Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy

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Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi - Franz Gnacy


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ihnen nehmen kann.

      Niemand kann zweien Herren dienen: entweder wird er einen hassen und den andern lieben, oder er wird einem anhängen und den andern verachten. Man kann nicht Gott und dem Mammon dienen. (Matthäus VI,24)

      Man kann sich nicht gleichzeitig um sein Seelenheil und um weltliche Güter bemühen. Wer diese erwerben will, muss auf seine Seele verzichten; wer die Seele bewahren will – auf weltliche Güter. Sonst gerät man in Zwiespalt und erhält keins von beiden.

      Die Menschen wollen Freiheit erlangen, indem sie ihren Körper vor alledem bewahren, was ihm hinderlich sein kann. Das ist ein großer Fehler. Das, wodurch die Menschen ihr leibliches Dasein vor allen Beschränkungen bewahren: Reichtum, vornehmer Stand, Ansehen – gibt nicht die gewünschte Freiheit, sondern beschränkt noch mehr. Um Freiheit zu erlangen, bauen die Menschen aus Sünden, Verführung und Aberglauben ein Gefängnis und sperren sich selbst hinein.

      Unsere Aufgabe in diesem Leben ist eine zweifache. Einmal müssen wir die Seele in uns entwickeln; zweitens, Gottes Reich auf Erden begründen. Beides geschieht auf dieselbe Art: dadurch, dass wir das göttliche Licht in uns, in unsere Seele befreien.

      Der rechte Weg ist frei und gerade; wer ihn wandelt, stolpert nicht. Sobald du fühlst, dass deine Beine sich in Mühen und Sorgen verwickeln, bis du vom rechten Wege abgekommen.

       Was sind Sünden?

      Nach buddhistischer Lehre gibt es fünf Hauptgebote. Das erste lautet: Töte vorsätzlich kein lebendes Wesen. Zweitens: eigne dir nicht an, was ein anderer für sein Eigentum hält. Drittens: Sei keusch. Viertens: sag nicht die Unwahrheit. Fünftens: Berausch dich nicht durch Getränke, noch durch Rauchen. Als Sünden gelten deswegen bei den Buddhisten: Mord, Diebstahl, Unzucht, Trunkenheit, Lüge.

      Nach evangelischer Lehre gibt es nur zwei Gebote der Liebe. Als der „Schriftgelehrte“ Ihn versuchte und sprach: Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? Sagte Jesus zu ihm: Du sollst Gott deinen Herrn lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Das ist das vornehmste und größte Gebot; das zweite aber ist dem gleich: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Deswegen ist nach christlicher Lehre Sünde alles, was mit diesen beiden Geboten nicht übereinstimmt.

      Die Menschen werden nicht für ihre Sünden bestraft, sondern durch die Sünden selbst. Und das ist die schwerste und sicherste Strafe.

      Es kommt vor, dass ein Betrüger oder Beleidiger sein ganzes Leben in Reichtum und Ehren verbringt und ebenso stirbt. Das heißt aber durchaus nicht, dass er der Strafe für seine Sünden entgangen ist. Diese Strafe erfolgt nicht irgendwo im Jenseits, wo noch niemand war, und niemand sein wird – sondern sie erfolgt hier. Der Betreffende wird schon hier dadurch bestraft, dass er sich durch jede neue Sünde immer weiter vom wahren Glück, von der Liebe entfernt, und immer weniger seines Lebens froh wird. Gerade wie ein Trunkenbold (einerlei, ob die Menschen ihn wegen seiner Trunkenheit verachten, oder nicht) außer durch Kopfschmerzen und Kater sicher schon dadurch bestraft wird, dass je häufiger er trinkt, umso elender ihm körperlich und geistig zumute wird.

      Wenn jemand glaubt, sich in diesem Leben von Sünden befreien zu können, so irrt er sehr. Man kann mehr oder weniger sündig sein, aber niemals ganz sündlos sein, weil in der Befreiung von Sünden das ganze menschliche Leben besteht und nur in ihr das wahre Lebensglück liegt.

       Verführung und Aberglaube

      Die Aufgabe des Menschen in diesem Leben besteht darin, den Willen Gottes zu erfüllen. Gottes Wille ist, dass der Mensch die Liebe in sich vermehrt und sie zum Vorschein bringt. Was kann der Mensch aber tun, um die Liebe zum Vorschein zu bringen? Nur eins: alles beseitigen, was ihr im Wege ist. Was ist ihr aber im Wege? Sünden, die sie am erscheinen hindern.

      So muss der Mensch, um Gottes Willen zu erfüllen, nur eins tun: sich von Sünden befreien.

      Sündigen ist menschlich; Sünden rechtfertigen: teuflisch.

      Solange jemand keine Vernunft besitzt, lebt er wie ein Tier; ob es ihm gut geht oder schlecht, - er ist nicht schuld daran. Es kommt aber eine Zeit, wo der Mensch beurteilen lernt, was er tun muss und was nicht. Dann verwendet er, anstatt zu begreifen, dass seine Vernunft ihm zur Erkenntnis des Guten und Bösen gegeben ist, - diese oft darauf, das Schlecht, das ihm angenehm ist und an das er sich gewöhnt hat, zu rechtfertigen. Auf diese Weise entstehen Verführungen und Aberglaube, unter denen die Welt am meisten leidet.

      Schlimm, wenn jemand glaubt, er sei ohne Sünden und brauche nicht an sich zu arbeiten. Ebenso schlimm, wenn jemand glaubt, er sei in Sünden geboren, würde in Sünde sterben, und es hätte deswegen gar keinen Zweck an sich zu arbeiten. Beide Irrtümer sind verderblich.

      Schlimm, wenn jemand, der unter sündigen Menschen lebt, weder seine Sünden noch die anderer Leute wahrnimmt; noch schlimmer aber, wenn der Betreffende die Sünden anderer wahrnimmt, seine dagegen nicht.

      In der ersten Lebenszeit wächst im Menschen nur der Körper und man hält sich nur für einen Körper. Selbst wenn das Bewusstsein im Menschen erwacht, gibt er dennoch den Anforderungen des Körpers nach, die den seelischen zuwider laufen, fügt sich dadurch Schaden zu, irrt und sündigt. Je länger jemand aber lebt, um so lauter spricht die Stimme im Innern und umso weiter gehen leibliche und geistige Wünsche auseinander. Es kommt eine Zeit, wo der Körper alt und schwach wird und immer weniger verlangt; das geistige Ich aber immer mehr zunimmt. Dann erfinden Leute, die gewohnt sind, ihrem Körper zu dienen, um dem früheren Leben nicht entsagen zu müssen, Verführung und Aberglaube, die es ihnen ermöglichen, in Sünden zu leben. Wie sehr man sich aber auch bemüht, den Körper vor dem geistigen Ich zu schützen – dieses trägt stets den Sieg davon, wenn auch erst in den letzten Augenblicken des Lebens.

      Jeder Fehler, jede Sünde, die du begehst, umgarnen dich. Tust du sie zum ersten Mal, so umgarnen sie dich zart, wie Spinnweben. Wiederholst du die Sünden, so werden die Spinnweben zum Faden, dann zur Schnur. Hierauf bindet dich die Sünde, die du wiederholst, wie mit Stricken und schließlich wie mit Ketten.

      Zunächst ist die Sünde in deiner Seele fremd; denn ist sie Gast, und schließlich Herr im Hause.

      Ein Seelenzustand, in dem der Mensch sich des Bösen, das er tut, nicht bewusst wird, tritt dann ein, wenn man entweder sein Verhalten nicht vernünftig prüft, oder, noch schlimmer, wenn man die Vernunft dazu verwendet, seine Handlungen zu rechtfertigen, die der Verführung und dem Aberglauben entsprungen sind.

      Wer zum ersten Mal sündigt, fühlt stets seine Schuld; wer aber dieselbe Sünde häufig wiederholt, der unterliegt, besonders wenn seine Umgebung in derselben Weise sündigt, der Verführung und fühlt die Sünde nicht mehr.

      Junge Leute, die zu leben beginnen, betreten neue unbekannte Bahnen und finden rechts und links glatte, verlockende, amüsante Seitenwege. Man braucht sie nur zu betreten, so erscheint auf ihnen zunächst alles so amüsant und nett, dass man immer weiter geht. Will man dann aber auf den alten bekannten Weg zurück, so weiß man nicht mehr, wie man umkehren soll; geht immer weiter und gerät schließlich ins Verderben.

      Wenn jemand eine Sünde begangen hat und das begriffen hat, stehen ihm zwei Wege offen: der erste ist, seine Sünde eingestehen und darüber nachdenken, wie man eine Wiederholung vermeidet. Der zweite: seinem Gewissen nicht trauen, sich danach erkundigen, wie die Leute über die begangene Sünde denken, und wenn die sie nicht verurteilen, weiter sündigen, ohne sich etwas dabei zu denken.

      „Warum soll ich nicht dasselbe tun wie andere; sie machen’s ja alle so!“

      Sobald jemand auf diesem glatten abschüssigen Wege angelangt ist, bemerkt er nicht mehr, wie er sich vom Guten entfernt.

      Verführung und Aberglaube umgeben den Menschen auf allen Seiten. Der Lebensweg inmitten dieser Gefahren ist gerade so, wie ein Sumpf, in den man beständig versinkt und sich dann wieder herausarbeitet.

      „Es muss Ärgernis in die Welt kommen“, sagte Christus. Ich denke, der Sinn


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