Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy
Читать онлайн книгу.kenne lernt, muss man sich selbst kennen.
Wenn ich an Gottes Feuer zu brennen anfange, drückt Gott mir seinen Stempel auf.
Die Seele ist Glas; Gott: das Licht, das hindurch scheint.
Ich muss nicht glauben, dass ich lebe. Nicht ich lebe, sondern das geistige Wesen in mir. Ich bin nur die Öffnung, durch welche dieses Wesen erscheint.
Nur ich und Du sind. Wenn wir beide nicht wären, wäre nichts in der Welt.
Gott kenne ich nicht dann, wenn ich glaube, was mir andere von Ihm sagen, sondern wenn ich Ihn so kenne, wie meine Seele.
Ich bin für Gott – ein zweites Ich. Er findet in mir, was Ihm ewig gleicht.
Der Mensch hört gleichsam stets eine Stimme hinter sich, kann aber den Kopf nicht umdrehen und nicht sehen, wer da spricht. Diese Stimme spricht in allen Sprachen, lenkt alle Menschen – aber noch nie hat jemand Den gesehen, Der spricht. Wenn der Mensch dieser Stimme gehorcht, sie so in sich aufnimmt, dass er sich sogar in Gedanken nicht von ihr trennt, so fühlt er, dass diese Stimme und er ein und dasselbe sind. Und je mehr der Mensch diese Stimme für sein Ich hält, umso besser ist ihm. Die Stimme offenbart ihm die Seligkeit, weil sie die Stimme Gottes im Menschen ist.
Gott wünscht allen Gutes. Wenn du also allen Gutes wünscht, d.h. wenn du liebst, lebt in dir Gott.
Mensch, bleibt nicht Mensch. Werd’ Gott – nur dann machst du aus dir, was du musst.
Man sagt: seine Seele retten. Retten kann man nur, was zugrunde gehen kann. Die Seele kann nicht zugrunde gehen, weil sie allein ist. Nicht retten muss man eine Seele, sondern sie von dem reinigen, was sie verfinstert, beschmutzt; muss sie mehr und mehr aufklären, damit Gott besser hindurch scheint.
Man sagt: „Hast du den Gott vergessen?“ Das ist ein gutes Wort. Gott vergessen heißt Den vergessen, Der in uns lebt und durch Den wir leben.
Wie ich Gott brauche, braucht er mich.
Wenn du schwach wirst, und dir schwer wird, denk daran, dass du eine Seele hast, durch die du sehen kannst. Wir denken stattdessen, ebensolche Leute wie wir könnten uns helfen.
Jede Schwierigkeit wird sofort überwunden, sobald man sich erinnert, dass man kein körperliches, sondern ein geistiges Leben führt; dass in einem etwas lebt, was stärker ist, als alles in der Welt.
Wer mit Gott eins ist, kann Ihn nicht fürchten. Gott kann Sich Selbst nicht Böses tun.
Der Mensch kann sich jede Minute fragen: was bin ich, was tue, denke, fühle ich jetzt; und kann darauf antworten: ich tue, denke, fühle jetzt das und das. Wenn man sich aber fragt: was ist dasjenige, das in mir erkennt, was ich tue, denke, fühle? So kann man darauf nichts anders antworten, als: das ist das Selbstbewusstsein, die Selbsterkenntnis. Eben diese Selbsterkenntnis ist dasjenige, was wir „Seele“ nennen.
Die Fische im Fluss hörten einst, wie die Menschen sagten: Fische könnten nur im Wasser leben. Da wunderten sich die Fische und fragten Bekannte und Verwandte, ob nicht jemand wüsste, was Wasser wäre? Da meinte ein kluge Fisch: Im Meer soll ein alter, weiser Fisch leben, der alles weiß; wollen zu ihm schwimmen und fragen, was Wasser ist. Da schwammen die Fische ins Meer nach dem Ort, wo der alte weise Fisch wohnte und fragten ihn, was Wasser wäre? Da antwortete der alte, weise Fisch: Wasser ist das, worin und wodurch wir leben. Ihr kennt das Wasser deswegen nicht, weil ihr in ihm und durch das Wasser lebt.
So kommt es auch den Menschen oft vor, als ob sie nicht wüssten, was Gott ist. Dabei leben sie aber in Ihm.
Das Leben des Menschen liegt nicht im Körper, sondern in der Seele, und nicht im Körper und in der Seele, sondern nur in der Seele
„Der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von Ihm gehört habe, sage ich der Welt.“
Sie verstanden nicht, dass er ihnen vom Vater sprach.
Da sprach Jesus zu ihnen: „Wenn ihr den Menschensohn erhöhet, werdet ihr erkennen, dass Ich es bin und dass Ich nichts von Mir aus tue, sondern so rede, wie Mein Vater Mich gelehrt hat.“
Den Menschensohn erhöhen, heißt den Geist erkennen, der in uns lebt und ihn höher stellen, als den Körper.
Seele und Körper schreibt der Mensch sich zu und ist unablässig um sie bemühet: Man muss aber wissen, dass das wirkliche Ich nicht der Körper, sondern die Seele ist. Denk daran, erhebt deine Seele über den Leib, behüte sie vor allem Schmutz des Lebens, lass den Leib sie nicht unterdrücken – dann verbringst du dein Leben gut.
Es heißt, man müsse sich selbst nicht lieben. Ohne Liebe zu sich selbst gäbe es aber kein Leben. Es kommt darauf an, was man an sich liebt: seine Seele, oder seinen Körper.
Es gibt keinen Körper, der so gesund und kräftig ist, dass er niemals erkrankt; keinen Reichtum, der nicht einmal ein Ende nimmt; keine Macht, die nicht einmal aufhört. Alles das ist vergänglich. Wenn jemand sein Leben an Gesundheit, Reichtum, Macht setzt, so wird er sogar nach Erreichung seines Zieles stets von Unruhe, Furcht und Sorgen gequält, weil ihm die Erkenntnis nicht erspart bleibt, dass alles, woran er sein Leben gehängt, schwindet, dass er selbst altert und sich dem Tode nähert.
Was muss man also tun, um der Unruhe und Furcht zu entgehen? Es gibt nur ein Mittel: Man muss das Leben nicht an vergängliche Dinge hängen, sondern an unvergängliche, an den Geist, der im Menschen lebt.
Tu was dein Körper wünscht: trachte nach Ruhm, Ehre, Reichtum – so wird dein Leben zur Hölle. Tu, was der Geist in dir verlangt: trachte nach Frieden, Barmherzigkeit, Liebe – so brauchst du kein Paradies. Das Paradies liegt in dir.
Es gibt Pflichten gegen den Nächsten und solche gegen sich selbst, gegen den Gott, der in uns lebt: diese Pflicht besteht darin, den Geist nicht zu beschimpfen, noch zu ersticken, sondern ihn unaufhörlich zu entwickeln.
Bei weltlichen Dingen weiß man nie sicher, ob man dies oder jenes tun muss, und ob die gewünschten Folgen daraus entspringen. Anders bei geistigen Dingen. Lebt man für seine Seele, so weiß man sicher, dass man eben das tun muss, was die Seele verlangt, und dass nur gutes daraus entspringt.
Sobald du Leidenschaft, Lust, Furcht, Wut fühlst, - bedenk, wer du bist: dass du nicht Körper, sondern Seele bist. Dann wird sofort, was dich erregt, verschwinden.
Das wahre Glück ist geistige Art
Man lebt im Geist und nicht im Körper. Wer das weiß, bleibt sogar in Ketten, hinter Riegeln und Schlössern frei.
Jeder Mensch kennt in sich zwei Leben: ein körperliches und ein geistiges. Das körperliche beginnt schon im Kulminationspunkt nachzulassen; wird immer schwächer und gelangt zum Tode. Das geistige Leben aber nimmt von der Geburt bis zum Tode stets zu.
Wer nur eine leibliche Existenz führt, ist sein ganzes Leben lang in der Lage eines zum Tode Verurteilten. Lebt man aber für seine Seele, so nimmt das, worin man sein Heil erblickt, mit jedem Tage zu, und der Tod verliert seine Schrecken.
Um ein gutes Leben zu führen, braucht man nicht zu wissen, woher man gekommen ist und wohin man geht. Denk nur an das, was nicht dein Körper, sondern deine Seele will, so brauchst du weder deinen Ursprung, noch das zu wissen, was nach dem Tode mit dir geschieht. Du brauchst es deswegen nicht zu wissen, weil du des wahren Glücks teilhaftig wirst, für das Fragen nach der Vergangenheit oder der Zukunft nicht existieren.
Als die Welt zu existieren begann, ward die Vernunft ihre Mutter. Derjenige, der weiß, dass die Grundlage seines Lebens der Geist ist, weiß, dass er sich außer aller Gefahr befindet. Wenn er die Lippen schließt und das Tor der Sinne verschlossen hält, spürt er keine Unruhe.
Die unsterbliche Seele braucht ebenso unsterbliche Werke, wie sie selbst eins ist. Dieses Werk – die unendliche eigene Vervollkommnung und die der Welt – ist ihr gegeben.