Verloren. Josef Rack

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Verloren - Josef Rack


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      Er befindet sich eigentlich immer im Zwiespalt:

      Er weiß, dass er kein Russe ist – das darf aber eigentlich niemand erfahren. Sie wohnen in einem noblen Haus in bester Wohnlage - er ahnt, dass dies nur ein Privileg aufgrund des hochrangigen Offiziersgrades von Andrej ist. Der Familie von Attila geht es nicht so gut, seit sein Vater seine gute Anstellung verloren hat.

      Und er, Toni, besucht ein Elite-Internat. Er würde anschließend in eine Universität aufgenommen werden. Er weiß, dass die Stellung seines Vaters ein großes Gewicht hat.

      Aber er kann sich darüber einfach nicht uneingeschränkt freuen.

      Während seiner Schulzeit hat er praktisch keinen Kontakt zu „normalen“ Menschen. Entweder er hält sich im Burgviertel oder am Wochenende zu Hause auf.

      In den Ferien werden die Schüler für bestimmte Zeiten für „freiwillige“ Gemeinwohl-Arbeiten eingeteilt. Da bekommt er dann allerhand mit, was ihn sehr nachdenklich stimmt. Er hört ja in der Schule nur, dass der Staat die besten Voraussetzungen schafft, um das Volk zu Wohlstand zu führen. In seinem Fall stimmt es ja, ihm bietet sich die Möglichkeit zu Höherem.

      Was ist aber mit den Anderen?

      Er hört auch, dass die Leute alle schwer arbeiten und zusätzlich noch freiwillige Dienste leisten. Trotzdem geht es ihnen nicht besser, das Gegenteil ist der Fall. Die Leute werden immer unzufriedener.

      Über seinen Attila kann er nur staunen, der schon oft solche Gedanken und Beobachtungen geäußert hat. Er selbst konnte eigentlich nicht richtig mitreden. So langsam geht ihm aber ein Licht auf – irgendetwas läuft nicht so, wie es eigentlich nach dem sozialistischen Gedankengut sein sollte.

      Aber was kann er, der kleine Junge, tun?

      Kapitel 7

      Montags geht sein Schulalltag wieder weiter.

      Morgens schaut er schon sehnsüchtig aus dem Fenster, ob er „seine“ Ildiko sieht. Wenn er unterwegs ist, wenn’s zum Essen geht oder abends, seine Blicke sind immer auf der Suche.

      Spätestens am Dienstag-, aber auch am Mittwoch- und Freitagabend sieht er sie. Da ist Chorprobe. Hoffentlich läuft dies Projekt noch lange. Aber schon in 14 Tagen findet das Konzert in der Matthiaskirche auf der Fischer-Bastei statt.

      Viele Gäste werden erwartet.

      Toni ist schon ganz aufgeregt, da er verschiedene Solo-Passagen singen darf.

      Wie gewohnt, nimmt er jede Gelegenheit wahr, bei schönem Wetter abends auf „seiner“ Bank zu sitzen, in der Hoffnung, dass sich auch irgendwo Ildiko niederlassen wird. Ob sie schon gemerkt hat, dass er Stielaugen nach ihr macht?

      Irgendwie möchte er gerne ihre Aufmerksamkeit erregen, möchte ihr zeigen, dass sie ihm so sehr gefällt, aber wie? Vielleicht ein Briefchen zustecken, aber das ist sehr riskant.

      An einem Abend sieht Toni, wie sie von ihrer Bank aufsteht und sich bereit macht, nach Hause zu gehen. Es ist schon 21 Uhr. Ihr Weg führt sie an ihm vorbei. Kurz bevor sie seine Bank erreicht, steht er auch auf und schickt sich an zu gehen. Dabei fällt ihm, wie versehentlich, ein Blatt Papier auf den Boden. Etwas darauf zu schreiben, hat er sich nicht getraut. Er tut so, als ob er es nicht bemerkt hätte und geht mit zittrigen Beinen los. Sie ist jetzt ca. 5 Meter hinter ihm und müsste das Blatt gesehen haben. Jeden Moment wartet er darauf, dass sie ihn auf sein verlorenes Blatt aufmerksam macht.

      Er ist so angespannt, jetzt müsste etwas geschehen.

      Zögerlich geht er, bereit, sofort stehen zu bleiben. Hört ihre Schritte auf dem Schotter von hinten näher kommen. Er kann es nicht glauben, sie muss doch längst an der Stelle angekommen sein, wo sein Blatt auf dem Boden liegt. Enttäuscht wird ihm klar, sie hat sein Blatt übersehen oder noch schlimmer, sie hat es nicht sehen wollen. Stehen bleiben darf er aber nicht.

      Wie Blei sind jetzt seine Beine, aber er muss noch ein Stück weitergehen, bis er sicher ist, dass sie ihren Eingang erreicht hat. Vorher darf er sich nicht einmal umdrehen.

      Zu groß ist die Enttäuschung. Groll steigt in ihm auf. DIE will von mir nichts wissen!

      Als er dann sicher weiß, dass sie im Haus ist, tut er so, als ob er jetzt erst bemerkt, dass ihm etwas fehlt. Total frustriert dreht er sich um, geht zurück und holt sich sein Blatt.

      Mit seinen Zimmerkameraden will er gar nichts mehr reden und verkriecht sich im Bett. Aber in dieser Nacht schläft er nicht gut.

      ‚Die schau’ ich nicht mehr an’, solche Gedanken gehen ihm im Kopf herum.

      Es sind nur noch ein paar Proben bis zu ihrem großen Konzert. Es macht gar keinen rechten Spaß mehr. Er ist unkonzentriert. Olga muss ihn sogar mahnen, sich zusammenzureißen, schließlich spielt er den Hauptpart.

      SIE steht wie immer schräg vor ihm.

      ‚Ach, so schön ist sie doch gar nicht’, versucht er sich einzureden. Hin- und hergerissen ist er, ‚die kann mir doch egal sein.’ Aber er kann es nicht verhindern, irgendwie geht eine besondere Ausstrahlung von ihr aus, ist es ihr Duft? - er weiß es nicht. Wenn er in ihrer Nähe ist, fühlt er eine Veränderung in sich. Irgendwie macht es ihn glücklich.

      Der Tag ihres großen Konzertes ist da.

      Alle Teilnehmer putzen sich heraus. Sie haben dafür eine spezielle Festkleidung: Schwarze Hose, rotes Hemd mit schwarzer Fliege. Toll kommt sich Toni vor, da wird er aber punkten. Die Haare glänzend geölt, exakter Scheitel.

      Die gesamte Chorgruppe trifft sich im Hof, auch die Mädchen.

      Und da kommt SIE: Er muss die Luft anhalten. Sein Herz macht Freudensprünge – er hört sein Herz wie wild schlagen, will sich dagegen wehren - vergeblich.

      ‚Hat SIE mich auch gesehen?’ – er ist sich nicht sicher.

      Ein schönes Bild: Vorneweg die Mädchen, dahinter die Jungens - jeweils in Gruppenformation - marschieren sie ab in Richtung Fischer-Bastei.

      Unterwegs erregen sie großes Aufsehen.

      Die ersten Gäste sind auch schon eingetroffen und versammeln sich vor der Matthias-Kirche. Die Gruppen marschieren gleich in die Kirche, da vorher noch Gesangs- und Stellproben stattfinden. Toni bekommt ganz weiche Knie, als er die vielen Wartenden wahrnimmt.

      Bei der Probe holpert noch ein Einsatz von Toni.

      Aber Olga ist ja dabei, die beruhigt ihn und redet ihm Mut zu.

      Als er dann zurückgeht in seine Reihe, geschieht ein Wunder:

      „Toni, ich drücke dir ganz fest die Daumen“, haucht es neben ihm.

      Sein Herz bleibt stehen – wer war das wohl?

      Ildiko! - er nimmt noch ihr Lächeln wahr – das ihm gilt - ganz allein!

      Soll er einen Luftsprung machen? SIE umarmen? - ach die ganze Welt könnte er jetzt umarmen.

      Während das Publikum eingelassen wird, halten sich die Akteure in einem hinteren Nebenraum auf. Jetzt ist Toni nicht mehr aufgeregt wegen des Konzertes, da ist er sich sicher, er wird jetzt singen wie ein junger Herrgott. Nein, jetzt ist er aufgeregt, weil SEINE Ildiko ihn beachtet hat. Immer wieder sucht er Blickkontakt mit ihr, sie weicht ihm nicht mehr aus, sie lächelt ihn an. Das Konzert kann beginnen.

      Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt.

      Der Chor hat sich vor dem Altar aufgestellt, halblinks davor sitzt Olga am schwarzglänzenden Flügel. Beidseits des Flügels steht je ein wunderschönes Blumengebinde. Olga dazwischen - mit ihren langen, leicht welligen Haaren und im schwarzen langen Kleid sehr hübsch anzusehen.

      Ihr tiefer Ausschnitt und das seitlich geschlitzte Kleid betonen ihre tadellose Figur, wohl etwas gewagt, aber wer wird dies einer so schönen Frau verübeln. Sie ist auf jeden Fall eine Augenweide. Ebenso gibt aber auch der Chor ein wunderschönes Bild ab.

      Absolute


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