Das zweite Gleis. Helmut Lauschke
Читать онлайн книгу.Unser Leben war die Überwindung des Bösen. [Wilhelm Thews am 8. Februar 1943 als Mitglied des Widerstands im Alter von 32 Jahren hingerichtret]
Lehre das Wort dann, wenn du es selber lebst!
Aus den Abschiedsbriefen*, die kurz vor dem gewaltsam erlittenen Tod geschrieben wurden. Die Vermächtnisse kommen von Männern und Frauen, die die deutsche Katastrophe vorausgesehen undsich gegen das unmenschliche System aufgelehnt hatten und dafür oft in noch jungen Jahren hingerichtet wurden. Sie alle gaben ihr Leben für ein besseres Deutschland.
* Gollwitzer/Kuhn/Schneider: “Du hast mich heimgesucht bei Nacht – Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933-1945”. Gütersloher Taschenbücher/Siebenstern 9, 1985 _____________________________________________________________________________________________
Paul Schneider (29. August 1897 – 18. Juli 1939 – Der Prediger von Buchenwald). Aus dem Brief vom 7. November 1937 an seine Frau Margarete: “Die Bekennende Kirche, die es wahrhaft ist, ist der Baum mit den Knospen; [Verweis auf den Kastanienbaum mit den kahlen schwarzen Zweigen und den braunen kleinen Knospen] die heimlichen Gemeinden in den Gemeinden sind die Knospen der Kirche. Da, wo man bereit ist, auf Pfarrstellen zu gehen, die keine >Pfarrstellen< mehr sind, die auch ohne gesicherte >staatsfreie Position< bestehen, weil eine solche >Position< kein Glaubensposten mehr wäre, da, wo alle kirchenpolitischen Erwägungen und Überlegungen aufhören, da sieht schon jetzt das geistige Auge die kommende Kirche und ihren Frühling.
Die Welt freilich und der ungeistliche Kirchenmann sehen den kahlen Baum seiner Kulturbedeutung, seiner Öffentlichkeitsbedeutung beraubt und urteilen, dass es bald aus mit ihm sei und er nur noch zu Brennholz tauge, wenn ihm die Anerkennung der Welt und des Staates versagt bleibt. Sie retten sich in das Schlinggewächs der falschen Kirche und Staatsreligion, das sich an dem in Wahrheit gerichtsreifen Baum dieser gottlosen, selbstherrlichen und selbstsicheren Welt üppig emporrankt, um dann mit dem Baum dieser vergehenden Welt zu stürzen und verbrannt zu werden. Nur in dem Glauben, der die unverwüstliche Kraft ihres Lebens und Knospens ist, ist wahre Freiheit und Freude.”
Der Mithäftling, Notar Alfred Leikam, schrieb im Rückblick: “Die größte Anfechtung im Lager war für mich, dem alle Vorstellung übersteigenden Unrecht, das die dortigen Menschen getroffen hat, wort-und tatenlos gegenüberzustehen bzw. zwangsläufig mitzumachen, um dadurch selbst an diesen Menschen schuldig zu werden. Es gibt meines Wissens in Deutschland nur einen Menschen, der dieser Schuld nicht teilhaftig wurde. Das ist Pfarrer Paul Schneider, der sich in Wort und Tat auch gegen das Unrecht im Lager wandte und deswegen zu Tode gemartert wurde.”
Bernhard Lichtenberg (3. Dezember 1875 – 5. November 1943 – Domprobst von St. Hedwig zu Berlin): Zur Kanzelvermeldung in allen Kirchen der Diözese (Oktober 1941): “In Berliner Häusern wird ein Hetzblatt gegen die Juden verbreitet. Darin wird behauptet, dass jeder Deutsche, der aus angeblicher falscher Sentimentalität die Juden irgendwie unterstützt, und sei es auch nur durch ein freundliches Entgegenkommen, Verrat an seinem Volke übt. Lasst euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren, sondern handelt nach dem strengen Gebot Jesu Christi: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst<.”
Aus dem Brief vom 27. September 1943 an die Ehrwürdige Schwester Oberin: “Gefangenenbuch-Nr.717/Strafgefängnis Tegel in Berlin. […] Es ist mein fester Entschluss, die Exerzitienvorsätze mit Gottes Hilfe zur Ausführung zu bringen, die ich vor Ihm nach den dreißigtägigen Exerzitien gefasst habe, nämlich: ich will alles, was mir widerfährt, Freudiges und Schmerzliches, Erhebendes und Niederdrückendes, im Lichte der Ewigkeit ansehen, ich will meine Seele besitzen in meiner Geduld, in keinem Worte und in keinem Werk sündigen und alles aus Liebe tun und alles aus Liebe leiden.“
Ewald von Kleist-Schmenzin (22. März 1889 – 15. April 1945), Herr des Gutes Schmenzin in Pommern. In einer Audienz bei Hindenburg [1847-1934] warnte er den greisen Reichspräsidenten. Dieser gab ihm recht, stimmte aber 6 Wochen später der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zu. Darauf zog sich v. Kleist mit den Worten: ‘Es gibt keine Hoffnung mehr auf Abwendung der Katastrophe’ aus der Politik zurück. In seinem Landkreis beschaffte er Zufluchtsstätten für die Verfolgten. Am 30. Juni 1934 entging er den Feinden durch Flucht aus Pommern. Am Tag nach dem Attentat auf Hitler wurde das Herrenhaus Schmenzin umstellt und von Kleist von der Gestapo verhaftet, die ihn erst nach Stettin und dann nach Berlin brachte.
Aus dem Brief vom 6. Oktober 1944 an seine Frau Alice: “Die Stimmung hat oft geschwankt zwischen Hoffnung und trübsten Erwartungen, meistens nicht bestimmt durch verstandesmäßige Überlegungen, oft durch ziemlich unbedeutende Dinge. In Stettin hofften wir Leidensgenossen auf unsere baldige Entlassung; diese Stimmung war stark genährt durch die Äußerungen der dortigen Gestapo. In einem Punkt ist aber meine Stimmung bis heute ganz gleichmäßig, ruhig und fest geblieben: ich habe mich bedingungslos in Gottes Willen ergeben. […] Geholfen hat, dass ich nicht der Versuchung nachgegeben habe, mir selber leid zu tun. Ich habe auch die wehmütigen und sehr sehnsüchtigen Gedanken an meine Lieben und an Schmenzin kurzgehalten.“
Aus dem Brief vom 2. Dezember 1944 an seine Frau: “Gestern habe ich Haftbefehl wegen Hochverrats erhalten. […] Der Wert eines Volkes wird allein dadurch bestimmt, wie weit es auf Gott gerichtet ist. Es kann ein nichtchristliches Volk Gott näher stehen als ein christliches. Die heutigen christlichen Völker stehen Gott sehr fern. Aber es kommt in der Welt eine andere, bessere Zeit.”
Aus dem Brief vom 12. Januar 1945 an seine Frau: “Heute hat mir der Rechtsanwalt gesagt, voraussichtlich würde in etwa 14 Tagen gegen mich verhandelt. Die Todesstrafe wäre völlig sicher. Ich war darauf gefasst, aber ich wundere mich doch, einen wie geringen Eindruck diese Mitteilung auf mich gemacht hat. Es liegt wohl daran, dass mich nur noch die Liebe zu Dir, den Kindern und Mama mit der Erde verbindet. Sonst glaube ich, hat sich meine Seele von dem Irdischen weitgehendst frei gemacht. […] Es geht zum Vater. Es ist eigenartig, dass ich mich dabei noch über Essen, Rauchen und ein Buch harmlos freuen kann.”
Franz Reinisch (1. Februar 1903 – 21. August 1942) Priester. Am 3. November 1928 Eintritt bei den Pallottinern. Am 7. Juli 1942 wegen Verweigerung des Fahneneides von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und am 21. August 1942 in Brandenburg-Görden enthauptet.
In der Begründung seiner Verweigerung des Fahneneides führte er aus: “Die gegenwärtige Regierung ist keine gottgewollte Autorität, sondern eine nihilistische Regierung, die ihre Macht errungen hat durch Gewalt, Lug und Trug. […] Das NS-Prinzip >Gewalt geht vor Recht< zwingt mich in die Notwehrstellung. Es gibt daher für mich keinen Eid der Treue auf eine solche Regierung.”
Aus dem Abschiedsbrief an die Eltern vom 14. April 1942: “Mein Segen gelte auch meinen lieben Geschwistern und ihren Nachkommen und meiner ganzen Heimat Tirol!”
Kaj Munk (dänischer Dichter und Pfarrer). Er wurde wegen seines Widerstandes gegen das NS-Regime in den ersten Tagen des Jahres 1944 erschossen.
Aus seinen Predigten: “Es gibt Leute, die sich einbilden, dass man die Wahrheit sozusagen einsalzen könne. Man könne sie im Salzeimer versteckt liegen lassen, meinen sie, um sie herauszunehmen und ein Stück davon zu verwenden, wenn sich gelegentlich die Situation dafür eignet. Aber auch bei uns gibt es Leute, die den lebendigen Glauben haben, dass die Wahrheit da ist, um gesagt zu werden, und dass sie nur da ist, wenn sie gesagt wird. […] Aber eines Tages sehen sie ein, dass die Feigheit ihre Zungen nicht mehr binden darf, dass die Leiden, die durch Heuchelei, Schweigen und Lüge über das Volk kommen, tausendmal gefährlicher sind. Auch in unserem Land haben wir einen Herodes, der mit den fremden Göttern Unzucht treibt. Ich meine jenen Geist der Kompromisse, der um des Wohlbefindens willen nicht vor unwürdigen Handlungen zurückschreckt.”
An seine Landsleute im Gefängnis, weil sie für die Wahrheit eintraten: “Ihr habt Euch der Sache der Wahrheit angenommen, während einige das Lügen und andere das Schweigen vorzogen.