Unwiederbringlich. Thomas Häring

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Unwiederbringlich - Thomas Häring


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im sozialverträglichen Frühableben. Aber haben Sie die Krawatte von dem Obermacker gesehen? Die war ja sowas von geschmacklos.“ „Allerdings! Und erst die Schuhe, eine optische Zumutung sondergleichen.“ „Von seiner feuchten Aussprache ganz zu schweigen. Hoffentlich nehmen die mich nicht, sonst bin ich echt geliefert.“ „Bei mir ist es dasselbe. Ich habe alles dafür getan, um ausgesiebt zu werden und wenn das nicht klappt, dann habe ich wirklich ein Problem.“ Sie plapperten noch eine Weile weiter und als die Bedienung die Rechnung brachte, überlegten sie kurz, ob sie ihren Kaffee nicht von der Agentur bezahlen lassen konnten. Dann entschieden sie sich doch dafür, den Betrag eigenhändig zu begleichen, denn sonst hätte man sie am Ende noch für Sozialschmarotzer gehalten. Es reichte so schon, man wurde genug genervt.

      Der Philosoph hatte sich einmal mehr in seine Welt zurückgezogen, was so aussah, daß er mit einem Pornomagazin auf der Toilette saß und sich einen herunterholte. Das machte er immer wieder gerne, denn danach fühlte er sich einigermaßen befriedigt und mußte nicht den ganzen Tag an irgendwelche sexuellen Schweinereien denken, sondern konnte sich mit den wirklich wichtigen Fragen des Lebens beschäftigen, wie zum Beispiel: Wer bezahlt meine Miete? Warum kann sich meine Wäsche nicht selber waschen? Wo zum Teufel sind eigentlich meine Hängemattenhaken? Nicht immer fand er eine Antwort, doch in den meisten Fällen gelang es ihm, sich selbst wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen und im Rahmen des Erlaubten und Möglichen Lösungen zu kreieren. Als Philosoph hatte man es in Deutschland nicht unbedingt leicht, denn die Philosophie wurde als etwas Nutzloses, eine brotlose Kunst, angesehen, die materiell gesehen nichts einbrachte und deswegen für die meisten Zeitgenossen nicht interessant war. Er aber hatte sich ihr mit Leib und Seele verschrieben, seine Welt waren die Bücher, oft die von großen Philosophen der Antike, aber auch er selbst hatte Einiges auf dem Kasten, was man zum Beispiel erkannte, wenn man sich näher mit seinen Thesen und Theorien beschäftigte. So schrieb er zum Beispiel in einem seiner Werke: „Die Welt als solche ist viel mehr als die Summe aus der Physis und der Psyche, denn es gibt da ja auch noch die Energien, welche uns beeinflussen und oft dazu bringen, Dinge zu tun, die wir mit dem Verstand nicht erklären können. In der Notwendigkeit der Selbstbetrachtung inbegriffen, zeigt sich bei genauerer Betrachtung die Unumkehrbarkeit der Tatsache begründet, welche Handlungsstränge die vorgefaßten Meinungen übertünchen.“ Zugegeben, nicht immer leicht verständlich, das Ganze, aber der Philosoph lebte nun mal in seiner ganz eigenen Welt, aus der ihn nur hin und wieder die Putzfrau riß, indem sie irgendein Problem mit seinen aus ihrer Sicht merkwürdigen Angewohnheiten ansprach. „Guter Mann, ich wirklich putzen gerne hier, aber Bad geht nicht, das ist eine Katastrophe. Ich komme hinein, sehe den Dreck und schreie, denn ich bleibe mit Schuhen kleben am Boden. Wenn Sie schon machen müssen wixi wixi, dann bitte in Kloschüssel hinein und spülen runter. Bitte!“ „Liebe Frau Iskaluvsky, wie lange kennen wir uns jetzt schon?“ erkundigte sich der Philosoph leicht angepißt. „Weiß nicht genau. Zwei Jahre vielleicht.“ „Also gut, seit zwei Jahren putzen Sie hier und seit zwei Jahren regen Sie sich über meine Gewohnheiten im Bad auf und ich sage Ihnen jedes Mal, daß Sie halt erst wischen müssen und dann den Rest saubermachen können.“ „Aber ich hier die Putzfrau! Ich so arbeiten wie habe gelernt in Ausbildung. Sie müssen Rücksicht nehmen auf mich, sonst ich nicht länger kann putzen hier.“ Der Philosoph stutzte. War das hier etwa ein Zwergenaufstand? Klar, er beneidete seine Putzfrau wahrlich nicht darum, seinen Dreck wegzumachen, aber schließlich hatte sie sich, soweit er sich erinnerte, freiwillig dafür entschieden. „Ich bin nun mal wie ich bin. Seien Sie lieber froh darüber, daß hier nicht noch eine Frau wohnt, sonst gäbe es noch mehr zu putzen“, behauptete er. „Das ich nicht glaube. Frau sein sauber, machen keine Schweinerei“, erwiderte die Polin. „Also gut, dann werde ich mich in Zukunft beim Onanieren etwas am Riemen reißen.“ „Nein, das ist auch nicht gut. Dann Sie machen Sack kaputt.“ „Wissen Sie was, so kommen wir nicht weiter. Erzählen Sie mir deshalb lieber etwas über die Ausweglosigkeit des Seins.“ „Oh, Leben bedeutet Schmerz. Immer nur Sorgen, Leid und Probleme. Tod aber auch nicht gut, dann Sie kommen in die Hölle, wo alles Scheiße und Qual.“ Der Philosoph notierte eifrig mit und ermunterte seine Raumpflegerin dazu, weiterzureden. Hätten seine Kritiker gewußt, daß er viele seiner Thesen von seiner polnischen Putzfrau geklaut hatte, dann wären sie noch mehr über ihn hergefallen, als sie es ohnehin schon taten. Er aber fand es nicht schlimm.

      Senta hatte sich aus der Hausaufgabenhilfe zurückgezogen und war ins Basislager der Weintolligen zurückgekehrt, wo man ihr erst mal ordentlich das Gehirn wusch, was sich so anhörte: „Sag mal, Du geisteskranke Spinnerin, geht es eigentlich noch? Sollen wir Dich mal in ein Marathon-Gauditing schicken, damit Du wieder merkst, was hier eigentlich abgeht? Du sollst Dich doch nicht mit älteren Frauen über den Sinn und Unsinn des G8 unterhalten, sondern leistungsschwache Schüler anwerben, denen wir dann Nachhilfe geben und bei denen wir ein wenig nachhelfen, damit sie begreifen, wie toll unsere Glaubensgemeinschaft ist“, stellte ihr Vorgesetzter, so ein Kooperierender Titan, klar. „Aber das ist doch strategisch unklug, wenn wir uns die Doofen raussuchen und die dann manipulieren. Die geistige Elite müßte doch eigentlich unser Ziel sein“, erwähnte Senta. „Wir müssen das nehmen was wir kriegen können, das Leben ist kein Wunschkonzert. Außerdem sind die geistig Zurückgebliebenen leichter zu überzeugen und zu beeindrucken. Wir brauchen schließlich eine Masse, die uns folgt und welche die Drecksarbeit erledigt. Elite, schön und gut, aber wenn wir nur aus elitären Schnöseln bestehen würden, dann könnten wir das Ganze schnell vergessen.“ „Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist. Wenn man dieser Logik folgt, dann müßte sich Weintolligy konsequenterweise nicht nur um die dummen Schüler, sondern auch um die ganzen Arbeitslosen kümmern.“ Der Mann horchte auf. Hatte er das richtig verstanden oder war wieder einmal die Stimme in seinem Kopf aktiv gewesen, welche von ihm ständig verlangte, daß er alle umbringen sollte? Senta schaute ihn gespannt an, er verweilte noch kurz in seiner geistigen Leere, bevor er reagierte. „Das ist richtig! Was für eine grandiose Idee! Ich werde sie natürlich als meine eigene ausgeben, Dir würde man so einen klugen Gedanken ohnehin nicht zutrauen. Also dann, liebe Senta, mach Dich für Deine neue Aufgabe bereit! Du wirst von nun an mit einem Informationsstand vor der Agentur für Arbeit anwesend sein und dort so viele Arbeitslose wie möglich ansprechen und versuchen, jene mit in unser Boot zu bringen. Dabei wünsche ich Dir viel Glück und Erfolg“, machte der Macker deutlich und ließ Senta mit sich und ihrer neuen Aufgabe etwas ratlos zurück. „So eine Scheiße! Was habe ich mir da nur wieder eingebrockt? Vom Regen in die Traufe, so kann es doch einfach nicht weitergehen. Ich will doch nur meine Ruhe haben und in Frieden leben, aber dafür bin ich wohl in der falschen Organisation“, kam ihr in den Sinn und so zog sie sich in den Gauditingraum zurück, wo sie sich noch einmal alles durch den Kopf gehen ließ. Sie hätte so gerne Schluß gemacht mit ihrer Karriere bei Weintolligy, aber nun hatte man ihr wieder einen Auftrag gegeben und da sie eine ziemlich pflichtbewußte Frau war, dachte sie überhaupt nicht mehr daran, alles hinzuschmeißen, sondern versuchte stattdessen, sich mental auf ihre neue Mission einzustellen. Schüler konnte man irgendwie leichter überzeugen, andererseits gab es bei denen ja meistens Eltern, die ziemlich anstrengend sein konnten. Arbeitslose dagegen waren vielleicht nicht so leicht zu knacken, aber dafür ohne Erziehungsberechtigte, welche alles wieder rückgängig machen konnten. Senta versuchte, sich in einen arbeitslosen Menschen hineinzuversetzen, schließlich mußte man die Leute dort abholen, wo sie waren und konnte nicht davon ausgehen, daß es sich bei ihnen um intellektuelle Überflieger handelte. Ausnahmen bestätigten zweifellos die Regel, jedoch stellte sich die Frage, ob Arbeitslose wirklich das passende Zielobjekt für die Sekte waren, denn viel zu holen gab es bei denen meist nicht. Andererseits brauchte man eben auch fleißige Arbeitsbienen, welche die Arbeiten verrichteten, welche man den Kooperierenden Titanen und der ganzen restlichen Elite einfach nicht zumuten konnte. Es ging also wieder einmal darum, Menschen einzufangen und für die eigene Sache zu begeistern. Stellte sich nur die Frage, ob Senta selbst noch überzeugt davon war oder nicht.

      „Du kannst mich ja mal zurückrufen.“ „Wieso sollte ich das tun? Ich kenne Sie doch überhaupt nicht.“ „Ach, Entschuldigung, da habe ich Sie wohl mit jemandem verwechselt.“ „Das glaube ich nicht. Sie haben mich absichtlich angesprochen, weil Sie mich verwirren wollen.“ „Nein, das ist nicht wahr! Ich habe tatsächlich geglaubt, ich würde Sie kennen. Wie dem auch sei, wenn wir jetzt schon mal miteinander ins Gespräch gekommen sind, dann möchte ich doch die Gelegenheit nutzen,


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