordsschluss. Ein Mann steht auf dem Bahnsteig mit einem wunderlichen Gesichtsausdruck, weil man ihm die Seele aus dem Leib gerissen hat."

      Hm, hm. Kennt man, brummte Georg.

      Aha, dachte Susanne. Er hat wohl gerade die erste Liebe hinter sich. Georg, gerade 19 geworden, teilte eine sehr wesentliche Erfahrung mit ihr.

      Susanne ging in ihr zweites Zimmer, suchte im Schrank nach einer Unterlage, die sie Georg für ein Amt mitzugeben hatte.

      Susanne griff einen falschen Hefter, aber so falsch war der doch nicht. Da, meine Abschlussarbeit vom ersten Studienjahr!, sagte sie, überreichte Georg den Hefter.

      Georg las laut: die Härte des Konflikts als Voraussetzung für die sozial aktivierende Verallgemeinerung im Film "Das Vaterhaus". Was soll'n das heißen?, sagte Georg. Das versteht doch kein Mensch! Er gab ihr den Hefter zurück. Und das nach dem ersten Studienjahr?!

      Susanne genoss Georgs Erstaunen. Im zweiten Studienjahr habe ich dann über das Pathos bei Majakowski, Eisenstein und bei Tschuchrai geschrieben, der die "Ballade vom Soldaten" drehte. Im Dritten war dann schon das Vordiplom fällig, eine Konzeption und ein Exposé für ein Szenarium, das ich dann im vierten Studienjahr vorlegte. Wir wurden ja im Fach Szenaristik ausgebildet. Wir sollten am Ende Filmdrehbücher nach literarischen Vorlagen schreiben können.

       "Was in Gottes Namen hat Sie nach Casablanca gebracht?" - "Meine Gesundheit. Ich kam nach Casablanca wegen der Quellen." - "Quellen? Was für Quellen? Wir sind in der Wüste!" - "Man hat mich falsch informiert!"

      Wir waren also keine normalen Dramaturgen. Wir waren die Exoten an der Schule. Diese Ausbildung gab es nur einmal. Golzow, den Namen kennen Sie vielleicht. Der war mit in meiner Klasse. Susanne bestand auf der auszeichnenden Unterscheidung. Was hatte sie sonst schon an Leistung aufzuweisen, als diesen besonderen Studiengang absolviert zu haben?

      Auch als Georg gegangen war, blieb Susanne bei bester Stimmung. Die Schule interessiert ihn, ich kann ihm erzählen!, dachte sie. Die Zeit in ihrem Leben, die sie als die glücklichste bezeichnete, wurde zum unmittelbaren Gestern, glaubhaft durch einen Gesprächszeugen. Ihre Gedanken hakten sich an einem Punkt fest, an dem noch alles für sie möglich war:

      Frühsommer 1962. Prüfung in der Stalin-Villa, dem bombastischen Gebäude aus der Kaiserzeit. Stuck, Säulen innen. Eine breite Holztreppe mit herrlichem Geländer. Der Teppich auf den Stufen mit schmalen Messingstangen festgehalten. Alles unverändert, seit Stalin während der Potsdamer Konferenz dort wohnte. Im Zimmer, das unter Denkmalschutz steht, die Aufnahmeprüfung. Plüschsessel dort, Samtportieren. Golzow kommt ins Bild. Dünn, die Haare wirrlockig abstehend, der Schneidezahn fehlt ihm noch immer. Golzow abseits, gelangweilt wie stets. Ihn wird nie etwas aus der Ruhe bringen. Er hat in jeder Hinsicht beste Voraussetzungen. Begabt theoretisch wie als Schreiber. Und schlau. Weiß bei jeder Antwort Marx, Lenin oder Mao Tse-tung zu zitieren und bezieht sich notfalls auf seine proletarische Großmutter. Sein Philosophiestudium lässt die Antworten zum Spiel, zur Farce, geraten. Er gilt als Angehöriger der Arbeiterklasse, da er sich als Bühnenarbeiter bei der Defa einstellen ließ. Was ihm zudem eine Stelle dort sichert. Da die Defa ihn zum Studium delegierte, muss sie ihn auch zurücknehmen. Golzow Berliner. Die langen Fahrten mit dem "Sputnik" um Westberlin machen ihm nichts aus. Als Susanne ihn fragte, sah er sie erstaunt an. Er verbringt die Fahrzeit studierend, saugt Literatur in sich auf, ist ständig auf der Suche nach Filmvorlagen.

      Fietz, blass und blond, in grauem Flanellanzug. Scharfzüngig. Seine Karten weniger günstig. Biedert sich der Partei an. Hat sich im Sommer zur Specki-Tour verpflichtet. Fietz, der Ephebe, beim Abholen von stinkenden, triefenden Tonnen mit Speiseresten, die für die Schweinemast bestimmt sind. Nie wird Susanne begreifen, warum er sich das antut. An der Schule, vielleicht durch das Schauspiel geübt, erkennt man Charaktere. An der Schule jedenfalls wird man ihn nie für eine Kandidatur zur Einheitspartei vorschlagen.

      Wernerle, wie Fietz ihn abschätzig nennt, naiv und jung wie Susanne. Erschien zur Aufnahmeprüfung noch im "Ehrenkleid der Volksarmee". Im Laufe des Studiums immer störrischer. Was ihm nach dem dritten Studienjahr ein Jahr "Prärie" einbringt. An der Prüfung nimmt er noch teil. Ob er das Diplom später machen darf, ist nicht klar.

      Dora, groß, schwarzhaarig, dunkler Teint, Berlinerin, zehn Jahre älter als Susanne, drei Kinder. Hochschwanger kam sie vor drei Jahren zur Aufnahmeprüfung. Hat als Sonderschul-Pädagogin gearbeitet. Parteizugehörigkeit aus Überzeugung. Die Bekanntschaft mit Heiner und Inge Müller brachte sie darauf, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Ihre physische Leistung am erstaunlichsten. Dora schluckt koffeinhaltige Tabletten. Dora im Kostüm, Susanne im Kostüm. Zu befürchten haben sie nichts mehr. Schon nach dem zweiten Studienjahr nicht mehr. Exmatrikuliert wird höchstens, wenn jemand noch einen richtigen Bock schießt wie Wernerle. Die bis dahin durchkamen, wissen in der Regel, ihre Zunge zu hüten. Die Schule hat kein Interesse mehr, die Anzahl der Studenten zu dezimieren. Nebenfächer haben sie abgeschlossen. Den gesamten Philosophie-Komplex mit ML, Marxismus-Leninismus, Pol-Ök, Politische Ökonomie, Wissenschaftlichem Sozialismus, Geschichte der Arbeiterklasse, Englisch, Russisch, Kunstgeschichte, Ästhetik, Literaturgeschichte, Filmgeschichte. Eigentlich steht bei der Prüfung nichts auf dem Spiel. Sie werden zu ihrer theoretischen Abschlussarbeit befragt. Während des Studienjahres lieferten sie Arbeiten ab, die auf Filmadaptionen hinausliefen, hatten alle eine Konzeption abzugeben, zum Beispiel zur "Moskauer Novelle" von Christa Wolf Man kann die Studenten also einschätzen, ihre Fähigkeiten wie Weitsicht. Susanne wird ihre Theorieschwäche nachgesehen. Auf die spezielle Begabung kommt es an. Nicht einmal ein Abitur ist zu der Zeit notwendig. Susanne trotzdem aufgeregt, hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Die Studenten werden einzeln hereingerufen. Ihnen gegenüber eine Versammlung von Damen und Herren der Schule, der Parteisekretär darunter und ein Vertreter der FDJ, Gäste von der Defa, Dramaturgen. Ein kleiner eleganter Herr, in teurem westlichem Anzug, Old-spice-Duft umweht ihn, Regisseur, Autor. Die Gäste neugierig, wollen begutachten, was das nächste Jahr für eine Ausbeute an Absolventen bringen wird. Bisher konnten - bis auf einzelne Absolventen der Dramaturgie - Studenten an die Defa übergeben werden. Die Stellen dort inzwischen knapp. Deshalb wohl das verzweifelte Bemühen von Fietz, seine Nähe zur Arbeiterklasse zu bekunden, indem er auf Specki-Tour geht.

      Dora gibt glänzend Antwort. Man lauscht draußen. Golzow bemüht Urvater Marx. Mühsam formen sich schon gedachte Gedanken neu, als Susanne befragt wird. Die Unbefangenheit der Oberschülerin, der Gersdorfer Alleinunterhalterin


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