FUKUSHIMA - IM SCHATTEN. Juergen Oberbaeumer

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FUKUSHIMA - IM SCHATTEN - Juergen Oberbaeumer


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Hula Girls tourten nach dem elften Maerz durch ganz Japan – aus der Not eine Tugend zu machen – und tanzen inzwischen wieder zu Haus. Das Bad ist offen!

      Kohle wird jetzt importiert aus Port Hedland, Australien. Glitzerschwarze Berge von Kohle liegen im Hafen Iwakis, in Onahama, und werden mit LKWs zum nahgelegenen E-Werk in Ueda gekarrt. Wieviel Kraftwerke wir nicht haben! Kohle in Ueda, Gas aus dem Meer in Hirono: Atom 1, Atom 2 leider nicht mehr, haha.

      Flaechenmaessig war Iwaki Top in ganz Japan – war, denn es gibt seit Neuestem andere Kreationen, die groesser sind als wir: haben aber nicht so viel Sonne!

      „Sunshine Iwaki“ ist unser Spruch, im Mittel 2035 Sonnenstunden pro Jahr haben wir bei einer geographischen Lage von 37-38 Grad Nord, dem Peloponnes, oder Malaga vergleichbar, ideal fuer Solarpaneele auf jedem Dach. Leider muss man die mit der Lupe suchen – und wuerde immer noch nicht viele finden. Gegen Null.

      Als ich vor langen Jahren hier ankam gab es einen kleinen Boom mit heissem Wasser vom Dach – das schlief dann ein und von Photovoltaik hatte hier bis nach dem Beben und seinen Konsequenzen noch nie jemand gehoert. Es wurde zu wenig gefoerdert; bis sich eine private Anlage amortisierte dauerte es mindestens fuenzehn Jahre. Man hatte eben Atomstrom reichlich! Und auch jetzt noch sind die Einspeiseverguetungen furchtbar mickerig.

      Private Initiative ist nicht gefragt, die Grossindustrie hat die Zuegel nach wie vor fest in der Hand: und setzt leider auf andere Pferde. Regierung und Medien sind fest vor den Karren gespannt, Hueh! die Schindmaehren begreifen nicht, dass sie mit dem rasselnden Karren auf dem Weg zum Muellplatz der Geschichte sind.

      Auf der geographischen Hoehe von Naxos liegen wir: und zwar exakt, sah ich vor ein paar Tagen! Der Insel, auf der unsere komplette kleine Familie eine Woche im Schlafsack am Strand lag, windgeschuetzt in einer Mulde unter einem Baum, an Marmorklippen, in unserem schoensten Urlaub je. Der andere war in Kroatien. Und Benasque in Spanien? Das war kein Urlaub. Das war ein Besuch bei Freunden! Schneckensammeln am Rio Esera. Am naechsten Morgen waren die Viecher ziemlich gleichmaessig ueber Sitze, Scheiben und Armaturenbrett von Ramiros R5 verteilt: wir hatten die Tuete mit den Schnecken im Auto vergessen… Wie schoen es bei ihm in den Pyrenaeen war!

      Wie armselig doch muss ich jetzt denken. Zweieinhalb Familienurlaube in 25 Jahren wenn man die Deutschlandreisen nicht mitrechnet. Pendler waren wir eben. Unsere Kinder mussten auf so vieles verzichten! Leben in zwei Laendern, auf zwei Kontinenten, in zwei Welten: ist nicht leicht. Viele beneiden sie – wenn sie wuessten wie hart es ist.

      Iwaki also. Eine neue „Stadt“ mit einem alten Namen. Iwaki bedeutet eigentlich so etwas wie Felsenschloss und wurde zum ersten Mal 708 urkundlich erwaehnt: als Grenzbarriere! Halb so gross wie das Land Luxemburg, etwas dichter besiedelt – wenn auch laengst nicht so wohlhabend. Und leider nicht unabhaengig! Immer nur fuer Tokyo da, erst als Kohlelieferant – bis vor kurzem dann als Stromversorger. Gegenwaertig liefern wir unsere Kinder: die jungen Familien verlassen die Gegend.

      Wir liegen am hier unglaublich fischreichen Pazifik, genau vor Iwaki treffen sich zwei grosse Meeresstroemungen und versorgen uns mit Meeresfruechten aller Art, auf sechzig Kilometer Kuestenlinie gab es fast ein Dutzend kleine Haefen, es gab die sieben Straende von Iwaki: die werden sicher irgendwann wieder aufmachen, was bei den Haefen nicht sicher ist. Die Kuestenfischerei war eh schon auf dem absteigenden Ast – jetzt wurde ihr der Todesstoss versetzt.

      Das Meer… ohne das Meer, ohne seinen Atem von Freiheit haette ich es niemals so lange in der japanischen Enge ausgehalten! Wenn auch die Straende allesamt durch Beton noch und noch verschandelt sind – man vergisst nicht so schnell wo man verliebt im Sand gelegen hat und etwas spaeter die Kinder gespielt haben: man vergisst das nicht.

      Leider ist das Wasser bis Ende Juli sehr kalt – erst dann kippt’s und laesst die suedliche Stroemung warmes Wasser bringen bis in den Oktober. Die Japaner lieben die Berge; das Meer ernaehrt sie aber inspiriert sie nicht. Wenige Leute gehen schwimmen. Sie sind so eine Art Schweizer. Geboren im Zeichen der Jungfrau.

      Ab Ende August, wenn „die Quallen kommen“ habe ich sechzig Kilometer Kueste fuer mich allein wie ich meine Runden drehe. Klar, seit fuenfzehn Jahren etwa gibt’s auch Surfer – die zaehle ich jetzt mal nicht. Ich bin der einzige Schwimmer: die Angler kennen mich schon, denken: ach, der verrueckte Auslaender, na, Auslaender eben…

      Auch Berge haben wir, etwa wie das Sauerland, und sehr schoen sind die besonders im Herbst, dem einzigartigen japanischen Herbst. Mitten zwischen Bergen und Meer liegt Taira, der Hauptort, gross wie Goettingen, gross wie Paderborn: und wir jetzt am Rande der bewohnten Welt, zwanzig Autominuten entfernt vom Bretterzaun. Wie man sogar am andern Ende der Welt irgendwie haeusliche Verhaeltnisse vorfindet; plus ca change – plus ca reste le meme! Sogar mit dem Ruecken zur Wand lebe ich jetzt wieder – damals unmittelbar an der innerdeutschen „Zonengrenze“ mit ihrem perversen Minenguertel und den tueckischen Selbstschussanlagen, einen Spaziergang durch das Waeldchen weit weg, heute an der „20-Kilometer-Zone“ mit ihren Barrieren!

      Iwaki – eine Stadt, die auf der falschen Seite stand als Japan sich 1854 im Anblick der „schwarzen Schiffe“ des Commodore Perry anschickte, eine seiner periodischen Haeutungen zu machen. „Ehrt den Kaiser! Schmeisst die Barbaren raus!“ war das Motto der Verlierer. Die Barbaren kamen naemlich doch; en masse sogar, kommen immer noch, zwar zur Zeit oft nur mit Schiss in der Hose: aber sind zweifellos nicht so einfach zu vertreiben. Siehe „Yours Truly“!

      Im Konflikt um die richtige Vorgehensweise auf dem Weg in die neue Zeit schlugen sich damals also die Altkonservativen mit den Neukonservativen im Bosen-Krieg ausgerechnet auch in unserer Gegend, die doch sonst nicht sehr geschichtstraechtig ist. Das Ende der zivilisierten Welt war hier schon immer. Auch verlaeuft eine Linie durch unser Gebiet die waermeliebende und noerdliche Vegetation trennt, oder anders gesagt, zusammenbringt: im Gaertchen meines ersten Hauses stand eine Fichte eintraechtig neben einer Palme! Am suedlichen Rand Iwakis liegt der Ortsteil Nakoso mit seiner uralten Zollstation. Einige sehr schoene Kirschbaeume gibt es da, und trotzdem lief es mir irgendwie kalt den Ruecken runter; bildete mir ein, Pferdehufe zu hoeren und Schwerter aufblitzen zu sehen als ich da einmal von rosa Blueten umwoben und umschwebt in der Abenddaemmerung spazierenging. Nicht einmal der wandernde Moench und Dichter Basho fand auf seinem langen, engen Weg in den Norden unsere Kueste besuchenswert! Nur der Daemon der Zerstoerung liess sich nicht beirren.

      Die damaligen Herren von Iwaki, die Familie Ando, waren 1860 verbuendet mit Aizu und wurden mit dem Aizu-Clan gemeinsam niedergemacht. Das Schloss in Aizu brannte, 36 blutjunge „Krieger“ sahen das aus einiger Ferne oder glaubten es zu sehen und toeteten sich daraufhin bis auf den letzten Jungen. Ihre Fotos sind zum Andenken geblieben und man kann ihre Gesichter nicht anschauen ohne tief bewegt zu sein von einem Schicksal, das unseren Sechzehnjaehrigen erspart blieb. Die Schlossburg von Taira brannte allerdings auch, die Reste wurden geschleift und heute ist nur noch der alte Schlossgraben uebrig, wo unsere Freunde Emi und Nobu-san wohnen. Ihr altes Haus direkt am Rand des Wassers hat das Erdbeben nicht ueberstanden: so faellt selbst das Buergerliche, wenn vielleicht auch nicht so lange zurueckleuchtend wie echter Adel. Thank you for the memories aber!

      Wie viele schoene Parties haben die beiden im Zeichen privater Voelkerverstaendigung nicht gegeben! Und die Erinnerungen an all die Musik da, sowohl im Fruehling als auch im Herbst, wurden von den Gaesten inzwischen in alle Welt getragen – wogegen die Erinnerung an den Schlossberg sich ziemlich auf eine einsame Bueste an unzugaenglicher Lage beschraenken duerfte; das Museum dahinter verschweigt man besser ganz. Dagegen Boyko Stoyanov! Ein professsioneller Musiker, studierter Komponist, und was sein Wesen viel besser beschreibt: einer, der jeden zum Musikmachen bringt. Irgendwas kann jeder! Und wenn dann Sato-san mit seiner Mundharmoka anfing wusste ich schon, dass die Zeit fuer mich und „Lili Marleen“ wieder gekommen war. Was fuer ein schoenes Lied doch auch! Die beiden machten sich einen Spass daraus mich singen zu lassen, und zwar im Marschtempo… Ich machte gute Miene dazu und sang!

      Jetzt gibt es keine Parties mehr, Boyko ist schon jahrelang weg. Lebt mit seiner zweiten Frau, einer Brasilianerin, drei kleinen Kindern und seiner herrlichen, bulgarischen Mutter auf der anderen Seite Japans: in den Schneebergen Niigatas. Musik… Boyko gab uns Musik. Und nahm die Musik mit weg in seine weissen Berge.


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