Das NOZ-Magazin 2015. Neue Osnabrücker Zeitung

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Von wenig Hoffnung, viel Trostlosigkeit und „Mama Merkel“

      Bier für die Revolution Kleinstbrauer Philipp Overberg kämpft für münstersche Traditionen

      Gute Besserung, liebes Zootier! Mit Tierarzt Thomas Scheibe auf Behandlungsrunde im Osnabrücker Zoo

      Eine Stadt trotzt dem Wasser Wie Beira in Mosambik versucht, mit den Auswirkungen des Klimawandels zu leben

      Kann Osnabrück unsere neue Heimat sein? Die Hlbos leben seit zwei Jahren in Deutschland

      „Hanni & Nanni“ auf dem Index Bestsellerautorin Kerstin Gier durfte als Kind populäre Jugendbücher nicht lesen

      Aufstand im Namen der Freiheit

      „Je suis Charlie“: Der Slogan des Protests zeigt die Vitalität westlicher Werte

      Von Stefan Lüddemann

       „Wir haben Charlie Hebdo getötet“, riefen die Attentäter von Paris nach ihren brutalen Mordtaten am 7. Januar. Ihre Kugeln galten nicht nur den zwölf Todesopfern, sondern mit dem Satiremagazin „Charlie Hebdo“ auch einem Symbol der Freiheit. Mit ihrem Bekenntnis „Je suis Charlie“ zeigen nun Hunderttausende, worin die Antwort auf den islamistischen Terrorakt bestehen muss – in dem Projekt einer erneuerten Aufklärung. Ein Essay.

      Dabei scheint genau dieses Gründungsprojekt der freien Gesellschaften des Westens ramponiert zu sein. Diese Sicht entwirft Michel Houellebecq noch vor dem Erscheinen seines erbittert diskutierten Romans „La Soumission“, die Unterwerfung. In dem Buch zeichnet der Skandalromancier das Bild einer in ihren Grundsätzen erschlafften französischen Gesellschaft, die sich dem erstarkenden Islam widerstandslos in die Arme wirft. Um einen Sieg des rechten Front National zu verhindern, verraten bürgerliche Parteien ihre Ideale, verbünden sich mit den Islamisten. Ein Moslem wird im Jahr 2022 Frankreichs Staatspräsident – soweit die bittere Utopie Houellebecqs.

      Nun hat nicht nur das Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ die sarkastisch überspitzte Vision des Romanciers grausam überholt. Auch die Reaktionen auf Frankreichs Plätzen und in den sozialen Netzwerken lassen den gerade eben noch als Provokation erscheinenden Roman mit einem Mal grau und gestrig aussehen. Denn die Menschen, die nun den Zeichenstift als Emblem des Protestes in den Pariser Himmel recken oder „Je suis Charlie“ posten, demonstrieren mit ihrem Zorn, wie lebendig die vermeintlich korrumpierten Werte der freien Gesellschaft tatsächlich sind.

      Das ist gerade in Frankreich keine Kleinigkeit. Das Land ächzt unter den sozialen Lasten der Rekordarbeitslosigkeit und den Skandalen einer diskreditierten politischen Klasse. Die Integration der Kulturen und Religionen scheint an Grenzen zu stoßen. Das Projekt Frankreichs, das Modell einer Zivilisation als Klammer vieler Kulturen zu verkörpern, wirkt ermüdet. Die Grande Nation zweifelt an sich selbst.

      Dazu passt das Bild einer westlichen Kultur, die ihren ideellen Kern an den Konsum verraten, das Freiheitsversprechen in einen oberflächlichen Hedonismus der Spaß-Gesellschaft umgemünzt hat. Freiheit erneuert sich aber nicht über Proklamationen, sondern über Prozesse. Und die verwirklichen sich in Kommunikation, Teilhabe, echter, also an Handlungsalternativen orientierter Debatte. Auf diesen Punkt zielt Jürgen Habermas, Vordenker der pluralen Gesellschaft, mit seinem oft als zu idealistisch kritisierten, jetzt aber unverhofft aktuell erscheinenden Konzept des kommunikativen Handelns. Das Herzstück der pluralen Gesellschaften präsentiert sich für den Soziologen als Prozedur der geübten Transparenz und Fairness. Ethisch verstandene Kommunikation bietet auf diese Weise Anschlüsse – erst recht für kontroverse Kulturkonzepte.

      Aber verwirklicht sich jetzt nicht viel mehr, was Samuel Huntington in seinem 1996 publizierten Bestseller „Kampf der Kulturen“ als künftige Kampfzone divergenter Kulturen und ihrer Sinnorientierungen beschrieb? Der Politologe sah Kulturen nicht als kreative Potenziale, sondern als Risikofaktoren. Berechenbar erschien ihm nur kulturelle und damit auch religiöse Homogenität. Verstörend genug, dass ein solches Plädoyer für sterile Abgrenzungswünsche ausgerechnet aus einer amerikanischen Denkfabrik kam – und damit aus jenem Land, das mit seinem Versprechen auf Integration einer multikulturellen Gesellschaft weiter hohe Faszinationskraft ausstrahlt.

      Die Grausamkeit des Pariser Anschlags bestürzt. Aber der brutale Akt hat unmittelbar eine Schubumkehr ausgelöst. Auf den Einbruch der Gewalt und Intoleranz in eine Kapitale der westlichen Welt – in seiner Symbolkraft mit den Anschlägen auf die New Yorker Twin Tower von 2001 vergleichbar – reagieren die Menschen mit einem Aufstand der Freiheit, dessen emotionaler Schwung rührt und bewegt. Er schließt das Bekenntnis zu einer freien, also unausweichlich komplexen Gesellschaft ein. Deren Möglichkeiten erschließen sich nur dem, der bereit ist, die Anstrengung differenzierter Wahrnehmung und Argumentation auf sich zu nehmen. Doch nur so besteht die Chance auf ein sich erfüllendes Leben. Diese Botschaft geht an Islamisten, Intolerante – und an bequem gewordene Politiker: Pluralität und Demokratie neu leben, neu wagen! Jetzt!

      „Je suis Charlie“- Schweigeversammlung im Januar 2015 in Nizza. (dpa)

      Dresdens anderes Gesicht

      Wolfgang Stumph: Diese Stadt gehört nicht uns allein

      Von Joachim Schmitz

      Wolfgang Stumph ist ein gesamtdeutscher Volksschauspieler und ein Dresdener Aushängeschild. In dem ZDF-Film „Blindgänger“ spielt der langjährige „Kommissar Stubbe“ einen Dresdener Bombenentschärfer, der sich um ein tschetschenisches Flüchtlingsmädchen kümmert und es vor der Abschiebung bewahren will. Diesen Film versteht Stumph auch als sein Statement im Zusammenhang mit den Pegida-Demonstrationen in seiner Heimatstadt. In einem Dresdener Café unterhalten wir uns über „Blindgänger“, seine Jugend in der Stadt und Pegida:

       Herr Stumph, Sie gehörten am 10. Januar zu den 35 000 Menschen, die mit ihrer Kundgebung vor der Frauenkirche ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit gesetzt haben. Wie haben Sie diesen Tag erlebt, welches waren Ihre stärksten Eindrücke?

      Dresden war in der Vergangenheit oft im Fokus der medialen Öffentlichkeit, historisch und auch in den letzten Jahrzehnten: Fußballrandale, Entzug des Weltkulturerbes, Aufmärsche zum 13. Februar und anderes mehr. Klar ist, dass Dresden jetzt wieder große Beachtung der Medien bekommt. Ich war einer der 35 000, die zeigen wollten: Wir sind für Weltoffenheit und auch ein Gesicht von Dresden. Dabei ging es nicht um hier die Guten und da die Schlechten, sondern auch um kritische Töne. Zum Beispiel um den Vertrauensverlust, dass sich die Menschen nicht genügend einbezogen fühlen in die Entscheidungen, die ihr Lebensumfeld betreffen, aber auch um fehlende Gesprächsbereitschaft.

       Ihr neuer Film „Blindgänger“, in dem Sie einen ordnungsliebenden Dresdner spielen, der sich für ein tschetschenisches Flüchtlingsmädchen einsetzt, hat in den Zeiten von Flüchtlingsströmen und Pegida eine ganz neue Brisanz gewonnen.

      Wir haben fast drei Jahre am „Blindgänger“ mit Simone Kollmorgen an diesem Stoff gearbeitet und dann Peter Kahane hinzugezogen, damit er daraus ein Drehbuch mit dem Kahanischen Stumphsinn schreibt. Die zunehmende Zahl von Flüchtlingen beherrscht die öffentliche Debatte. Die Aktualität dieser Fragen, wer soll ins Land gelassen werden und warum? Sollen wir uns abschotten, oder hält sich die Zahl in Grenzen, und haben wir die moralische Pflicht zu helfen? Das macht diesen Film notwendiger denn je. Die menschliche Wahrheit offenbaren weniger Statistiken und Demonstrationen, sondern das Schicksal Einzelner.

       Hat der Film Ihre eigene


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