Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy
Читать онлайн книгу.sondern durch die Liebe zu einander.
Damit die Menschen nicht einzeln, sondern zusammen leben, hat Gott ihnen nicht offenbart, was jeder für sich braucht, sondern nur, was alle für die Gesamtheit brauchen.
Damit die Menschen aber begreifen, Was sie alle für die Gesamtheit brauchen, ist Er in ihre Seele eingezogen und dort als Liebe erschienen.
Alles Unglück der Menschen rührt nicht von Misswachs, nicht von Feuer, nicht von Verbrechen her, sondern daher, dass alle für sich leben. Das tun sie aber, weil sie nicht an die Stimme der Liebe glauben, die in ihnen lebt und sie zur Einheit führt.
Solange jemand ein tierisches Dasein führt, kommt es ihm vor, als wenn er von allen anderen Menschen getrennt ist; das muss so sein, kann gar nicht anders sein. Sobald jemand aber geistig lebt, kommt es ihm sonderbar, unverständlich, ja schmerzlich vor, dass er von anderen Menschen getrennt ist und er trachtet nach der Vereinigung mit ihnen. Vereinigen kann aber nur die Liebe.
Jeder Mensch weiß, dass er nicht das tun muss, was ihn von anderen trennt, sondern, was ihn mit diesen vereint. Das weiß der Mensch nicht daher, weil es ihm von jemand befohlen ist, sondern, weil je mehr er sich mit anderen Menschen vereinigt, umso besser sein Leben wird, und umgekehrt: je schlechter sein Leben ist, umso mehr entzweit er sich mit anderen.
Das leben aller Menschen besteht nur darin, mit jedem Jahr, Monat, Tage immer besser zu werden. Je besser die Menschen werden, um so mehr vereinigen sie sich. Je mehr sie sich aber vereinigen, umso besser wird ihr Leben.
Je mehr ich jemand liebe, umso weniger fühle ich meine Trennung von ihm. Es kommt mir vor, als wenn er dasselbe ist, wie ich, und ich dasselbe wie er.
Wenn wir nur streng darauf achten, uns mit anderen in dem zusammenzutun, worin wir mit ihnen übereinstimmen, nicht aber von ihnen Zustimmung in Dingen zu verlangen, in denen sie nicht mit uns übereinstimmen, kommen wir Christus weit näher, als Leute, die sich Christen nennen, sich aber in Christi Namen von Andersgläubigen trennen, indem sie von ihnen Zustimmung zu dem verlangen, was sie selbst für wahr halten.
Liebet eure Feinde, so habt ihr keine Feinde.
Den Weg zur Einigung erkennt man ebenso leicht, wie den Brettersteig durch einen Sumpf. Sobald man von jenem Wege abkommt, versinkt man im Sumpf weltlicher Nichtigkeit, Zweitracht und Bosheit.
Die Liebe ist nur dann wahr, wenn sie sich auf alle erstreckt
Gott wollte uns glücklich sehen, deswegen pflanzte er uns das Glückverlangen ein; er wollte uns aber alle glücklich sehen, und nicht einzelne, darum gab er uns das Verlangen nach Liebe. Deswegen können die Menschen nur dann glücklich sein, wenn sie sich alle gegenseitig lieben.
Der römische Weise Seneca sagt, alles, was wir sähen, alles Lebende, sei ein Körper: Wir alle wären wie Hände, Füße, Magen, Knochen, Glieder dieses Körpers. Wir sind alle gleich geboren, wünschen uns alle gleichmäßig Gutes, wissen alle, dass es besser ist, wenn wir uns gegenseitig helfen, als wenn wir uns zugrunde richten, und uns allen ist ein und dieselbe Liebe eingepflanzt. Wir sind wie Steine derart einem Gewölbe eingefügt, dass wir sämtlich sofort fallen, wenn wir uns nicht gegenseitig stützen.
Jeder wünscht sich möglich viel Gutes; das größte gut in dieser Welt besteht aber darin, in Liebe und Eintracht mit allen Menschen zu leben. Wie soll man dieses Gut erlangen, wenn man fühlt, dass man die einen liebt, die anderen aber nicht liebt? Man muss lernen, die zu lieben, die man bislang nicht liebte. Die Menschen lernen die schwierigsten Künste: Lesen, Schreiben, alle möglichen Wissenschaften und Handwerke. Wenn nur jemand ebenso eifrig lieben lernte, wie er Wissenschaften und Handwerk lernt, würde er bald und leicht alle Menschen lieben lernen, sogar die unangenehmen.
Sobald du begriffen hast, worin die Hauptaufgabe des Lebens besteht: nämlich in der Liebe, so wirst im Verkehr mit anderen nicht mehr daran denken, worin dir dieser oder jener nützlich sein kann, sondern daran, wie du ihm nützlich sein kannst. Sobald du das tust, hast du in allen Dingen mehr Erfolg, als wenn du dich um dich selbst bemühst.
Wenn wir lieben, der uns gefällt, der uns lobt und uns Gutes tut, so lieben wir ihn nur unserer selbst willen, damit es uns gut geht. Richtige Liebe ist aber die, wenn wir nicht um unserer selbst willen lieben, nicht uns Gutes wünschen, sondern denen, die wir lieben, und sie nicht deswegen lieben, weil sie uns angenehm oder nützlich sind, sondern weil wir in jedem Menschen denselben Geist erkennen, der in uns lebt. Nur wenn wir so lieben, können wir, wie Christus gebot, nicht nur unsere Freude lieben, sondern, die uns hassen, unsere Feinde.
Man muss jeden Menschen verehren, mag er noch so kläglich und lächerlich sein. Man muss bedenken, dass in jedem Menschen derselbe Geist lebt, wie in uns. Selbst wenn jemand an Leib und Seele abscheulich ist, muss man denken: es muss auch solche Käuze geben, man muss sie ertragen. Wenn wir solchen Leuten unseren Abscheu zeigen, sind wir erstens ungerecht und fordern sie zweitens zum Kampf auf Tod und Leben heraus.
Wie jemand auch beschaffen ist, er kann sich nicht umarbeiten. Was bleibt ihm anders übrig, als uns wie seinen Todfeind zu bekämpfen, sobald wir ihm unsere Feindschaft zeigen. Wie ist denn die Sache: wir wollen gut gegen ihn sein, wenn er sein Wesen ändert; das kann er aber nicht. Deswegen muss man gegen alle Menschen ohne Ausnahme gut sein und nichts Unmögliches von ihnen verlangen, nicht fordern, dass sie ihr Ich aufgeben.
Bemüh dich, den zu lieben, den du bislang nicht liebtest, den zu rechtfertigen, der dich kränkte. Wenn dir das gelingt, hast du eine neue frohe Empfindung. Wie helles Licht nach der Dunkelheit leuchtet, so leuchtet das von Hass befreite Licht der Liebe heller und fröhlicher in dir.
Der beste Mensch ist der, der alle liebt und allen Gutes tut, einerlei, ob sie gut oder schlecht sind.
Wie kommt es, dass Zwietracht und noch mehr Hass uns so schwer auf die Seele fällt? Daher, weil wir fühlen, dass das, was uns zum Menschen macht, in allen dasselbe ist. Wenn wir andere nicht lieben, entzweien wir uns mit Dem, was in allen dasselbe ist, entzweien uns mit uns selbst.
„Mir ist schwer und traurig allein.“ Ja, wer hat dich denn geheißen alle anderen Menschen zu meiden und dich in das Gefängnis deines traurigen, unbedeutenden Ich einzusperren?
Handle so, dass du jedem sagen kannst: handle ebenso wie ich.
Solange ich den nicht sehe, der das wichtigste Gebot Christi, die Liebe zu den Feinden nicht befolgt, glaube ich nicht daran, dass diejenigen, die sich Christen nennen, es wirklich sind.
Wahrhaft lieben kann man nur die Seele
Der Mensch liebt sich. Wenn er aber nur seinen Körper liebt, irrt er, und aus der Liebe entspringen Leiden. Die Liebe zu sich ist nur dann gut wenn jemand seine Seele liebt. Die ist ein und dieselbe in allen Menschen. Wenn also jemand seine Seele liebt, wird er auch die Seele anderer Menschen lieben.
Alle Menschen wollen nur eins und trachten nur nach einem: ein gutes Leben führen. Deswegen haben von den ältesten Zeiten die Heiligen und Weisen überall und stets daran gedacht und die Menschen unterrichtet, wie sie leben müssen, um ein gutes und nicht ein schlechtes Leben zu führen. Und all diese Weisen und Heiligen haben an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten die Menschen stets ein und dasselbe gelehrt.
Diese Lehre ist kurz und einfach.
Sie besteht darin, dass alle Menschen durch denselben Geist leben, dass alle eins, aber alle in diesem Leben durch ihren Körper getrennt sind; und dass sie deswegen infolge der Erkenntnis, dass in allen ein und derselbe Geist lebt, sich in Liebe miteinander vereinigen müssen. Wenn die Menschen das nicht verstehen, sondern nur mit ihrem Körper zu leben glauben, so verfeinden sie sich und werden unglücklich.
Deswegen besteht die ganze Lehre darin, dasjenige zu tun, was die Menschen vereint und das zu meiden, was sie trennt. Dieser Lehre wird man leicht glauben, weil sie jedem ins Herz geschrieben ist.
Wenn jemand nur im Körper lebt, ist es, als wenn er sich selbst ins Gefängnis sperrt. Nur ein Leben für