Crazy Zeiten - 1975 etc.. Stefan Koenig
Читать онлайн книгу.Mädchen?“
John nickte.
Da sagte der zweite: „Mich würde nicht wundern, wenn sie einfach mit einem anderen in den Schlafsack gekrochen ist. Im Moment stehen die Skandinavierinnen auf schwarze Schwänzen.“
John wollte auf- und ihm an die Gurgel springen. Ich konnte ihn gerade noch zurückhalten. „Bleib ruhig. Vielleicht brauchen wir noch die Aufmerksamkeit unserer drei Landsleute. Wer weiß, wie lange wir noch bleiben und suchen müssen. Haltet bitte die Augen offen“, sagte ich an die drei gewandt, die teilnahmslos nickten.
Wie um meine Worte zu bestätigen, kam Azza mit einer niederschmetternden Nachricht zurück: „Meine Leute haben eure Svea nicht gesehen.“
Wir schliefen lange und unterrichteten Gerd, Wolle und Leif am nächsten Morgen über die negativen Ergebnisse unserer Recherche. Gerd kam auf die Idee, beim dänischen Konsulat anzurufen, um mitzuteilen, dass die dänische Staatsbürgerin Svea Lindström seit nunmehr vier Wochen auf mysteriöse Weise verschollen ist sowie nach Sveas Familienhintergrund zu fragen. Eventuell konnte uns das Konsulat wertvolle Tipps geben oder sogar eigene Suchanstrengungen unternehmen.
Aber wir hatten uns gründlich getäuscht. Weder erhielten wir Auskunft zu Sveas Familie, noch die Zusage, dass der Konsul ihre Familie informieren würde, noch wollte oder konnte man uns Tipps und Hilfe geben. Wir fragten uns, wofür solche beamteten Sozialschmarotzer und Wichtigtuer eigentlich bezahlt würden.
Die nächsten zwei Tage verbrachten wir damit, verschiedenen Spuren und Mutmaßungen nachzugehen. Doch alle Wege führten ins Nichts. Azza, der uns versprochen hatte, sich sofort zu melden, sobald er etwas wusste, war stumm geblieben. Am zweiten Abend gingen wir in seine Bar und fragten den Chef, wo Azza sei.
„Er hat sich zwei Tage Urlaub genommen; wer kann wissen, wo er ist!“
Wir tranken noch einen Pfefferminztee und wollten gerade gehen, als Azza aufgeregt und mit breitem Grinsen hereinstürzte. „Meine Freunde und ich haben sie gefunden! Die Bullen konnten euch nicht helfen, aber ich!“
Wir hörten gespannt, was er zu berichten hatte: „Es hat mich eine Stange Geld gekostet. Zwei meiner Freunde habe ich in das Zentrum des Haschisch-Anbaus nach Chaouen geschickt. Viele Dealer kommen von dort hierher und bringen ihre Ware an die lokalen Verteiler. Im Gegenzug nehmen sie hübsche europäische Mädchen mit in das abgelegene Gebiet und halten sie sich dort als Quasi-Ehefrauen. Ich hatte so eine Vermutung.“
John war ganz zappelig. Ohne einen genauen Adressaten anzusprechen, fragte er beunruhigt: „Ist es möglich, so schnell wie möglich dorthin zu fahren?“
„Ihr solltet, glaube ich!“, sagte Azza mit bedeutungsschwerem Blick.
„Was heißt das?“
Azza sah John an, dann Stella und mich. „Es ist wahrscheinlich besser, ich spreche erst einmal mit einem von euch“, schlug er vor und deutete auf mich. Er wusste ja, dass John Sveas Freund war. Er führte mich in ein Hinterzimmer, wo er mir reinen Wein einschenkte: „Der Zustand der Frau ist nicht gut“, sagte er halblaut. „Die beiden Jungs, die Svea hier kennen gelernt hat, sind Einheimische aus Chaouen … sie machten aus eurer Bekannten ein Geschäftsmodell und ließen ihre sechsköpfige Clique an sie ran … einer nach dem anderen. Dann verschleppten sie eure Bekannte in ein abgelegenes Haus einer Haschischplantage. Sie wurde aufgrund ihrer Mangelernährung und der Drogen krank.“
Ich war entsetzt. Er sah mich nachdenklich an, überwand sich aber und sagte nun das, was er genau vor John eben nicht sagen wollte: „Meine Informanten berichteten mir vor Ort: ‚Sie wurde sechs- bis achtmal am Tag gefickt und immer nur mit Haschkeksen gefüttert, aber mit sonst nichts.‘ So ist es also.“
*
In der Rostlaube saß Doro in der Germanistikvorlesung, dachte an uns, die wir auf dem Weg nach Chaouen waren und an meinen Anruf von heute früh, als ich sie auf den neuesten Stand gebracht hatte. In der Drogenszene wiederholen sich stets die gleichen Muster. Als sei den Menschen das Wiederholungsprinzip in die Wiege gelegt. Ja, die ganze Menschheit wiederholte ihre Fehler – ach, egal … Ihre Gedanken kehrten zurück in die Realität der Vorlesung. Sie hätte jetzt gerne mit mir den Tag verbracht, und wir hätten wahrscheinlich gemeinsam in der Cafeteria ihr Referatsthema besprochen, um das es hier im Hörsaal 121 ging – eine Analyse der Asterix-Comics. Ganz sicher hätten wir uns gemeinsam bei Croissant und einem Milchkaffee einige Brainstorming-Notizen für ihre Arbeit gemacht. Gemeinsam studieren, gemeinsam arbeiten, das stärkte unsere Beziehung. Nun lagen fast dreitausend Kilometer Luftlinie zwischen uns.
Am Pult referierte ein junger Assistenzprofessor. Er kam aus der Studentenbewegung und war einer der ersten gewesen, bei denen im Berufungsverfahren die Studenten mitbestimmen durften. Insoweit war der Muff von tausend Jahren unter den Talaren verweht. Doro schaltete jetzt von Chaouen auf Gallien um und hörte weiter den Ausführungen zu …
Die Situation ist immer dieselbe: „Wir befinden uns im Jahr 50 vor Christus. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. – Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“
Eine Landkarte bestätigt die Lage: Die römische Standarte, etwa in der Bourbonnais aufgepflanzt, hat Galliens Boden aufgerissen. Das wehrhafte Dorf, etwas nördlich vom heutigen Brest in der Bretagne, direkt am Meer gelegen, ist eingeschlossen von vier römischen Feldlagern.
Aber nicht nur das. Die Situation scheint schon immer dieselbe gewesen zu sein. Bereits das erste, 1968 in der BRD erschienene Heft mit dem Titel „Asterix der Gallier“, erweckt den Eindruck der Fortsetzung einer Geschichte, als wäre sie bereits in vielen Heften beschrieben worden. Die Serie „Asterix und Obelix“ erfährt keine Veränderung. Alles ist schon dagewesen, wenn die erste Geschichte anfängt. Die Konzeption geht der Serie voraus. Das ist durchaus nicht üblich bei Comic-Strips, wenn man weiß, wie sich beispielsweise die Donald-Duck-Strips von Disney im Laufe der Zeit wandelten.
Bei „Asterix“ sind alle Topoi so angelegt, dass sie beliebig übertragen oder erweitert werden können. So ist „das Dorf“ nicht das einzige. Der geschichtsnotorische Vorfall (kleines Volk widersetzt sich imperialistischem Eindringling) wiederholt sich in England („Asterix bei den Briten“) und in Spanien („Asterix in Spanien“) – die Dörfer liegen in Kent und Andalusien …
Doro erinnerte sich an die beiden Hefte sehr gut, denn sie lagen seit Monaten auf der Ablage im Bad. Wenn wir hin- und wieder badeten – meistens duschten wir nur – dann lasen wir in der Badewanne Comics und tranken dabei im Winter einen Punsch, den wir auf der hellgrün gekachelten Badewannenablage abstellten. Im Sommer badeten wir nie. Eine kühle Dusche war angenehmer.
Doros Gedanken wären wieder zu unserer Rettungsaktion in Marokko abgeglitten, wenn da vorne der Assprof nicht die Studenten mit kräftiger Stimme aufgefordert hätte, Beispiele solch wiederkehrender Elemente zu nennen, falls sie den Comic kannten. Es stellte sich heraus, dass die Asterix-Fans in großer Zahl vertreten waren und sie diese Serie nicht zuletzt wegen der reichhaltigen Variationsbreite des immer Gleichen schätzten.
Immer wieder wird Troubadix gefesselt und geknebelt, um ihn am Singen zu hindern, denn er singt schrecklich. Immer wieder braut der Druide des Dorfes, Miraculix, seinen Zaubertrank. Immer wieder will Obelix auch von dem Zaubertrank haben, bekommt ihn aber nicht, weil, wie ihm immer wieder gesagt werden muss, er als Kind hineingefallen ist. Immer wieder gehen Asterix und Obelix mit bloßen Händen auf Wildschweinjagd und kehren vollbeladen mit Wildschweinen heim, um mit ihrer Dorfgemeinschaft beim gemeinsamen Wildschweinessen zu feiern. Immer wieder begegnen die Seeräuber – selbst zu Lande – Asterix und Obelix und werden von ihnen regelmäßig verprügelt. Immer wieder halten die Schildträger den Schild schief, sodass der Dorfchef Majestix herunterfällt.
Doro dachte an die schwierigen Kommunikationswege zwischen ihr und mir, zwischen Berlin und Tanger in Marokko. Die Telefonvermittlung war oft reines Glücksspiel. Wohl deshalb erinnerte sie sich in diesem Moment einer Szene, als Obelix den Postboten fragte: „Kann man auch Hinkelsteine mit der Post schicken?“
Rohrpostix, der Postbote, antwortete: „Ja,