Streiten verbindet. Rudolf Hopmann

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Streiten verbindet - Rudolf Hopmann


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      Als erste Dimension, in der sich Konflikte entwickeln, sei die sachlich–intellektuelle Dimension genannt. Hierunter fallen Konflikte über die Ziele, die wir verfolgen, Konflikte über die Mittel, die wir zum Erreichen der Ziele einsetzen wollen, und Konflikte über Fakten, über die wir Bescheid zu wissen glauben. Letzteres ist ein besonders gewichtiger Konfliktherd, dem wir unsere volle Aufmerksamkeit schenken sollten, denn viele sogenannte Meinungskonflikte haben in der Unkenntnis von Fakten ihre Ursache.

      Oft glauben wir, irgend etwas beurteilen zu können, und wissen nicht, ob wir dabei von unserer Intuition, von einer Meinung oder von prüfbaren Fakten geleitet werden. Auch psychologisches Räsonieren kann Ursache von Konflikten dieser Ebene werden, da hier vom Effektiven, vom Sachlichem abgelenkt wird. Ignoriert jemand bewußt irgendwelche Fakten oder leugnet sie gar (obwohl sie ihm bekannt sind), wird in übler Weise ein Konflikt evoziert, dem man kaum beikommen kann. Dazu gehören auch Verdrehungen von Fakten, ein beliebtes Mittel in der Politik: Georg W. Bush ließ (möglicherweise manipulierte) Fotografien der Öffentlichkeit präsentieren und brach den Irak-Krieg vom Zaun.

      Eine Quelle dieser Art Konflikte ist auch, wenn Geschehenes zu Unabwendbarem für Zukünftiges gemacht wird (Verdrehen der Zeitachse). Liegen dem Urteil oder der Aussage die richtigen und unbestreitbaren wie auch unbestrittenen Fakten zugrunde, ist mit Konflikten nicht von vornherein zu rechnen. Die durch falsche Meinungen oder durch mangelnde oder fehlende Faktenkenntnisse hervorgerufenen Konflikte lassen sich jedoch durch Lernen ziemlich leicht vermeiden bzw. beheben (siehe unten).

      Bild 12Abbildung : Konfliktherde

      Es spielt eine große Rolle, ob einer Auseinandersetzung Meinungen oder Fakten zugrunde liegen. Da auf dieser sachlich-intellektuellen Ebene der Verstand eingebunden ist, sollten sich solche Konflikte noch am ehesten lösen lassen. Schon an dieser Stelle sei daher darauf hingewiesen, daß Informationen, die für Entscheide über Ziele und Mittel nötig oder vorteilhaft sind und Wissen vermehren, in entscheidender Weise dazu beitragen, Konflikte zu entschärfen oder gar zu vermeiden. Informationen einholen und zu verarbeiten, bedeutet nämlich lernen. Man sollte diese Konflikte sorgfältig unterscheiden von jenen Konflikten, die auf Grundüberzeugungen oder Traditionen, auf religiösen oder bestimmten anderen Weltanschauungen beruhen, die in die weiter unten beschriebene Kategorie der wertmäßig-kulturellen Dimension gehören.

      Trotz allem gibt es in der sachlich-intellektuellen Dimension eine Grauzone zwischen Fakten und Meinungen, insbesondere wenn es darum geht, etwas beurteilen zu müssen. Täglich begegnen wir Menschen, über die wir uns ein Bild machen müssen. Es ist völlig richtig, sich vom ersten Eindruck, der von der Intuition bestimmt ist, leiten zu lassen. Bei Menschen, mit denen wir länger zusammen sind, müssen und sollen wir uns aber ein genaueres Urteil bilden. Man sagt, man habe eine Meinung über diesen oder jenen Menschen.

      Diese Meinung sei uns unbenommen, wenn sie unsere persönliche Meinung ist und bleibt. Aber wenn wir einem Mitarbeiter ein Zeugnis ausstellen sollen, können wir uns nicht einfach einreden, wir wüßten über den Betreffenden Bescheid, und legen dann mit dem Urteilen los, wie es uns in den Sinn kommt. Nein, wir müssen uns prüfen, ob wir nicht nur unvoreingenommen auf Grund von und in Kenntnis aller relevanten, belegbaren und nüchtern beurteilten bzw. beurteilbaren Tatsachen, sondern auch frei von Sozioemotionen jeder Art das tun. Eine Beurteilung, erst recht eine schriftliche, ist etwas Anderes als eine persönliche Meinung. Zeugnisse haben wahrhaft und objektiv zu sein. Sie haben aber vielfach eine eigene Sprache: Die eigentliche Beurteilung steht oft zwischen Zeilen!

      Trefflich streiten läßt sich dagegen darüber, welches Ziel gesteckt und/oder erreicht werden kann oder soll, und welche Mittel zum Erreichen eines Zieles eingesetzt werden sollen. Am Beispiel der Josefsgeschichte wird weiter unten gezeigt werden, wie ein Zielkonflikt entsteht, welche Möglichkeiten bestehen, ihn zu lösen oder zu vermeiden, und wie er mit den anderen Konflikten, insbesondere der sozioemotionellen Dimension verwoben ist. Das Wissen um die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ist wiederum eine gute Basis, Konflikten auszuweichen.

       Die sozioemotionelle Dimension

      Die sozioemotionelle Dimension beschreibt sodann unser konfliktträchtiges Verhältnis zu anderen Menschen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Solange unsere Verhältnisse zu anderen Menschen eitel Wonne und Einvernehmen sind, kann selbstredend kaum ein Konflikt entstehen. Jederzeit kann aber das Verhältnis getrübt werden bis zu dem Punkt, an dem das Zusammenleben erschwert wenn nicht gar unmöglich ist. Ständig kommt es dann zu Reibereien und zu schweren Konflikten, vielleicht auch zum Zerwürfnis.

      Ähnliches gilt, wenn das Vertrauen zwischen zwei Menschen beschädigt ist, oder wenn die Zuneigung negativ geprägt ist: Wir empfinden das Zusammenleben oder die Zusammenarbeit als schwierig, das Vertrauen ist herabgesetzt und unsere Verhältnis zum Anderen ist im günstigsten Fall von neutraler Höflichkeit, im ungünstigen Fall von Hass und oft, ohne daß wir es merken oder wahr haben wollen, von Eifersucht oder Neid geprägt. Wenn neutrale Höflichkeit, Hass und Eifersucht und nicht Empathie das zwischenmenschliche Verhältnis beherrschen, braucht es oft nur den kleinsten Auslöser, um einen möglicherweise heftigen Streit zu provozieren. Die Gefahr ist groß, daß solche Streitereien zu mit Gewalt gefüllten Konflikten ausarten.

      Mit vielen Menschen des Außenfeldes müssen wir zusammenarbeiten, sind auf sie auf die eine oder andere Weise angewiesen, ob wir sie mögen oder nicht. Meist gelingt es uns, mit ihnen gut auszukommen, manchmal begegnen sie uns oder wir ihnen mit distanzierter Höflichkeit. Sympathie oder Antipathie bestimmen immer das zwischenmenschliche Verhältnis. Gelegentlich, es ist unvermeidlich, finden wir einen Menschen völlig unsympathisch. Bei genügender Frustrationstoleranz kommen wir mit ihm aber noch zu Rande. Die Frustrationstoleranz ist jene (persönlichkeitsgebundene) Gemütsverfassung, die eine (psychische) Verletzung oder ein Leid bis zu einem gewissen Grad, der Frustationstoleranzschwelle, ertragen läßt.

      Wenn es ein Vorgesetzter ist, ist die Sache schon anders: Es wäre besser, man könnte und würde sich aus dem Weg gehen. Hierher gehören auch das Bossen und Mobben sowie die Intrige, alles zwischenmenschliche Variationen, die die Atmosphäre vergiften. Es ist einerlei, ob derlei bewußt oder unbewußt geschieht. Mit Bossen bezeichnet man das Schikanieren eines Untergebenen durch den Vorgesetzten, mit Mobben das Schikanieren unter Kollegen und Kolleginnen (siehe hierzu die Ausführungen unter „Bossen und Mobben“).

      Spezielle Gesichtspunkte des zwischenmenschlichen Verhältnisses kommen beispielsweise bei Gerichtsverfahren zum Tragen, wenn der Verteidiger einen Befangenheitsantrag stellt in der Meinung oder im Wissen, der oder die Richter/In sei voreingenommen, das heißt, er unterstellt dem oder der Richter/In einen sozioemotionellen Konflikt gründend auf positiver oder negativer Zuneigung. Diese werden insbesondere dann unterstellt, wenn er oder sie vorgängig in der Öffentlichkeit oder in den Medien irgendeine Äußerung, insbesondere eine negative, in Bezug auf den Angeklagten tat. Entsprechend könnte der Staatsanwalt verfahren, wenn er eine positive Zuneigung vermutet (was allerdings seltener vorkommt). Dagegen wird ein Schüler schwerlich einen Lehrer für befangen erklären und ein Zeugnis ablehnen können, wenn er eine negative Sozioemotion feststellt. Dies ist ein erstes Beispiel, wo sich ein Konfliktherd der sachlich-intellektuellen Dimension mit einem der sozioemotionellen Dimension mischt und nicht mehr abgrenzen läßt. Auch übermäßige positive Zuneigung kann zu Konflikten schwerster Art führen, wie die Josefsgeschichte zeigt.

      Sie kennen vielleicht die alttestamentliche Josefsgeschichte: Josef war der Lieblingssohn des Jakob und erfuhr eine sehr starke Bevorzugung gegenüber seinen (elf) Brüdern bis zu dem Punkt, daß er nicht einmal arbeiten brauchte; wahrlich, für die damalige Zeit ein außerordentliches Privileg. Das schürte der Brüder Eifersucht und Haß auf Josef. Sie beschlossen, ihm bei günstiger Gelegenheit das Leben zu nehmen. Ruben, der Älteste, vermochte sie aber von dieser Blutschande abzuhalten, so daß sie Josef in eine Zisterne warfen. Als Ruben einmal weggegangen war, verkauften die anderen Brüder Josef an eine vorbeikommende Karawane. So gelangte Josef schließlich nach Ägypten.

      Vordergründig handelt es sich um einen Intragruppenkonflikt der sozioemotionellen Dimension zwischen den Brüdern. Wie hätte aber der


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