Herrengedeck und Herzenswärme. Neue Osnabrücker Zeitung

Читать онлайн книгу.

Herrengedeck und Herzenswärme - Neue Osnabrücker Zeitung


Скачать книгу
Bachmayer’s. Jetzt läuft die Schlager-Parade rauf und runter. Jenny (40), ihre Mutter Bärbel (57) und Manuela (50) haben es sich in einer Sitzecke gemütlich gemacht. Sie wollen Schwimmen spielen. Bevor die Karten auf den Tisch kommen, erzählen auch sie wie aus der Pistole geschossen, dass es Anne ist, derentwegen sie in die typische Eckkneipe an der Tannenburgstraße/Ecke Tiefstraße kommen. „Sie ist ein herzlicher Mensch“, sagt Jenny, die sonst auch mal in die Altstadt oder in die Bar Tiefenrausch geht. Bei Anne sei jeder willkommen. Für Bärbel ist Anne eine Freundin. Sie fährt auch schon mal nach der Arbeit bei ihr vorbei, um sie zu besuchen.

      Das Damen-Trio ist mit Anne vor fast zwei Jahren von der Gaststätte Zum Warsteiner an der Natruper Straße in den Schinkel umgezogen. Dort hatte 1976 Annes Kneipenleben begonnen – als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Nach einer abgebrochenen Lehre und einer Trennung stand sie plötzlich allein da. Da kam die Kneipe gerade richtig.

      In einer richtigen Kneipe sammelt sich allerlei Zeug an. (Elvira Parton)

      Ihre Mutter habe abends auf die Kinder aufgepasst, tagsüber habe sie sich um die Kleinen gekümmert, erzählt Anne. „Sie sind in der Kneipe groß geworden“, brüllt sie gegen den Schlagerlärm an. Aus ihnen seien anständige Menschen geworden. Nur mit den Männern habe es nicht mehr so richtig geklappt. „Immer wenn ich Feierabend hatte, haben die schon geschlafen“, sagt Anne mit einem süffisanten Lächeln.

      „Trotzdem ist das Kneipenleben ein tolles Leben“, sagt die Wirtin voller Überzeugung – obwohl es natürlich viel Privatleben schlucke. Sie habe aber im Warsteiner noch die „goldenen Zeiten“ erlebt. Damals hätten die Leute noch Geld gehabt, um auszugehen – und keine Berührungsängste. „Vom Penner bis zum Professor – ich hatte alles.“

      In Annes großem Herz scheint viel Platz zu sein. Da ist es auch nicht schlimm, wenn mal ein volles Glas Korn im Überschwang der Gefühle umgestoßen wird. „Soll ich meckern, wenn ich ihnen erst die Gläser voll gemacht habe?“

      „Wo es raucht und pufft in jedem Winkel – da ist Schinkel“, sagt Michael (54), der mit seinem besten Freund Rüdiger (48) ins Bachmayer’s kommt. Michael erzählt mit rauer und etwas schwerer Stimme, wie er gleich hier um die Ecke aufgewachsen sei. Schon als kleiner Junge kannte er die Kneipe. „Der erste Besitzer war ein Boxer“, erzählt er. Mit seinem Vater ist er in die Kneipe gegangen. „Da“, sagt Michael und zeigt auf den Ecktisch, wo die Damen Schwimmen spielen, „hab ich meine Cola getrunken.“ Jetzt steht ein Pils vor ihm, und auch Michael singt ein Loblied auf die Wirtin Anne. „Sie ist was Besonderes“, sagt er. Rüdiger nickt beifällig.

      Auch eine Brauerei hatte Anne ins Herz geschlossen. Vor etwa zwei Jahren fragte die Firma bei Anne an, ob sie nicht mal wieder eine Kneipe übernehmen wollte. Denn eigentlich sollte nach dem Warsteiner Schluss sein. Aber Anne nahm die Herausforderungen des Kneipenlebens noch einmal an – wenn auch nicht für ewig. Im Bachmayer’s will sie auf jeden Fall aber noch eineinhalb Jahre bleiben. Dann will sie erst mal eine Weltreise machen. Ob ihr die Schinkelaner dann auch folgen...?

      Bachmayer’s

       Inh. Angret Üding

       Tannenburgstraße 85

       49084 Osnabrück

       Tel. 0541/7707954

      30. Dezember 2011

      Sieben-Tage-Woche hinterm Tresen im Union-Stübchen am Arndtplatz

      Osnabrück. „Wir sind Fossilien“, sagt Wilhelm (65) über sich und seine Freunde Norbert (61) und Stefan (58). Das Trio hockt in einer Ecke des Union-Stübchens und knobelt. Da gebe es keine Touristen wie in der Altstadt, meinen sie. „Wir werden hier zusammen alt.“

      Thomas Weber-Walleck schmeißt den Laden am Arndtplatz mit seiner Verlobten Birgit Piwatz. (Hermann Pentermann)

      Das Union-Stübchen am Arndtplatz war in Osnabrück lange Zeit bekannt für die Jazz-Frühschoppen am Sonntagvormittag. Diese Zeiten hat Wilhelm noch miterlebt. „Wir waren alle jünger“, erinnert er sich mit einem Lachen, in dem etwas Wehmut mitschwingt. Die Konzerte waren damals umsonst, erzählt Wilhelm mit ruhiger Stimme. „Damals gab es noch keine Lagerhalle, kein nix.“ Das Union-Stübchen sei der einzige Ort in Osnabrück gewesen, wo Livemusik gespielt wurde.

      Schocken ist die Passion von Wilhelm (links) und Norbert. Sie treffen sich mit ihrem Kumpel Stefan regelmäßig zum Knobeln im Union-Stübchen. (Hermann Pentermann)

      Norbert mischt sich ein. Er wollte schon die ganze Zeit etwas sagen. „Am Bahnhof gab es noch den Club 99“, sagt er. Dort hätten auch Bands gespielt. Stolz erzählt Norbert, er habe dort als 19-Jähriger als Discjockey gearbeitet und Rock’n’Roll von Eddie Cochran und Fats Domino aufgelegt. „Das muss so zwischen 1960 und 1970 gewesen sein.“ Eine Zeit lang wurde dort als Eintritt ein Pfennig pro Minute genommen, legt Norbert nach und erzählt dann, wie er von 1983 bis 1992 die Haake-Beck-Pilsstube an der Mindener Straße betrieben hat, da, wo heute der „Schinkelaner“ ist. Doch irgendwann hatten er und seine Frau die Nase voll, sind aus dem Schinkel in die Weststadt gezogen, und Norbert hat eine Umschulung zum Versicherungsmakler gemacht. Das Kneipenleben hat ihn aber nicht losgelassen. „Ich brauche die Gesellschaft, sonst würde ich kaputtgehen.“

      Norbert spricht für seine Kumpels, wenn er sagt, dass das Union-Stübchen ihre Stammkneipe ist. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch woanders hingehen oder hier stundenlang sitzen.“ Um 21 Uhr machen sie Feierabend, sagt er. „Wir sind die dritte oder vierte Schicht“, erklärt Wilhelm. Morgens um 10 Uhr sei es oft voller als am Abend. „Dann kann man hier richtige Typen sehen.“

      Diese Typen kennen Lilo (76) und Franziska, genannt Sissi (60), auch. Sie gehören ebenfalls zum Stammpersonal. Zu Zeiten des Jazz-Frühschoppens habe es im Union-Stübchen einen Schwulen gegeben, der sich als Zarah Leander verkleidet und ihre Lieder gesungen habe, erinnert sich Lilo. Da war die Hütte immer voll. „Die Leute standen bis draußen auf der Straße“, beteuert sie.

      Seit 30 Jahren geht Lilo (rechts) ins Union-Stübchen. Dort hat sie vor 15 Jahren Sissi kennengelernt. (Hermann Pentermann)

      Dem Union-Stübchen hält Lilo die Treue. „Hier werde ich immer gut bedient.“ Samstags hat sie ein festes Ritual: Nach dem Markt geht sie in die Marktschänke, dann ins Union-Stübchen. „Hier ist es gemütlich“, sagt die Witwe und Mutter von fünf Kindern. Seit 30 Jahren geht Lilo in die Kneipe am Arndtplatz. Dort hat sie auch Sissi kennengelernt, die seit 15 Jahren ihren Stammplatz im Union-Stübchen hat. Die beiden Frauen treffen sich regelmäßig zum Klönen.

      „Man muss auch mal für sich sein können“, sagt Peter (54). Er füttert gerade einen Spielautomaten mit Geld. Ein Zocker sei er aber nicht, betont er. Er kennt Kneipenwirt Thomas Weber-Walleck von früher. Deswegen kommt er gerne mal ins Union-Stübchen. „So wie andere Leute in die Pommesbude gehen, gehe ich in die Kneipe.“ Seine Eltern hätten auch eine Wirtschaft betrieben, erzählt er. „Darauf habe ich aber keinen Bock.“

      Peter findet es schade, dass es in Osnabrück nicht mehr so viele Kneipen gibt wie das Union-Stübchen. In anderen Lokalen hat der stämmige Kraftfahrer schon viel „Geldmacherei“ entdeckt. Am Arndtplatz sei das anders. Hier trifft er Freunde und Bekannte, mit denen er ein Bier trinkt. Oder einen Kaffee. „Muss ja nicht immer Alkohol sein.“

      „Ich habe liebe Gäste“, sagt Thomas Weber-Walleck (49), der das Union-Stübchen gemeinsam mit seiner Verlobten Birgt Piwatz (42) schmeißt. Thomas hatte schon viele Jobs: Er war Fahrer, war auf Montage und hat als Schweißer und Kaufmann seine Brötchen verdient. „Das hier kann ich am besten“, sagt er und schaut seinem Gegenüber über den Rand seiner Lesebrille in die Augen.

      Sieben


Скачать книгу