Das zweite Gleis. Helmut Lauschke

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Das zweite Gleis - Helmut Lauschke


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überirdischen Rausch, das andere sich wälzend in einem stark erdgebundenen, leidenschaftslosen Kampf. […] Als die Seele wieder zum Körper zurückkam, war es, als hätte sich der Jubel der ganzen Welt hier versammelt. […], als der Rausch vorüber war, kam die Reaktion. Ich wurde gewahr, dass meine Hände zitterten, dass in mir etwas gespannt worden war, dass es war, als ob ein Element in den Tiefen des Herzens Kurzschluss bekommen hätte und sich nun schleunigst entlüde.”

      Aus dem Abschiedsbrief an die Mutter vom 4. April 1945: “Liebe Mutter! Ich bin zusammen mit Jörgen, Niels und Ludwig heute vor ein Kriegsgericht gestellt worden. Wir wurden zum Tode verurteilt. Ich weiß, dass Du eine starke Frau bist, und dass Du dies auf Dich nehmen wirst, aber, hörst Du, es ist nicht genug, dass Du es auf Dich nimmst. Du musst es auch verstehen. Ich bin nur ein kleines Ding, und meine Person wird sehr bald vergessen sein, aber die Idee, das Leben, die Inspiration, die mich erfüllten, werden weiterleben. Du wirst ihnen überall begegnen – in den Bäumen zur Frühlingszeit, in Menschen, die Deinen Weg kreuzen, in einem liebevollen kleinen Lächeln. Du wirst auf das stoßen, was an mir vielleicht einen Wert hatte. Du wirst es liebhaben, und Du wirst mich nicht vergessen. Ich werde dabei wachsen dürfen, groß und reif werden.“

      Ulrich von Hassell (12. November 1881 – 8. September 1944), Botschafter, außenpolitischer Denker der deutschen Widerstandsbewegung. Er drängte auf Taten: >Es ist unsere Pflicht, den Wagen nicht erst in den Abgrund rasen zu lassen, sondern sich noch vorher auf den Bock zu schwingen, obwohl keine Ehre dabei zu holen und nur noch wenig zu retten ist.< Am 28. Juli 1944 drang die Gestapo in Hassells Büro, der sie an seinem Schreibtisch empfing. Am 8. September 1944 wurde er hingerichtet.

      Abschiedsbrief vom 8. September 1944 aus Berlin-Plötzensee, Königsdamm 7, an seine Frau kurz vor der Hinrichtung geschrieben: “Mein geliebtes Ilselein! Heute vor 30 Jahren habe ich meine französische Kugel bekommen, die ich im Herzen bei mir trage. Heute ist auch das Urteil des Volksgerichtshofes gefällt worden. Wenn es, wie ich annehme, vollstreckt wird, so endet heute das über alle Maßen reiche Glück, das mir durch Dich geschenkt worden ist. Es war gewiss zu reich, um länger zu dauern! Ich bin in diesem Augenblick vor allem von tiefer Dankbarkeit erfüllt gegen Gott und gegen Dich. Du stehst neben mir und gibst mir Ruhe und Stärke. Dieser Gedanke übertönt den heißen Schmerz, Dich und die Kinder zu verlassen. […] Aber Du bist im Leben; das ist mein ganzer Trost in allen Sorgen um euch, auch den materiellen, und um die Zukunft der Kinder, dass Du stark und tapfer bist, ein Fels, aber ein lieber, süßer Fels für die Kinder. Sei immer so gut und gütig wie Du bist, verhärte Dich nicht. Gott segne Dich und segne Deutschland!”

      Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld (11. Dezember 1902 in Kopenhagen – 8. September 1944 Plötzensee), Gutsbesitzer, hingerichtet im Zusammenhang mit den Ereignissen des 20. Juli 1944.

      Aus dem Abschiedsbrief vom 8. September 1944 an seine Frau kurz vor der Hinwichtung: “Dass ich ungebeugt in den Tod gehe in dem festen Bewusstsein, nichts für mich und alles für unser Vaterland gewollt zu haben, das muss Dir immer Gewissheit bleiben und das musst Du den Söhnen immer wieder sagen. Du weißt, dass zu allen Zeiten mein Handeln auf Deutschland ausgerichtet war, nach der Tradition der Familie aus glühender Vaterlandsliebe, die alles andere überwog. Andere Zeiten werden andere Sitten und Anschauungen im einzelnen bringen, aber die Liebe zum Vaterland wird ewig der Bestandteil des Lebens bleiben, der alles andere beherrscht. […] Erziehe die Söhne zu christlichen Edelleuten ohne Engigkeit im Denken, aber auch ohne Laxheit. […] Sei tapfer und bewahre mir Deine Liebe bis an Dein Lebensende.

      Ich muss Schluss machen. […] Ich umarme Dich und die Jungens in Gedanken als Dein Dir unendlich dankbarer Ulrich-Wilhelm.”

      Aus dem Testament: “Ich bestimme ferner, dass an der Stelle im Kieslager meines Sartowitzer Forstes, wo die Ermordeten aus dem Spätherbst 1939 ruhen, sobald die Zeitumstände es erlauben, ein sehr hohes Holzkreuz aus Eiche gesetzt wird mit folgender Inschrift: Hier ruhen 1400-1500 Christen und Juden. Gott sei ihrer Seele und ihren Mördern gnädig.

      Justus Delbrück (25. November 1902 in Charlottenburg – 1945) Regierungsrat a.D., Fabrikant. Am 3. August 1944 wegen Beteiligung an der Verschwörung des 20. Juli verhaftet, von den Russen befreit, wieder verhaftet und in russischer Gefangenschaft gestorben.

      Aus dem Abschiedsbrief (ohne Datum) an seine Frau: “Wenn esaber Dein Wille ist, lieber Vater, mich wieder zu ihr zurückzuführen, so lass meine Seele erschüttert sein, dass sie nicht vergesse, Dir zu danken für jeden Tag, den Du mir schenkst. Lass die Anschauung des Todes wie einen Sturmwind das Feuer der Liebe anfachen, lass mich wissen, dass meine Liebe Deine Liebe ist.

      Ellen, meine Ellen, weißt Du noch, wie Du einmal sagtest, Du wollest meine Liebe spüren wie einen glühenden Schmerz? Ach, nun brenne ich – nun brenne unsere Liebe als eine ewige Flamme vor dem Angesicht Gottes.”

       Gottes Tisch in der Zelle – Lehrter Straße 3

      von Eberhard Bethge: “Eines Tages bittet einer (Lindemann) um das Heilige Abendmahl. Es hatte sich herumgesprochen, dass ich Geistlicher bin. Schon früher, als meine Zellentür noch nicht offenstand, hatte mir ein jüdischer Kalfaktor beim Essensempfang einen Kassiber zugesteckt. Einer, der das Todesurteil erwartete, bat um das Sakrament. Man suchte Anträge zu stellen; aber niemand wagte, eine Entscheidung zu treffen, oder der Bittzettel verschwand. Kurz, es gelang nicht. Nun aber ist der Bittende selber ein Kalfaktor. Es ist streng verboten, dass sich mehrere Häftlinge in einer Zelle aufhalten. Aber Kalfaktoren finden vielleicht einen hinreichenden Grund. Er ist Sozialdemokrat und hatte während der schrecklichen Verhörzeit dreimal in diesem Gebäude versucht, sich das Leben zu nehmen. Nun bittet er um die Kommunion und drängt, dass wir es wagen sollen.

      Doch, wie kommen wir zu Brot und Wein? Auf unserem Flur liegt als Gefangener der Pater Rösch. Auch er arbeitet an der Lösung dieser Frage wie wir. Ein treuer Wächter findet sich; der bringt ihm aus der Pfarrei in der Stadt die Oblaten. Wenn wir nachmittags zum Spaziergang auf den runden Hof geführt werden, überholt der Pater mit eiligen Schritten – das wird immer wieder verboten – die Reihe der Gehenden und spricht im Flüsterton schnell mit seinen Pfarrkindern, wer wohl das Sakrament begehrt. Dann bittet er uns, Kassiber zu vermitteln: die schriftliche Beichte. Und des Morgens, wenn er unbemerkt seine Messe gelesen hat, tragen wir die geweihte Hostie in die angegebene Zelle. Seine Gemeinde wächst und wächst. Es ist selbstverständlich, dass er mir von seinen Oblaten gibt, als sich unsere Abendmahlsgemeinde bildet.

      Auch zum Weine kommen wir. Ernst v. Harnack, zum Tode verurteilt, wird verlegt. >Verlegen< sagt man ihm und uns, die wir ihm die Sachen zusammensuchen helfen und heruntertragen. Man gibt sich Mühe, in der quälenden Stunde des Abschieds das zu glauben. Wie alle in dem ungleichen Kampf um das Leben hatte auch er die begehrlichen Wächter mit diesem und jenem, was seine Frau herantragen konnte, bestochen. Dadurch konnte er wohl manche vorübergehende Erleichterung erfahren, aber doch nichts verhindern. So findet sich bei ihm eine Flasche Wein, und ehe sich die Wache mit dem Besitz des Toten eine unwürdige Szene machen kann, nehme ich sie für meine und des Paters Zwecke. Sie wird uns lange dienen.

      Durch die allnächtlichen Fliegerangriffe kommt man sogar zu einigen Kerzen. Ein Holzkreuz ohne Ständer ist vorhanden. Die Bibel liegt auf dem numerierten, geflickten Handtuch, das als Altardecke dienen muss. Endlich ist der armselige, graue Tisch an der Zellenwand zum wahrhaftigen Tisch des Herrn geworden. Der leidende Gott vereinigt sich mit uns und unserem Leib, greifbar und gegenwärtig und tröstend.

      Alles muss schnell gehen. Wir hatten gefürchtet, die Angst vor Entdeckung würde alle Sammlung und den würdigen Empfang empfindlich stören. Doch das Gegenteil tritt ein. Die überlieferten Worte, die alte Handlung werden in dieser Wirklichkeit neu und voll Gewalt. Das war die erste Kommunion.

      Nun kommen die Tage, da die näherrückenden Fronten und die täglichen Angriffe die Anspannung in den Zellen furchtbar steigern. Exekutionen oder nicht? Befreiung oder Liquidierung? Die Wachen scheiden sich in solche, die es für richtig halten, schärfer gegen ihre Opfer vorzugehen, und solche, die


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